Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945-1948

Eröffnungsrede von Kuratorin Agata Pietrasik

Agata Pietrasik | 26. Mai 2025

Seit dem 24. Mai 2025 zeigt des Deutsche Historische Museum die Ausstellung „Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945-1948” im Pei-Bau. Im Rahmen der feierlichen Eröffnung am 23. Mai 2025 hielt die Kuratorin Dr. Agata Pietrasik folgende Rede:

Das Thema unserer Ausstellung mag ungewöhnlich erscheinen: Wir stellen andere Ausstellungen aus. Dabei handelt es sich nicht um gewöhnliche Museumsausstellungen, sondern um wegweisende Projekte, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in ganz Europa organisiert wurden. Sie wurden ins Leben gerufen, um die damals erlebte Gewalt und Zerstörung sichtbar zu machen. Dieses Phänomen mag überraschen, denn es passt nicht zu dem Bild, das wir gemeinhin mit Europa in der Nachkriegszeit verbinden – ein zerstörter Kontinent, noch gezeichnet von Gewalt, auch von antisemitischer Gewalt, und von der Vertreibung von Millionen Menschen erschüttert.

Aus heutiger Sicht erscheint es kaum vorstellbar, dass angesichts des Mangels sowie der sozialen und politischen Instabilität Ausstellungen überhaupt möglich waren. Und doch zeigen die Projekte, die wir heute im Deutschen Historischen Museum präsentieren, dass die Auseinandersetzung mit der jüngsten Gewaltgeschichte in vielerlei Hinsicht ebenso notwendig war wie der materielle Wiederaufbau.

Ausstellungen wurden zu einem herausragenden Massenmedium der frühen Nachkriegszeit, weil sie unterschiedlichste Medien zusammenführten und miteinander in Dialog brachten: Film, Fotografie, Kunstwerke, Artefakte sowie historische Dokumente. Diese Materialien stammten häufig unmittelbar von Orten der Gewalt und übernahmen die Rolle stummer Zeugen: Sie vermittelten eine unmittelbare Nähe zu Gewalt und Leid und verankerten diese zugleich in der Gegenständlichkeit der Objekte und beanspruchten Objektivität. Das Ausstellen dieser Materialien ging oft Hand in Hand mit der Gründung der ersten Institutionen zur Bewahrung der Geschichte und Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzung.

Einige der heute vorgestellten Ausstellungen waren ein durchschlagender Erfolg und zogen Hunderttausende Besucher an; andere entstanden in kleinerem Rahmen, waren aber langfristig nicht weniger bedeutsam. Ziel dieser unterschiedlichen Projekte war es, zum ersten Mal die jüngste Geschichte von Gewalt und Völkermord zu artikulieren. Dabei handelte es sich um Erzählungen, die auf Beweisen beruhten, einer klar zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheidenden Chronologie folgten und den Überlebenden und Zeitzeugen eine Stimme gaben. Erzählungen mit einem Anfang und – das ist entscheidend – auch einem Ende, bei dem meist die Herstellung von Gerechtigkeit und der Aufbau eines neuen, gerechten gesellschaftlichen und politischen Lebens imaginiert wurde. Die Ausstellungen konnten diese Hoffnungen mit Bildern und Objekten greifbar machen, Emotionen bündeln und Räume für Trauer, Anklage, aber auch für Information schaffen.

Unsere Ausstellung wirft einen sorgfältigen und kritischen Blick auf dieses vielschichtige Phänomen – nicht in seiner Vollständigkeit, sondern anhand einer exemplarischen Auswahl wegweisender und wirkungsvoller Nachkriegsausstellungen und ihres jeweiligen sozialen und politischen Kontexts, der oft Inhalte und Präsentationsformen beeinflusste. Aus der Vielzahl an Initiativen konzentrieren wir uns auf sechs Ausstellungen, die in London, Paris, Warschau, Liberec und im Displaced Persons-Lager Bergen-Belsen organisiert wurden.

Alle diese Ausstellungen fanden zwischen Frühjahr 1945 und 1948 statt, in einer Übergangszeit vor dem Beginn des Kalten Krieges und zu einer Zeit, als sich noch viele Holocaust-Überlebende – oft auf ihre Auswanderung wartend – in Europa befanden. Viele dieser Ausstellungen waren dynamische Ausdrucksformen, die teils national, teils international wanderten – auch zwischen Regionen, die bald durch den Eisernen Vorhang getrennt sein würden. Sie erreichten ein großes Publikum: Über 400.000 Menschen besuchten die Ausstellung Warszawa oskarża (Warschau klagt an) im Nationalmuseum in Warschau, und 487.000 Besucher wurden bei der Ausstellung Crimes hitlériens im Grand Palais in Paris registriert. Organisiert wurden diese Veranstaltungen von staatlichen Stellen, Kommissionen zur Untersuchung von Kriegsverbrechen sowie formellen und informellen Gruppen von Holocaust-Überlebenden – sie vereinten somit individuelle, kollektive und institutionelle Perspektiven.

Die Titel dieser Ausstellungen sprechen für sich: The Horror Camps [Die Lager des Schreckens], Crimes hitlériens [Hitlerische Verbrechen], Warszawa oskarża [Warschau klagt an], Martirologye un kamf / Martyrologia i walka [Martyrium und Kampf], Památník nacistického barbarství [Gedenkstätte der Nazi-Barbarei], und Undzer veg in der frayheyt [Unser Weg in die Freiheit]. Diese eindrucksvollen, kraftvollen Begriffe bündelten Empörung und Anklage, spiegelten Emotionen wider und formulierten zugleich die jeweilige Botschaft der Ausstellung. Sie verdeutlichten die spezifischen Weisen, in denen sich die ehemals besetzten Länder mit der Geschichte der deutschen Besatzung auseinandersetzten.

Ausstellungen sind ihrem Wesen nach zeitlich befristete Ereignisse. Sie werden eröffnet und wieder geschlossen und hinterlassen nur verstreute Spuren in Archiven und Museumssammlungen. Unsere Aufgabe war es, diese Spuren zu sichern und die damaligen Ausstellungen wieder vorstellbar zu machen – nicht um sie zu rekonstruieren oder nachzuerleben, sondern um dem heutigen Publikum die Möglichkeit zu geben, sich ihre Räume und Gestaltungen vorzustellen, sich mit einigen der gezeigten Objekte auseinanderzusetzen und die jeweiligen Narrative nachzuvollziehen. Es ging uns auch darum, die Menschen hinter den Projekten sichtbar zu machen und die Stimmen des damaligen Publikums einzufangen. In jedem Teil unserer Ausstellung haben wir versucht, einen Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit Inhalten und Kontexten der damaligen Ausstellungen zu schaffen.

Da diese historischen Ausstellungen – auch wenn sie heute teilweise vergessen sind – über ihre eigentliche Laufzeit hinauswirkten, indem sie zukünftige Formen des Erinnerns und Darstellens aufzeigten, ist es wichtig, sowohl ihr Potenzial als auch ihre Grenzen aus heutiger Perspektive zu verstehen. Denn diese Erinnerungsformen wirken oft bis in die Gegenwart hinein.

In der sozialen und politischen Situation der späten 1940er Jahre, geprägt vom Wunsch nach Wiederaufbau und nationaler Konsolidierung, zielten staatlich unterstützte Ausstellungen häufig darauf ab, eine kollektive Identität durch die Darstellung von gemeinsamem Leid zu schaffen. Schwierige Fragen wurden dabei oft ausgeblendet oder relativiert – etwa, inwieweit Teile der besetzten Gesellschaften die Ausübung von Gewalt, insbesondere im Fall des Holocaust, ermöglicht oder unterstützt hatten. Die Frage, was einem angetan wurde, überwog die Auseinandersetzung mit der Frage, welchen Anteil man selbst am Leid anderer hatte. Diese national geprägten Erzählungen verdrängten die Stimmen jüdischer und Roma-Überlebender, die den Massenmord in bisher nie dagewesenem Ausmaß erlitten hatten. Holocaust-Überlebende organisierten unmittelbar nach dem Krieg eigene Ausstellungen, um die Geschichte aus ihrer Perspektive zu erzählen, während entsprechende Ausstellungen von Roma-Überlebenden erst Jahrzehnte später entstanden.

Im Zentrum unseres Projekts steht daher die Anerkennung dieser verschiedenen Stimmen sowie der bestehenden Unterschiede zwischen ihnen – ebenso wie das Aufzeigen von Schweigen und von Mustern des Verschweigens, die in vielen Fällen bis heute nachwirken.

Ausstellungen – und im weiteren Sinne auch Museen – sind Orte, an denen selbst über die schwierigen und schmerzlichen Vergangenheiten gesprochen werden kann.
Die Anstrengungen jener, die angesichts beispielloser Zerstörung und oft trotz eigener traumatischer Erfahrungen die ersten Nachkriegsausstellungen organisierten, sollten uns auch heute dazu ermutigen, diesen Prozess der Auseinandersetzung aktiv zu gestalten.