Der Terror und die Öffentlichkeit

40 Jahre Deutscher Herbst

Die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG Jürgen Ponto, Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer – 1977 versetzte die Terrorwelle der Roten Armee Fraktion (RAF) die damalige Bundesrepublik in Angst und Schrecken. In zahlreichen Medien wird das Gefühl der Angst und Polarisierung des heutigen Terrors mit dem vor vierzig Jahren verglichen. Laut aktueller Literatur geht die Taktik des Terrors aber noch weiter zurück und basiert auf den Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts, eng verbunden mit der Entwicklung der Massenmedien und der Öffentlichkeit. Es sind die Reaktionen von Staat und Öffentlichkeit, die den Terror zu einem Erfolg oder Misserfolg werden lassen.

Die Bundesrepublik Deutschland im Ausnahmezustand

In der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums steht im Abschnitt zur Bundesrepublik ein Kinderwagen, der am 5. September 1977 von der Roten Armee Fraktion (RAF) für den Anschlag auf den damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer genutzt wurde. Mit den im Kinderwagen versteckten Waffen eröffneten die Terroristen das Feuer, das vier der Begleiter Schleyers tötete. Die RAF wollte mit der Entführung Schleyers die Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder erzwingen. Als auch die Entführung eines Flugzeugs durch sympathisierende Palästinenser die Bundesregierung nicht dazu bewegen konnte, den Terroristen nachzugeben, verübten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim, wo sie inhaftiert waren, Selbstmord. Schon im April desselben Jahres hatte die RAF den Generalbundesstaatsanwalt Siegfried Buback und zwei seiner Begleiter erschossen, im Juli den Sprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto. Das Jahr 1977 war damit der Höhepunkt und der Wendepunkt der linksradikalen Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland, die insgesamt fünfzig Tote zu verantworten hatte.

Die Reaktionen der Angegriffenen sind Erfolg oder Misserfolg des Terrors

In ihrem Anfang 2017 erschienenen Buch zur Erfindung des Terrorismus zeigt Carola Dietze, dass Terror sich in der Moderne als politisches Instrument in den Gesellschaften des europäischen Westens und der USA entwickelt hat. Am Beginn dieser Entwicklung steht nach Dietze das Attentat auf Napoleon III. Felice Orsinis im Januar 1858. Nach Orsini entwickelte sich Terror zu einer Handlungsoption für die politischen Aktivisten, die aus einer sich abschwächenden sozialen und politischen Bewegung kamen, die durch den Terror neue Unterstützung bekommen sollte. Mediale Berichterstattung und übernationale Aufmerksamkeit waren eine Voraussetzung, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu Nachahmungstaten in den Vereinigten Staaten und Europa führten. Anschläge und die Reaktionen auf diese zählen auch zur Motivation für terroristische Anschläge. Laut Dietze gehe es darum, „einen machtvollen Gegner vorzuführen, die Legitimität seiner Macht zu bestreiten und ihn zu einer Reaktion zu provozieren […] Das heißt jedoch auch, dass die Reaktionen ein machtvolles Mittel im Kampf gegen Terrorismus sein können.“

Mit Terror aus dem Untergrund heraus wollte die Rote Armee Fraktion gegen den von ihnen als übermächtig wahrgenommenen deutschen Staat vorgehen – und gegen den Kapitalismus, dem sie eine immanente Tendenz zum Faschismus vorwarfen. Die Gewalttaten sollten schockieren, aber auch Sympathien erzeugen und so ihr politisches Ziel voranbringen. Vor allem aber sollten sie erreichen, dass sich das angegriffene System in seiner Reaktion auf den Terror selbst moralisch diskreditierte.

Die Medien als Antriebsmotor des Terrors

Dieser Logik folgend lassen sich Terroristen als Verfechter einer Protestideologie, einem Gegenentwurf zur westlichen Gesellschaft, begreifen. Egal um wen es sich handelt, ein Terrorist braucht eine Bühne, um seine Botschaften in die Welt zu tragen. Ein nützliches Hilfsmittel hierfür ist die mediale Berichterstattung, die für die gewünschte Aufmerksamkeit und gleichermaßen Verbreitung der Angst sorgt. Bettina Röhl, die sich in ihrem Essay mit der RAF und der Bundesrepublik auseinandersetzt, beschreibt die Aktivitäten der RAF als „ein nicht ungefährliches Medienprodukt“. Ferner schlussfolgert sie: „Die Medien waren die Conditio sine qua non für das Entstehen und die Fortexistenz der RAF, und dabei haben sie verantwortungslos die Terroristen zu Kultfiguren gemacht: eine Art Dallas-Show in Sachen Weltrevolution.“

Abwägung der Grundrechte

Die gesellschaftliche und mediale Reaktion auf den Terror macht seinen Erfolg aus – heute wie 1977. Ändern wir aus Angst unsere Lebensweise? Wird der angegriffene Staat die Grundrechte aufgegeben, um sich zu schützen? 1977 ging die Bundesregierung nicht auf die Forderungen der Terroristen ein. Sie wertete damit ihren demokratischen Auftrag höher als das Leben des Entführten. Die Grundrechteabwägung fiel den Beteiligten schwer: War es wichtiger, die Unversehrtheit der Person zu schützen oder das Recht auf Freiheit? Was galt das Recht der freien Meinungsäußerung, wenn doch die Verbreitung radikaler Ideologien verhindert werden sollte? Der Grat, auf dem die Bundesrepublik Deutschland 1977 wanderte, war sehr schmal.

Mehr über politische Morde in der deutschen Geschichte erfahren Sie in der Führung am 6. September 2017 um 18 Uhr mit Andreas Ziepa in unserer Dauerausstellung.