Wieso kommt es zu einer Revolution?

Es gibt sie auf vielen Ebenen und in unterschiedlichen Kontexten: Revolutionen. Zum Start der Ausstellung „1917. Revolution. Russland und Europa“ am 18. Oktober 2017 möchten wir gemeinsam mit Bloggerinnen und Bloggern der Frage nachgehen: „Wieso kommt es zu einer Revolution?“

Heute starten wir dazu eine Blogparade und laden herzlich dazu ein, sich mit den politischen, gesellschaftlichen, historischen, den wirtschaftlichen oder auch den persönlichen Revolutionen und ihren Auswirkungen, Folgen und Hinterlassenschaften auseinanderzusetzen. Das Spektrum, das sich dabei an Themen anbietet, ist riesig: die politischen Umbrüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Auswirkungen des Internets auf die Gesellschaft, das Aufkommen „veganer“ Ernährung oder auch die Abkehr vom physisch vorhandenen Geld hin zur Krypto-Währung – die Vokabel „Revolution“ kommt uns heute oft schnell über die Lippen, und oft trifft sie auch zu. Neue Entwicklungen krempeln bestehende Verhältnisse um, sorgen für modifizierte Strukturen und veränderte Spielregeln. Wenn man also genau hinschaut, versteckt sich „Revolution“ in vielen Dingen.

Exemplarisch wollen wir in diesem Beitrag das Thema anhand der Russischen Revolution 1917 beleuchten. Weitere Hinweise zum Ablauf der Blogparade gibt es am Ende des Textes. Aber jetzt tauchen wir erst einmal in die Ereignisse im Zarenreich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein.

Die Russische Revolution

Einen Aufbruch in allen Teilen der Gesellschaft – das war es, was die Russische Revolution mentalitäts- und kulturgeschichtlich zunächst bewirkte: Sie führte zu neuen Formen in Wirtschaft, Bildung und Kultur, förderte nationale, politische und soziale Befreiungsbewegungen, inspirierte Künstler und Kulturschaffende. Von Anfang an gehörten zum Aufbau der neuen Gesellschaft aber auch Terror, Gewalt und Repression.

Doch es gab nicht „die eine Revolution“, sondern vielmehr verschiedene, zeitlich versetzte oder parallele, teilweise widersprüchliche revolutionäre Prozesse, in denen soziale, politische und nationale Gruppen versuchten, ihre unterschiedlichen Ziele durchzusetzen.

Russland vor der Revolution

Zu Beginn stand ein Irrtum. Denn entgegen allen Vorhersagen der marxistischen Ideologie brach die Revolution nicht in einem der weit entwickelten Industrieländer aus, sondern in dem von Agrarwirtschaft und dörflichen Strukturen geprägten Russischen Reich. Um 1900 zählte die Bevölkerung rund125 Millionen Menschen, zwischen 85 und 90 Prozent von ihnen waren Bauern und lebten auf dem Land. Ihr Leben war von Armut und Hunger geprägt, die auf eine hohe Abgabenlast, Hungersnöte und Missernten zurückzuführen waren. Erschwert wurde die Lage der Menschen zudem durch einen rapiden Bevölkerungsanstieg, wodurch jedem Einzelnen immer weniger Land für die eigene Bewirtschaftung zur Verfügung stand. Auch für die Adligen wurde es zunehmend schwieriger, das Land gewinnbringend zu bewirtschaften. Insbesondere der Hochadel hielt an seiner ausschweifenden Lebensführung fest. Im Zentrum der Aristokratie, die sich aus dem alten, erblichen sowie dem erworbenen, persönlichen Adel zusammensetzte, stand der Hof des Zaren. Darüber hinaus gehörten das Offizierskorps der Armee und die Russisch-Orthodoxe Kirche zu den staatstragenden Säulen. Mit den Modernisierungsbemühungen unter Alexander II. in den 1860er Jahren waren ein wirtschaftlicher Wandel und soziale Veränderungen in Gang gekommen. Infolge des Wirtschaftaufschwungs entstand eine – wenn auch zahlenmäßig sehr geringe – heterogene bürgerliche Schicht, zu der neben Unternehmern, Kaufleuten, Kleinbürgern und Handwerkern auch handel- und gewerbetreibende Bauern gehörten. Auch die Arbeiterschaft nahm durch die Industrialisierung und den Zuzug von Bauern in die Städte und Produktionszentren deutlich zu. Intellektuelle und politische Aktivisten, die sogenannte Intelligenzija, prangerten Missstände und fehlende Mitbestimmung an, wodurch sie sich Repressionen und Verfolgung ausgesetzt sahen. Die meisten von ihnen konnten nur im Untergrund oder im Exil agieren, sodass keine breite Protestbewegung entstehen konnte. Letztlich war es daher auch eine kleine Gruppe von Berufsrevolutionären um Wladimir I. Lenin, die entgegen der Marx’schen Lehre die proletarische Revolution in einem vorindustriellen Staat herbeiführte.

Die Februarrevolution: Der Sturz des Zaren

Anfang 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, stürzten Hungerunruhen und Massenstreiks in der russischen Hauptstadt St. Petersburg, die sich seit Kriegsbeginn 1914 Petrograd nannte, die zarische Autokratie. Die Dynastie der Romanows, die noch wenige Jahre zuvor glanzvoll ihr 300-jähriges Thronjubiläum gefeiert hatte und über ein Vielvölkerreich herrschte, das von der Ostsee bis zum Pazifik, vom Nordmeer bis zum Schwarzen Meer und nach Mittelasien reichte, dankte ab. Eine Provisorische Regierung, hinter der die Mehrheit der Duma, der Parlamentsabgeordneten, stand, übernahm die Führung der Staatsgeschäfte. Sie verkündete die bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte und versprach die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung, auf der Grundlage freier, gleicher und geheimer Wahlen. Doch die neue Regierung, obwohl mehrfach umgebildet, bekam das Geschehen auf der Straße und draußen im Lande nicht in den Griff; mit der Ungeduld wuchs das Chaos.

Von der Oktoberrevolution zur Weltrevolution

Die sich ausbreitende Anarchie machten sich im Herbst 1917 die Bolschewiki, die radikalen Anhänger Lenins, zunutze. Sie stürzten in einem bewaffneten Aufstand die Provisorische Regierung und riefen eine sozialistische Räterepublik aus: Nun sollten die Banken verstaatlicht, das Land des Adels, der Kirche und der Krone nationalisiert, in den Fabriken und Betrieben eine umfassende Arbeiterkontrolle eingeführt und sofort Frieden geschlossen werden. Alle Staatsgewalt war auf die „Räte“ (russisch: sovety, eingedeutscht: Sowjets) zu übertragen, die sich basisdemokratisch auf die Interessenvertretungen der Arbeiter und Soldaten stützten, die weder ein stehendes Heer noch ein Berufsbeamtentum brauchten und den alten Polizei- und Justizapparat abschaffen würden. In einer Flut von Dekreten versuchte die neue Führung, dieses Sofortprogramm umzusetzen.

Zwar war Russland noch immer ein Land der Bauern, die Industriearbeiterschaft eine kleine Minderheit. Doch die neue Führung setzte darauf, dass die „Funken“ der Revolution von Russland auf die fortgeschritteneren Staaten Westeuropas (Deutschland, Großbritannien, Frankreich) überspringen, die Dinge „im Weltmaßstab“ wieder zurechtrücken, eine proletarische „Weltrevolution“ auslösen werde. Insofern war die bolschewistische Revolution auch eine Kampfansage an die Regierungen der kapitalistischen Staaten des Westens, denen man den Untergang voraussagte. Mit dieser politischen Zielsetzung wurde im März 1919 in Moskau eine „Kommunistische Internationale“ ins Leben gerufen, ein weltweiter Zusammenschluss aller kommunistischen Parteien.
Selbst wenn die erwartete „Weltrevolution“ vorläufig – und wie sich zeigen sollte: auf Dauer – ausblieb: Die bolschewistische Politik trieb das Land in einen blutigen Bürgerkrieg, in dem sich Gegenregierungen bildeten, auswärtige Mächte (Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Japan und die USA) intervenierten, in dem „Rote“ gegen „Weiße“, Stadt gegen Land, Peripherie gegen Zentrum kämpften, Terror mit Terror beantwortet und manche Region mehrfach von den wechselnden Fronten überrollt wurde, marodierende Soldaten die Zivilbevölkerung drangsalierten und massakrierten, Hunderttausende in antijüdischen Pogromen umkamen, mehr als eine Million Menschen von Seuchen und Epidemien dahingerafft wurden. Die Grundschwäche der Gegner war, dass sie nie eine politische Einheit bildeten; sie brachten die Bolschewiki zwar mehrfach an den Rand einer Niederlage, letztendlich aber obsiegte die Rote Armee. Dem Sieg folgte eine Hungerkatastrophe, der erneut Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Die Revolution – begonnen mitten im Weltkrieg – war von Anfang an nicht nur ein innerrussisches Projekt. Nicht nur, weil die im Februar 1917 ins Amt gebrachte Provisorische Regierung den Krieg an der Seite der Westalliierten fortsetzte, die Bolschewiki nach dem Oktoberaufstand einen Frieden fast um jeden Preis schlossen und beide Seiten in den nachfolgenden Bürgerkrieg eingriffen. Lenin und seine Parteigänger wollten mehr als nur einen Umsturz der Verhältnisse in Russland, sie sagten dem „kapitalistischen Weltsystem“ den Kampf an, sie wollten die europäische, die Weltrevolution. Wie reagierten die Regierungen der europäischen Nachbarstaaten auf die Ereignisse, ihre Herausforderungen, ihre Drohungen und Verheißungen? Wie ihre Bevölkerungen, nach diesem mörderischen Krieg mit Millionen von Toten, nach all den Entbehrungen, enttäuschten Erwartungen und bisher nie dagewesenen materiellen und mentalen Verwüstungen? Wie die Soldaten, Arbeiter und Intellektuellen, auf die die revolutionäre Propaganda besonders abzielte? So vielschichtig wie das Geschehen, so unterschiedlich wie die Bilder und Botschaften der Revolution, so grundverschieden fielen auch die Reaktionen und Antworten in den europäischen Staaten aus. Das Fazit aber bleibt: Das hier beschriebene Geschehen veränderte Russland und Europa für Jahrzehnte, mit Folgen, die bis in die Gegenwart reichen.

Die Blogparade „Wieso kommt es zu einer Revolution?“

Wir freuen uns, wenn sich Bloggerinnen und Blogger mit den unterschiedlichsten thematischen Hintergründen des Themas „Revolution“ annehmen. Durch die persönliche Schwerpunktsetzung und eine individuelle Betrachtungsweise entsteht eine Themenvielfalt, die sowohl die Teilnehmenden als auch die Lesenden begeistert.

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Termine: Die Blogparade startet am 25.9. und endet am 18.10.2017

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