Wagners Musik und der Sound Hollywoods

Steffen Vogt | 21. Juni 2022

Auch heute noch finden sich in zahlreichen (Hollywood-)Filmen Zitate aus Richard Wagners Musikdramen. Wie genau die Musik des Komponisten Einzug auf der großen Leinwand fand erläutert Literaturwissenschaftler Steffen Vogt im Zuge der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ auf dem Blog.

Ob Liebestod, Hochzeitsmarsch oder Walkürenritt: filmkompatibel portioniert finden sich musikalische Zitate aus Richard Wagners Opern in einer fast endlosen Reihe von (Hollywood-)Filmen. Dass seine Musik im Interesse der filmmusikalischen Weiterverwertung zerpflückt und geplündert wurde, stellt allerdings noch kein Kriterium dar, mit dem sich eine besondere Affinität von Wagners Musik zum Film begründen ließe. Dieses Schicksal teilt Wagner mit den meisten Komponisten klassischer Musik. Dass Wagners Kompositionstechnik durchaus großen Einfluss auf den typischen Klang der Filmmusik Hollywoods hatte, lässt sich vor allem historisch begründen. Auch das Konzept des Gesamtkunstwerks, das Wagner in seinen ästhetischen Schriften entwickelt hat, kommt in diesem Zusammenhang zum Tragen.

Orchesterklang und Leitmotive

Schon in der Stummfilmzeit hat man begonnen, den Katalog der Klassik nach musikalischen Zitaten zu durchforsten, die zur Untermalung von Filmen geeignet waren und die den damaligen Stummfilmpianisten in Form von Kompendien als Handreichung zur Verfügung gestellt wurden. In diesen Verzeichnissen waren die Musikzitate entsprechend ihres möglichen Einsatzes zur narrativen Untermalung typischer Filmszenen (Morgenstimmung, wilde Jagd, Liebesszene usw.) katalogisiert. Die Arbeit mit Zitaten aus dem Kanon der klassischen Musik setzte sich auch im Tonfilm fort. Nachdem sehr rasch erkannt worden war, dass das Publikum sich keineswegs daran störte, wenn in einem Tonfilm zur Untermalung einer Spielszene Musik erklang, deren Existenz durch die Filmhandlung selbst nicht motiviert war, erfuhr der Beruf des Filmkomponisten eine enorme Aufwertung. Ein Film ohne „Score“ war fortan undenkbar. Die Arbeit des Filmkomponisten wurde damit zu einem elementaren Bestandteil der Filmproduktion und auch die Zweitverwertung klassischer Musikzitate blieb Teil dieser Praxis.

Wagners Einfluss auf die Gestaltung von Filmmusik wird in diesem Zusammenhang insbesondere im Bereich des Orchesterklangs und in Bezug auf die Arbeit mit Leitmotiven verortet. Dieser Einfluss wird zumeist darauf zurückgeführt, dass viele der Komponisten, die später in Hollywood einflussreich wurden, in Europa ausgebildet worden waren, bevor sie als Migranten in die USA kamen. Zu nennen sind hier unter anderem die Komponisten Max Steiner („King Kong“, 1933), Franz Waxman („Rebecca“, 1940) oder Erich Wolfgang Korngold („Die Abenteuer von Robin Hood“, 1938). Die Verwurzelung dieser Komponisten in der spätromantischen europäischen Tradition bildet die Grundlage für die Etablierung des typischen Sounds Hollywoods, und auf diesem Wege haben auch Elemente von Wagners Kompositionstechnik Einzug gefunden in die Filmmusik. Am Vorbild der instrumentalen Passagen aus Wagners Opern wie dem Vorspiel zu „Lohengrin“ oder den Anfangsakkorden aus „Rheingold“ ließ sich studieren, wie Musik durch den effektvollen Einsatz der Orchestrierung als eigenständiges narratives Element wirken konnte.

Auch die von Wagner inspirierte Verwendung charakteristischer Melodien oder musikalischer Phrasen zur Kennzeichnung bestimmter Figuren oder Objekte der dargestellten Handlung – gemeinhin als „Leitmotivtechnik“ apostrophiert – findet ihren Niederschlag in der Filmmusik. Während allerdings Wagner bei der Arbeit mit Leitmotiven eine möglichst raffinierte Integration dieser Elemente anstrebte, geht es in der Filmmusik meist nur um die schlichte Wiedererkennbarkeit einprägsamer musikalischer Phrasen. Erst in den letzten Jahrzehnten haben Filmkomponisten wie John Williams („Krieg der Sterne“) und Howard Shore („Herr der Ringe“) damit begonnen, die Leitmotivtechnik stärker im Sinne Wagners zu nutzen, was auch daran liegen mag, dass die episch angelegten Filmprojekte den Komponisten genug Raum ließen, um komplexere musikalische Strukturen zu entwickeln. Betrachtet man die 100-jährige Geschichte der Filmmusik, so fällt vor allem auf, wie konstant sich das spätromantische Ideal bis heute behauptet.

Brautmarsch und „Walkürenritt“

Was das Nachleben von Wagners Musik in Form des filmmusikalischen Zitats betrifft, so finden vor allem zwei Stücke besonders häufig Verwendung. Der Unterschied könnte nicht frappanter sein: Auf der einen Seite der Brautmarsch aus „Lohengrin“, der praktisch bei jeder Hochzeit in einem Hollywoodfilm erklingt – ohne dass dem Publikum in der Regel bewusst ist, dass es sich hier um eine Komposition Wagners handelt. Und auf der anderen Seite der „Walkürenritt“, der sich seit den 1970er Jahren im Kino als musikalische Chiffre durchgesetzt hat, mit der die pompöse Leere nationalsozialistischer Selbstinszenierung karikiert wird. Die Geschichte der filmischen Ausbeutung und Ausdeutung des „Walkürenritts“ ist ein besonders instruktives Beispiel für die Deutungsmacht des Kinos im popkulturellen Kontext. Durch die Verwendung als infernalische Begleitmusik einer nach dem Vorbild apokalyptischer Reiter ein vietnamesisches Dorf angreifenden Hubschrauberstaffel in Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ (1979) wurde der „Walkürenritt“ nachhaltig im Gedächtnis der Popkultur verankert. In dem nur ein Jahr nach „Apocalypse Now“ herausgekommenen Film „Blues Brothers“ wird dann der „Walkürenritt“ eingesetzt, um nationalsozialistische Hybris zu karikieren. Die Musik erklingt hier im Kontext einer Szene, in der eine Nazibande mitsamt ihrem Auto buchstäblich baden geht.

Erst in einem 2008 erschienenen japanischen Anime findet sich eine Überschreibung dieser nachhaltigen Chiffrierung des „Walkürenritts“ durch das Hollywoodkino: In „Ponyo – Das große Abenteuer am Meer“ untermalen die aus dem „Walkürenritt“ adaptierten Streicherpassagen den Freiheitsdrang und die Lebenslust einer kleinen Nixe, die sich aufmacht, ein Mensch zu werden. Hier wird Wagners Musik ganz ironiefrei wieder an seine originale Intention zurückgekoppelt. Die inhaltliche Analogie zum Schicksal der Walküre im „Ring“ scheint den Machern des Films dabei sehr bewusst gewesen zu sein: Ponyos eigentlicher Name sei Brunhilde, heißt es an einer Stelle des Films.

Es ist also keineswegs so, dass Wagners Musik im Kino nur als filmische Chiffre zur Denotation von Deutschtümelei und Faschismus dient. Bereits in Chaplins „Der große Diktator“ (1940) zeigt sich exemplarisch die Ambivalenz, mit der musikalische Zitate aus Wagners Oeuvre im Kino Verwendung finden. In diesem Film erklingt das Vorspiel aus „Lohengrin“ sowohl als Begleitmusik zum berühmten Tanz mit der Weltkugel (wo es zur Karikierung des hitlerschen Omnipotenzwahns dient), als auch ganz unironisch in der Schlussszene des Films, in der Chaplin zu Toleranz und Frieden aufruft.

Film als Gesamtkunstwerk?

Beim Kino handelt es sich um ein Medium, in dem viele unterschiedliche künstlerische Gewerke zusammenwirken – neben den schon im Bereich der Oper zum Einsatz kommenden Techniken der Narrativik qua Dialog, Schauspiel, Szenographie, Ausstattung und (Bühnen-)Architektur, kombiniert mit Musik und gegebenenfalls Tanz, kommen noch die Elemente der Belichtung und Bildgestaltung sowie des Schnitts hinzu. Die Komplexität des Produktionsprozesses im Falle eines Filmdrehs ist allerdings noch kein Indiz dafür, dass das Medium Film als Verwirklichung von Wagners Vorstellungen zum Gesamtkunstwerk gelten kann, bei dem es eben nicht nur um eine Kooperation der Einzelkünste auf technischer Ebene geht – seinen Schriften zum Kunstwerk der Zukunft gemäß entsteht das Gesamtkunstwerk erst in Form der völligen Integration der Einzelkünste, deren partikulare Existenz damit erlischt. Seine Vorstellungen zum „Kunstwerk der Zukunft“ hat Wagner in zwei Aufsätzen entwickelt, die 1849 in Zürich entstanden sind.[1] Was Wagner in diesen Schriften als Gesamtkunstwerk postuliert, ist keine bloße Kombination von Einzelkünsten, vielmehr wird hier ein utopisches Gesellschaftsmodell entworfen, in dem die Erfahrungen der Dissoziation und Partikularisierung der zeitgenössischen Gesellschaft überwunden wird. Der integrative Ansatz dieser Schriften ist nicht nur eine Reaktion auf die enttäuschten Hoffnungen der Revolution von 1848, sie erscheint ebenso als eine typisch romantische Reaktion auf die Entfremdungserfahrungen des Industriezeitalters.

Die Filmbeispiele zum Nachhören, gibt es u.a. in der Dokumentation „Wagner im Film“ von arte.


Verweise:

[1] Es handelt sich um die Aufsätze „Kunst und Revolution“ sowie „Das Kunstwerk der Zukunft“. Beide in Richard Wagner: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Leipzig (o.J.), Bd. 3.

Literatur:

Jan Drehmel, Kristina Jaspers, Steffen Vogt (Hg): Wagner Kino. Spuren und Wirkungen Richard Wagners in der Filmkunst. Hamburg 2013.

Jeongwon Joe, Sander L. Gilman (Hg): Wagner & Cinema. Bloomington & Indianapolis 2010.

Steffen Vogt

 

Steffen Vogt ist promovierter Literaturwissenschaftler. 2013 kuratierte er zusammen mit Kristina Jaspers und Jan Drehmel die Film- und Veranstaltungsreihe „Wagner Kino“ am Zeughauskino Berlin.