Wozu das denn? Zerstörtes Mainboard der Snowden-Files

Melanie Lyon | 8. Januar 2021

In der Ausstellung „Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit“ zeigen wir im Bereich zum Internet die abgeschliffene Hauptplatine eines PCs der britischen Zeitung The Guardian, der Teile der Snowden-Files enthielt. Kuratorin Melanie Lyon über die Hintergründe einer symbolträchtigen Zerstörungsaktion.

Edward Snowden arbeitete als IT-Spezialist für verschiedene US-amerikanische Geheimdienste, als er auf geheime Überwachungsprogramme stieß, die in Folge der Terroranschläge des 11. September 2001 entstanden waren. Über Jahre hinweg wurde ihm bewusst, dass die amerikanischen Geheimdienste und ihre Verbündeten verdachtsunabhängig, massenhaft und weltweit die Internetkommunikation überwachten und damit teilweise gegen geltendes Recht verstießen. Im Mai 2013 verließ er die USA mit geschätzt 1,7 Millionen Dateien höchster Geheimhaltungsstufe, die er unbemerkt kopiert hatte, um das Vorgehen der Geheimdienste zu beweisen. Seiner Überzeugung nach waren die Freiheitsrechte in Gefahr und Whistleblowing die einzige Möglichkeit, diese im Interesse der Öffentlichkeit zu verteidigen. Sein digitales Archiv ließ er dazu ausgewählten Journalist*innen zukommen, darunter auch Glenn Greenwald und Ewen McAskill vom britischen Guardian. Die Enthüllungen lösten im Juni 2013 den NSA-Skandal aus, im Zuge dessen klar wurde, dass unsere E-Mails und Telefonate, aber auch Metadaten unserer Internetnutzung mithilfe von digitalen Tools längst breit ausgewertet werden.

Zerstörtes Motherboard der Snowden-Files, Guardian News & Media Archive, Foto: DHM

Zerstörtes Mainboard der Snowden-Files, Guardian News & Media Archive, Foto: DHM

Ein absurdes Notsignal

Schnell zeigte sich bei der Auswertung der Snowden-Files, dass insbesondere der britische Geheimdienst GCHQ massiv an den Überwachungsmaßnahmen beteiligt ist: Über das Spionageprogramm Tempora greift er beispielsweise Telefon- und Internetdaten direkt an den Unterseekabeln ab. Nach ersten Enthüllungen über die Zusammenarbeit des GCHQ mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA wurde die Redaktion des Guardian im Juli 2013 von der britischen Regierung massiv unter Druck gesetzt. Aus Sicht der Geheimdienste bedürfen die Programme strikter Geheimhaltung – wer nichts zu verbergen habe, so der Tenor, habe nichts zu befürchten. Das „Diebesgut“ solle unverzüglich ausgehändigt werden. Nach einigem Hin und Her stimmte der Guardian einem Kompromiss zu: Die Datensammlung wurde nicht herausgegeben, sondern unter Aufsicht des Geheimdienstes „nachweislich zerstört“. So wussten die Behörden zumindest nicht, welche bisher nicht veröffentlichten Dokumente Snowden illegalerweise kopiert hatte. Im Januar 2014 stellte der Guardian ein Video der Aktion online. Auf diesem kann man drei Mitarbeiter*innen dabei beobachten, wie sie die Datenträger im Juli 2013 mit Winkelschleifer und Bohrmaschine unbrauchbar machen.

Der Vorfall wog umso schwerer, weil die Pressefreiheit in Großbritannien nicht durch die Verfassung garantiert wird. Medien kann gerichtlich verboten werden über etwas zu berichten, das die nationale Sicherheit bedroht. Snowden, mittlerweile auf seiner Flucht vor Strafverfolgung in Russland gestrandet, begriff den Kompromiss dementsprechend als ein Einknicken vor dem Staat: Er kritisierte gegenüber Greenwald, dass der Streit um die Grenzen der britischen Pressefreiheit nicht öffentlich ausgefochten wurde. Der Chefredakteur des Guardian Alan Rusbridger sprach hingegen von einer „sinnlosen Symbolik, die eine große Unkenntnis des digitalen Zeitalters offenbart“. Wie bereits zuvor angekündigt existierten Kopien der Dateien unter anderem auch im amerikanischen Büro des Guardian. Von dort aus wurde nun die Berichterstattung fortgeführt.

Transparenz und Geheimnis im digitalen Zeitalter

In der Folge wurden die vom Guardian verwahrten Überbleibsel der zerstörten Snowden-Files in verschiedenen Ausstellungen gezeigt. In ihnen manifestieren sich zahlreiche sonst oft schwer materiell greifbare Veränderungen im Verhältnis von Privatsphäre, Geheimnis und Öffentlichkeit durch die digitale Kommunikation: Digitale Daten sind leichter abzuschöpfen, aber auch schwerer kontrollierbar – weder von Bürger*innen oder Journalist*innen noch von Geheimdiensten oder Whistleblower*innen. Man kann sie aus einer Hardware tilgen, aber sie sind im Zweifelsfall längst woanders. Und so ist es vor allem die dringende Notwendigkeit einer politischen und gesellschaftlichen Debatte über das Spannungsverhältnis von Transparenz und Geheimnis in einer digitalen Demokratie, die in dem zerstörten Mainboard ganz analog präsent gehalten wird.

Literatur

„Im Visier der Geheimdienste. Zerstörtes Motherboard, 2013“, in: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin (Hg.): Netz-Dinge. 30 Geschichten vom Telegrafenkabel bis zur Datenbrille, Berlin 2018, S. 127-129.

Julian Dörr, Verena Diersch: „Zur Rechtfertigung von Whistleblowing: Eine ordnungsethische und legitimitätstheoretische Perspektive der Whistleblower-Fälle Carl von Ossietzky und Edward Snowden“, in: Zeitschrift für Politik 64 (2017), Heft 4, S. 468-492.

Quellen

Julian Borger: NSA files: why the Guardian in London destroyed hard drives of leaked files, The Guardian, 20. August 2013 (https://www.theguardian.com/world/2013/aug/20/nsa-snowden-files-drives-destroyed-london)

Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen, München 2015.

Luke Harding: Footage released of Guardian editors destroying Snowden hard drives, The Guardian, 31. Januar 2014, https://www.theguardian.com/uk-news/2014/jan/31/footage-released-guardian-editors-snowden-hard-drives-gchq

Rebekah Higgit: Destroyed Snowden laptop: the curatorial view, The Guardian, 3. April 2015, https://www.theguardian.com/science/the-h-word/2015/apr/03/destroyed-snowden-laptop-the-curatorial-view

Edward Snowden: Permanent Record. Meine Geschichte, Frankfurt am Main 2019.