Sammeln und forschen: Die Augsburger Monatsbilder unter der Lupe

Dr. Sabine Beneke | 4. Juni 2025

Im Rahmen der Blogserie zur Arbeit der Sammlungen im Deutschen Historischen Museum (DHM) geht es um zentrale Punkte wie den Entscheidungen für oder gegen die Aufnahme von Objekten, um die unterschiedlichen Wege der Zugänge, die sich ändernden Forschungsfragen an die Sammlungen, um die Erforschung der Herkunft der Objekte und viele weitere Aspekte.

Sammlungsarbeit bedeutet auch das Erforschen der Objekte – beispielsweise auf der Grundlage neuer Kontextforschung, im Zuge einer Restaurierung oder im Rahmen von Ausstellungsvorhaben. Dr. Sabine Beneke, Leiterin der Kunstsammlung des Deutschen Historischen Museums, hat den Gemäldezyklus, bekannt als „Augsburger Monatsbilder“, im Rahmen einer neuerlichen Restaurierung einer detaillierten Bildanalyse unterzogen. Dabei hat sie neue Motive und Kompositionslinien gefunden, was in eine neue Gesamtinterpretation des Gemäldezyklus mündete.

Unbekannte Werkstatt, Augsburger Monatsbilder: Eine dynastische Bilderfolge des Hans Fugger (1: Januar, Februar, März), Öl auf Leinwand, 234,5 x 356,5 cm, Augsburg um 1580/82, Inv. Nr. 1990/185.1

Je älter Museumsobjekte sind, desto seltener ist der genaue Zeitpunkt und der Zweck ihrer Entstehung und der Ort, für den sie gedacht waren, bekannt. Manchmal ist alles über ihre Geschichte geklärt, manchmal nur ein Teil davon, manchmal auch gar nichts. Als das Deutsche Historische Museum 1990 eine vierteilige Folge von großformatigen Gemälden aus dem 16. Jahrhundert erwarb, wusste man nur, dass es sich um Darstellungen der zwölf Monate handelt, pro Bild zusammengefasst in den Quartalen mit Nennung der jeweiligen Monate. Ihr Bezug zu Augsburg war durch die gezeigte Architektur der Stadt auf einem der Bilder gegeben. Aufgrund der dargestellten Personen, ihrer Kleidung und ihrer Handlungen, konnte ein Bezug zur führenden Schicht der Stadt hergestellt werden: Das Patriziat – der Stadtadel – zeigte sich standesgemäß bei Tisch, bei Ritterspielen, bei der Jagd und als Ratsherr der Stadt Augsburg. Nicht gelöst werden konnte die Frage, wer die Bilder einst in Auftrag gab.

Eine aktuelle Restaurierung bot Anlass, die Bilder noch einmal unter die Lupe zu nehmen, um mehr über sie zu erfahren. Dabei gerieten Inventar-Aufkleber in den Blick, die sich auf den Rückseiten der alten Rahmen, auf die die Leinwände im frühen 19. Jahrhundert gespannt worden waren, befanden.

Inventaraufkleber aus der Fürstlichen Hausverwaltung Leutstetten © Deutsches Historisches Museum

In der obersten Zeile findet sich der Schriftzug Nach dem Inventar. Die Buchstabenfolge in der untersten Zeile C.Ö.W.F.H.L. lässt sich wie folgt auflösen: CÖW = Caroline von Öttingen-Wallerstein, FHL = Fürstliche(s) Haus(verwaltung) Leutstetten. Damit war eine Spur gelegt, die Indizien auf frühere Besitzer lieferte. Caroline war die Tochter von Ludwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein (1791-1870), der 1833 Schloss Leutstetten am Starnberger See erwarb. Doch wem gehörten die Bilder zuvor? Zum alten Schlossinventar gehörten sie nicht und die Familie Oettingen-Wallerstein zählte nicht zum Augsburger Patriziat, sondern zum Hochadel im Heiligen Römischen Reich.

Sicher ist, dass die Gemälde seit ihrer Entstehung nicht ununterbrochen ausgestellt waren, sondern – so der Befund der Restaurierung – zwischenzeitlich unsachgemäß und grob mit ihnen umgegangen wurde. Vielfach sind Fehlstellen unterschiedlicher Ausprägung vorhanden. Dies könnte sich mit dem Herausnehmen bzw. Herausschneiden der Leinwände aus einer repräsentativen rahmenden Wandvertäfelung bzw. aus Architekturrahmen aus Holz erklären. Für großformatige Gemäldefolgen wie die Monatsbilder war eine solche Präsentation im 16. Jahrhundert angemessen.

Ein historisches Museum sammelt Kunstwerke unter anderen Gesichtspunkten als ein Kunstmuseum. Die Qualität, die ein historisches Museum sucht, besteht nicht unbedingt nur aus der Suche nach „Meisterwerken“, die von berühmten Malern und Bildhauern geschaffen wurden. Historische Erkenntnis, Geschichte, die erzählt werden kann, zeigt sich auch in Werken, deren Schöpfer unbekannt sind. Das Handwerk der Kunstgeschichte bleibt dennoch die Voraussetzung zum historischen Verständnis der Werke. Diese werden nicht als bloße Illustration von Geschichte verstanden, sondern als historische Quellen. Sie zu lesen, lehrt das Fach Kunstgeschichte: Erlaubte ein neuer kunsthistorischer Blick auf die Bilder eine neue Lesart? Das Deutsche Historische Museum hatte sich gleich nach dem Erwerb der Bilder ausführlich mit ihnen beschäftigt und dabei auch wichtige Vorlagen, auf deren Motive die Werkstatt, die die Bilder schuf, zurückgriff, vorgestellt. Auch die Geschichte Augsburgs und seines Patriziats im 16. Jahrhundert wurde den Bildern als historischer Rahmen zugeordnet. Allerdings blieben wesentliche Fragen offen.

Kunsthistoriker wissen, dass Bilderfolgen wie die Augsburger Monatsbilder immer eine Geschichte erzählen. Sie gleichen einem Roman, der sich aus einzelnen Kapiteln zusammensetzt. Dies war der Ansatz, sich den Werken wie einem Cold Case neu zu widmen: Ließen sich mit einem neuen Blick auf die vier Bilder – auch auf der Grundlage von neuer Forschung – Indizien finden, die uns Jahrhunderte nach ihrer Entstehung und Jahrzehnte nach einer ersten ausführlichen Untersuchung einen Einblick in den Sinn und Zweck der Bilder erlauben? Konnte mehr über ihre Herkunft ermittelt werden?

Eine Analyse der Kompositionen und ihrer Bildstrategien, ihrer Rhetorik, der Betonung von Motiven durch künstlerische Mittel, führte zu immer neuen Fragen. Welche Motive gingen auf Vorlagen zurück, mit denen die Künstler arbeiteten, welche waren neu und deshalb möglicherweise von besonderer Bedeutung? Grundlegend war dabei die Frage nach dem Auftakt der Erzählung. Er musste sich auf Bild 1 mit den Monaten Januar bis März befinden. Setzte die Erzählung mit der perspektivischen Mitte der Komposition oder in der klassischen Leserichtung von links nach rechts ein? Die Identifizierung von zwei Personen in der Stube ganz links im Bild konnte als Beginn einer Erzählung der Familie Fugger bestimmt werden, denn am Tisch sitzt Jakob Fugger der Reiche (1459-1525), erkennbar an seiner bekannten goldenen Haube. Links neben ihm führt Kaiser Maximilian I. (1459-1519) das Gespräch, bestimmbar anhand von typischer Kleidung wie dem Hut, der durch Porträts überliefert ist, die zu seinen Lebzeiten entstanden.

Oft ließ sich das Rätsel um Motive, die aufgrund ihrer Positionierung oder malerischen Akzentuierung eine Bedeutung in der Erzählung besitzen mussten, erst nach und nach lösen. Auf Bild 4 (Oktober-Dezember), das den Betrachtern einen Blick in die Stadt Augsburg um 1530 zeigt, konnte lange Zeit der Reiter in der Bildmitte nicht „entschlüsselt“ werden.

Unbekannte Werkstatt, Augsburger Monatsbilder: Eine dynastische Bilderfolge des Hans Fugger (4: Oktober, November, Dezember), Öl auf Leinwand, 234,8 x 366 cm, Augsburg um 1580/82, Inv. Nr. 1990/185.4

Er unterscheidet sich von den Ratsherren im Vordergrund, die gerade das Rathaus verlassen, und von den anderen Dargestellten auf dem Bild durch seine Kleidung und den auffälligen Schnauzbart. Zu seiner Linken trägt er ein Schwert, rechts in der Hand einen Stab. Es musste ein Fremder sein.

Ausschnitt aus dem vierten Gemälde: Oktober-November-Dezember, Unbekannte Werkstatt

Mit Kaiser Maximilian in der Auftaktszene von Bild 1 wurde die Fugger-Geschichte mit dem Haus Habsburg, aus dem die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs über Jahrhunderte hin stammten, eng verbunden. War das der Schlüssel für das Verständnis von Bild 4 und der zentralen Figur des Reiters? Als Vorlage für die Kleidung konnte die Darstellung eines Hauptmanns aus dem Gefolge Kaiser Karls V. identifiziert werden, mit dem er zum Reichstag in Augsburg 1530 einzog. Damit gelang eine genaue historische Verortung der Szene. Nicht nur die Geschichte der Fugger war eng mit den Kaisern verknüpft, sondern auch die der Reichstadt Augsburg.

Die Recherche zu den vier Bildern stellte sich als Puzzle dar: Stück für Stück setzen sich die Bilder als Erzählung zusammen. Entschlüsselte Motive führten zu neuen Fragen, neuen Recherchen und neuen Auflösungen. Nach und nach schlossen sich die Indizien zu einem Gesamtbild zusammen: Die vier Bilder zeigen eine dynastische Erzählung der Familie Fugger, entstanden Anfang der 1580er Jahre als Auftrag von Hans Fugger (1531-1598), einem Großneffen von Jakob Fugger dem Reichen. Heute ermöglicht sie uns einen Einblick in die sozial-, wirtschafts- und politische Geschichte des Heiligen Römischen Reichs im 16. Jahrhundert.

Die Recherche zu allen vier Bildern kann über die Publikation Die Fugger-Saga. Zur Provenienz und Auftraggeberschaft der „Augsburger Monatsbilder“ nachvollzogen werden.

 

 

Dr. Sabine Beneke

Dr. Sabine Beneke ist Sammlungsleiterin für Kunst: Gemälde und Skulpturen am Deutschen Historischen Museum.