> Werner Mork: Drohendes Standgericht 1945

Werner Mork: Drohendes Standgericht 1945

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Februar 2010:

Während des Vormarschs der Roten Armee saß ich im Februar 1945 in der Nähe von Glogau an der Oder wegen gewaltigen russischen Trommelfeuers mit 8-10 anderen Landsern im Keller eines alleinstehenden Gutshauses. Es war das eine mulmige Situation in diesem Keller, keiner wusste, wie es weiter gehen würde. Unter den Anwesenden befand sich ein Stabsgefreiter, ein also schon sehr "alter Soldat". Der war behangen mit Auszeichnungen. Ihn schmückten die EK's erster und zweiter Klasse, das Infanterie-Sturmabzeichen, das Verwundetenabzeichen, die Nahkampfspange und, auf dem Ärmel befestigt, einige Panzervernichtungsstreifen für von ihm selber "geknackte" feindliche Panzer. Somit ein ganz toller Bursche, bei dem es aber verwunderlich war, dass er nur ein Stabsgefreiter war, der hätte doch schon viel mehr sein müssen. Musste ja wohl sicher einen Grund haben. Vielleicht war er aber auch einer von denen, die immer widerspenstig waren in ihrer langen Dienstzeit. So einer von der Art, zu der auch ich gehörte, so dachte ich über diesen hochdekorierten Kameraden. Wie sehr ich mich irrte, das sollte ich sehr schnell erfahren.

Die Landser in diesem Keller waren sich alle fremd, keiner kannte den anderen. Es ergab sich aber ein Gespräch untereinander, und das Thema war wie immer dieser verdammte Scheißkrieg. Ein sehr "normales" Thema, wenn Landser miteinander redeten, worüber sollten sei auch sonst noch reden. Krieg war gezwungenermaßen das Thema, weil doch alle die Nase restlos voll hatten und es sich immer wieder darum drehte, wann wird der Krieg sein Ende haben, wann werden wir wieder in der Heimat sein und in welchem Zustand.

In unserem Gespräch ging es vorrangig um die Frage, wann wird Schluss sein und wie wird es dann in Deutschland aussehen nach einem Krieg, aus dem wir nur als Verlierer heraus kommen werden. Kommen wir Soldaten dann möglicherweise in ein Reich, das vielleicht nicht mehr existiert? An sich war es schon etwas seltsam, unter diesen Umständen, mitten im tobenden Trommelfeuer und den krachenden und explodierenden Granaten, sich Gedanken über die Zeit nach dem Krieg zu machen. Bei diesem Thema meinte ich, mich auch am Gespräch zu beteiligen und meine Meinungen und Ansichten beizutragen, die sich auf die Zukunft des Reiches bezogen. Ich äußerte mich über diese Zukunft dahingehend, dass die beste Staatsform nach dem Krieg nur die Demokratie sein könne. Ich gab hier das Wissen weiter, das ich von einem Freund in mir aufgenommen hatte und "sang" dabei das hohe Lied der englischen Demokratie. In meiner Naivität meinte ich, mich so äußern zu können. Ich dachte nicht daran, dass diese Ansichten nicht nur sehr schlimm waren in dieser Zeit, auch nicht daran, dass sie möglicherweise als Hochverrat angesehen werde könnten, besonders deswegen, weil ich unseren Feind England als ein positives Beispiel anführte. Das bedachte ich nicht in diesem Keller unter uns kleinen Landsern, von denen ich meinte, dass sie nicht anders denken und empfinden, hatten doch auch sie die Schnauze restlos voll. Ich redete mich so richtig in Rage, und es entstand dabei direkt eine kleine Diskussion, die ich als sehr gut empfand, da man einmal über das Reden konnte, was uns doch alle bedrückte. Wir waren unter uns, von bösen Nazis konnte kein Rede sein unter uns simplen Landsern, die hier saßen und nicht wussten, wie es in den weiteren Augenblicken sein würde. Wir lebten trotz des anhaltenden Trommelfeuers bei diesem Gespräch so richtig auf und machten mit Begeisterung nun in Demokratie.

Keiner hatte richtig wahrgenommen bzw. keiner dachte sich etwas dabei, dass der hochdekorierte Stabsgefreite den Keller verlassen hatte. Nach einer gewissen Zeit kam er wieder zurück, ging stracks auf mich zu und sagte mir, er habe den Befehl mir zu sagen, dass ich sofort nach oben kommen solle, zum IA, einem Oberleutnant, der sich oben aufhielt. Auf meine Frage, was ich denn da solle, grinste er mich sehr seltsam und dreckig an und meinte, das würde ich schon sehen und hören. Er habe nur den Befehl vom IA auszurichten, dem ich unverzüglich Folge zu leisten hätte. Völlig nichtsahnend ging ich die Treppe hoch und betrat das Erdgeschosszimmer in dem sich der IA befand. Ich meldete mich vorschriftsmäßig mit Namen und Dienstgrad in der Annahme, dass ich nun einen auszuführenden Auftrag erhalten würde.

Doch dem war nicht so. Der Oberleutnant fragte mich nach meinem Alter und der Dauer der bisherigen Dienstzeit beim Militär, auch ob ich ledig oder verheiratet sei und ob schon Kinder vorhanden seien. Dann stellte er die Frage, ob es stimme, dass ich mich im Keller defätistisch geäußert habe, dass ich die englische Demokratie als erstrebenswert für Deutschland bezeichnet hätte, somit von einer Niederlage Deutschlands in diesem Krieg ausgehen würde. Das sei wehrkraftzersetzend und ein Denunziant habe ihn in dem Sinn über meine Äußerungen im Keller informiert. Den Begriff Denunziant verwendete er wörtlich und dabei wurde klar, dass der "Kamerad Stabsgefreiter" der Denunziant war. Wenn das alles so stimme, dann sei das ein Fall von Hochverrat, der entsprechend den geltenden Bestimmungen zu ahnden sei. Das war nun in der Tat für mich eine sehr unangenehme Lage. Hätte ich doch nur meinen Schnabel gehalten. Abstreiten konnte ich nichts, denn im Keller gab es genug Zeugen, die mein Gerede bestätigen würden. Es blieb mir nur die einzige Möglichkeit, meine gemachten Äußerungen irgendwie abzuschwächen, so als seien sie doch ganz anders gemeint, was natürlich pflaumenweich war und so auch vom IA bemerkt wurde.

Nun stauchte mich der Oberleutnant förmlich zusammen, nannte mich ein "blödes Arschloch", womit er ja nicht Unrecht hatte. Da läge der Kriege in seinen letzten Zügen (so sagte er zu mir) und ich, der blöde Kerl, rede mich jetzt noch um Kopf und Kragen. Ob ich denn nicht wisse, dass es jetzt das Standrecht gäbe, dass ein jeder verpflichtet sei, jeden zu melden, der sich defätistisch äußere. Jeder Vorgesetzte, dem das zu Ohren käme, habe mit unverzüglicher Meldung an die Feldjäger entsprechend zu reagieren bzw. die sofortige Einsetzung eines Standgerichts an Ort und Stelle anzuordnen. Ich, der Obergefreite Mork, sei ein Vollidiot, der nicht nur sich, sondern auch ihn, den Oberleutnant, in eine beschissene Lage gebracht habe, hätte ich doch nur meine Schnauze gehalten, so kurz vor dem Ende dieses Krieges. Auch der Oberleutnant war nicht mehr ein überzeugter Sieger, und der sollte nun über mich noch eine Bestrafung verhängen, ein Todesurteil, weil ich mich so saublöd verhalten hatte.

Als er sich sehr wütend etwas erleichtert hatte, kam er auf mich zu und sagte mir ganz ruhig und sehr leise, ich wisse ja wohl, was mich nun erwarten würde. Und weiter sehr leise, er würde mir noch eine, die letzte Chance geben, die zwar auch wohl mit ziemlicher Sicherheit nicht gut für mich ausgehen würde, aber immerhin noch eine Chance sei. Diese Chance sei aber auch für ihn eine mögliche Entlastung gegenüber dem, was er sonst unweigerlich tun müsse. Er würde jetzt das Zimmer für einen kurzen Augenblick verlassen. Auf seinem Schreibtisch läge ein Marschbefehl in dem noch kein Name vermerkt sei, der die Order enthalte, aus einem Kfz-Heimatpark in Spremberg Fahrzeuge zu übernehmen und dem Regiment zuzuführen, soweit das überhaupt noch möglich sei. Wenn er ins Zimmer zurück käme, der Marschbefehl noch auf seinem Tisch liege und der dämliche Obergefreite noch im Zimmer sei, dann hätte er keine andere Möglichkeit, als mich den Feldjägern zu übergeben.

Ich hatte es nicht fassen können, dass mich ein anderer Landser verpfiffen und ich nun wohl mit dem Schlimmsten zu rechnen hatte, so oder so. Das eine war die absolut tödliche Gewissheit, vor ein Standgericht zu kommen, und das andere war diese letzte Chance, die aber auch sehr wahrscheinlich tödlich enden würde, denn ich müsste jetzt sofort raus aus dem Haus und versuchen, durch das Trommelfeuer zu gelangen, in das man jetzt keinen Hund jagen würde. Aber mir blieb keine andere Möglichkeit, als von der angebotenen Chance Gebrauch zu machen. So schnappte ich mir den Marschbefehl, als der Oberleutnant den Raum verlassen hatte, und verschwand schnurstracks nach draußen. Aus dem Keller hatte ich nichts zu holen, ich befand mich ja in voller Montur als ich mich meldete, mit Karabiner, Gasmaske und Brotbeutel und in Uniform. Wobei es wohl auch nicht gut gewesen wäre, noch einmal in den Keller zu gehen, wo mein "guter Kamerad" hockte und sicher auf mein Ende wartete.

Es kostete schon eine ziemliche Überwindung, bei dem starken Beschuss aus dem Haus zu gehen und zu versuchen, unter dem Trommelfeuer der Ari, der Granatwerfer und nun auch noch der Stalin-Orgeln in dem verhältnismäßig freien Gelände "rückwärts" vorwärts zu kommen. Da gab es nur die schon einmal bewährte Möglichkeit, das zu tun, was ich in der Rekrutenzeit so verflucht hatte, nämlich auf allen vieren zu robben und zwischen den Einschlägen der Granaten, immer ein Stück weiter voran zu kommen. Deckung gab es kaum in diesem Gelände, es war eine Tortur sondergleichen, flach auf dem Boden liegend dahin zu kommen, wo eine Straße sein müsste, auf der ein besseres Vorankommen möglich sein könnte. Meine Hoffnung war, aus dem Trommelfeuer herauszukommen, bevor es weiter vorverlegt und dann die russische Infanterie angreifen würde.

Es gelang mir, eine Straße zu erreichen und einen dort fahrenden Sanka (Sanitätskraftwagen) anzuhalten und von dem mitgenommen zu werden. Das Wort Wunder ist schon wiederholt von mir benutzt worden, und es wirkt sicher schon reichlich abgedroschen, aber das war hier ein wirkliches Wunder. Jetzt war ich in Sicherheit, ich hatte alles überstanden, das mögliche Standgericht und auch das mörderische Trommelfeuer. Ich war mit dem Leben wieder einmal davongekommen. Der Denunziant hatte sein Ziel nicht erreicht, und dem Oberleutnant musste ich dankbar für sein Verhalten sein. Er hatte mir damit mein Leben gerettet, und ich hoffte und wünschte, dass dieser Mann den Krieg auch lebend überstehen würde.

Es gab sie also noch immer, die Fanatiker, und das kurz vor dem Ende. Dieser Stabsgefreite wusste genau, was mir geschehen würde, aufgrund seiner Meldung über den üblen Wehrkraftzersetzer. Er nahm bewusst in Kauf, dass diese Meldung mein Todesurteil besiegeln würde. Dieser "Kamerad" war sicher kein fanatischer Nazi, der war ein ganz normaler, einfacher Mensch, der sich aber als ein "Draufgänger" ausgezeichnet hatte und für den ich ein Verräter war, der angezeigt werden musste. Für ihn war das Töten und Totschlagen im Krieg wohl eine solche Selbstverständlichkeit geworden, dass er den Tod eines Verräters nicht nur hinnahm, sondern den auch als gerechte Strafe für einen Lumpen ansah, denn das war ich doch in seinen Augen. Ich verriet durch mein Verhalten sicher seine Ideale, vielleicht auch nur sein Landsknechtwesen, ganz sicher aber sein Deutschtum, seinen Patriotismus. Verräter gehörten jetzt ganz einfach einen Kopf kürzer gemacht und am nächsten Baum aufgehängt zu werden. Und es gab noch viel solcher Fanatiker, auch dann noch, als das Ende da war und die Überlebenden in Gefangenschaft kamen, auch das "durfte" ich später noch erleben.


lo