> Peter Obst: Anfang und Ende 1939-1942

Peter Obst: Anfang und Ende 1939-1942

Dieser Eintrag stammt von Peter Obst ( ) aus Berlin , Oktober 2006 :

Unser Vater Gerhard Obst war Familienmensch und ein erfolgreicher Filmkaufmann. In den ersten Kriegstagen des Jahres 1939 wurde er als Pionier zum Bau-Ersatz-Bataillon 3 eingezogen. In Krossen (Thüringen) wurde er zunächst in eine Arbeitsuniform eingekleidet; mit einer gelben Armbinde wurde diese Truppe als Wehrmachtsverband deklariert. Eine vierteljährige Grundausbildung erhielt unser Vater in Bad Freienwalde. Nun standen offenbar auch feldgraue Uniformen zur Verfügung, so dass dort eine Umkleidung und Zuordnung zum Brücken-Bau-Bataillon 21 erfolgte. Diese Einheit ging später im Kessel von Stalingrad unter. Meine Eltern schrieben sich fast täglich. Ich kann heute noch seine Feldpostnummer 12176 im Schlaf aufsagen, da ich häufig einen Brief meiner Mutter zur Post brachte. Zwischen den Zeilen ließ unser Vater in seinen Briefen immer durchblicken, wie wenig ihn die militärische Ära behagte.

Am 31. Mai 1940 ging es über Trier durch Luxemburg und Belgien nach Frankreich. Und im März 1941 wurde er von Besançon aus in den Osten verlegt. Im Zuge des beginnenden Feldzuges gegen die Sowjetunion war er am 22. Juni 1941 am Bau einer Brücke über den Bug beteiligt. Der strenge Winter 1941 - Temperaturen bis minus 47 Grad bei unvollkommender Kleidung waren an der Tagesordnung - machte ihm sehr zu schaffen. Im Nachhinein bin ich überzeugt, dass nur der tiefe Glaube meinen Vater aufrecht erhalten hat.

Im Mai 1942 zeigte sich für ihn ein Lichtblick. Er durfte einen Heimaturlaub antreten. Die Freude darüber war auf allen Seiten groß. Da es sich um einen sogenannten Arbeitsurlaub handelte, sahen wir ihn an diesen Tagen in Zivilkleidung. Ein vertrauter Anblick. Die damals auf Berlin noch zurückhaltenen Luftangriffe der Alliierten nahm er mit der Gelassenheit des Frontsoldaten zur Kenntnis. Er blieb in der Wohnung. Der Schutzkeller war für ihn tabu. Und ich blieb bei ihm. So habe ich einmal den Abschuss eines gegnerischen Flugzeugs beobachtet, nachdem es von einem Scheinwerfer erfasst war.

Nach einiger Zeit in der Heimat begleitete ich meinem Vater am Tage der Abreise zum Bahnhof und wusste nicht, dass es ein Abschied für immer werden sollte. Wir erhielten zunächst von ihm noch Postkarten mit kurzen Mitteilungen. Der Vormarsch der Heeresgruppe Süd auf Woronesh war angesagt und seine Einheit musste die 24. Panzerdivision als Infanterie begleiten. Schlagartig blieb dann seine Post aus. Unsere Mutter wurde sofort von großer Unruhe erfasst. Sie erinnerte sich an eine Adresse, die mein Vater für Notfälle genannt hatte. Es waren die Eltern seines Unteroffiziers Pfaff in der Schlierseestraße 5 in Berlin-Grünau. Dorthin fuhren wir im Juli 1942. Es war ein warmer Tag. Die Wohnung lag im obersten Stockwerk. Auf Klingeln öffnete eine alte Dame und ließ uns ein, nachdem unsere Mutter gefragt hatte, ob Nachricht von ihrem Sohn vorliege. Sie holte umständlich einen Brief und ihre Brille und begann ahnungslos vorzulesen. Den verschiedenen Details konnte man entnehmen, dass es ihrem Sohn gut ging. Er schrieb, dass sie geringe Verluste zu beklagen hatten. Nur ein Kamerad Obst wäre am 7. Juli bei einem Fliegerangriff gefallen; das war unser Vater. Offensichtlich hatte sie unseren Namen bei der Vorstellung nicht verstanden. Für meine Mutter brach eine Welt zusammen. Mein jüngerer Bruder und ich konnten die Tragweite dieser Nachricht nicht sofort erfassen, zumal die alte Dame beschwichtigen wollte; es könne doch eine Namensverwechslung vorliegen. Aber unsere Mutter ließ sich nicht beruhigen, sie fand ihr Gefühl bestätigt. Es war der Ausgangspunkt für ihre Krankheiten, die später zu ihrem frühen Tod geführt haben.

Wie beliebt unser Vater bei seinen Kameraden war, bestätigte unter anderem das Gedicht seines Kameraden Johannes Krock:

Dort liegst in dunkler Erdenkammer,
schlossest Deine Augen zu
vor der Weltennot und Jammer
schläfst nun dort - in stiller Ruh.

Gabst dem Vaterland Dein Leben
Das es forderte als Pfand.
Höchstes Pfand das Du gegeben,
daß es wieder auferstand.

Gabst es, dass den Kindern Segen
aus dem Opfer einst erblüht.
Ebnend stehst du an den Wegen
Die ihr Leben dann durchzieht.

Gerhard, Du bist nicht gestorben,
gingst nur früher von uns fort.
Hast Unsterblichkeit erworben
Und Du wartest auf uns dort.

Dieser Kamerad hat ihn bis zum Ende seines Lebens begleitet und konnte uns damals letzte Grüße unseres Vater übermitteln. Später verliert sich auch seine Spur...

Unser Vater fand seine letzte Ruhe am nordwestlichen Dorfausgang von Ustje/Don.

lo