> Werner Mork: Im Kriegsgefangenenlager Horazdovice

Werner Mork: Im Kriegsgefangenenlager Horazdovice

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Februar 2010:

Seit Mai 1945 saß ich ehemaliger Wehrmachtssoldat in einem Kriegsgefangenenlager im tschechischen Horazdovice. Mit meinen Ex-Kameraden und ihrem alten Korpsgeist hatte ich nicht viel zu tun. Ich verschwand aus ihrem Dunstkreis und verzog mich in eine entferntere Ecke des Lagers, wo ich mir dann mit Hilfe eines anderen Obergefreiten ein Loch in den Erdboden grub, ein Loch, das nun kein "Schützenloch" mehr war, sondern die "Schlicht-Behausung" eines Kriegsgefangenen, der darauf wartete, bald nach Hause zu kommen. Erdlöcher waren jetzt das Domizil aller im Lager von Horazdovice befindlichen Kriegsgefangenen, auch die "hohen Herren" mussten sich mit einem Erdloch zufrieden geben, was sie durchweg auch selber graben mussten, und die meisten von ihnen taten solches wohl zum ersten Mal in ihrem bisherigen soldatischen Dasein. Alle kampierten in diesem Lager auf freiem Gelände bzw. im Erdboden - und das bei jedem Wetter. Es gab keinen Schutz vor Regen und Gewitter, auch nicht vor der Sonne, die es in diesem Jahr so gut meinte, dass es fast unerträglich war.

Das Lager wurde von einer amerikanischen Sturmgeschütz-Einheit bewacht, deren Kommandeur auch der Lagerkommandant war. Die Amis hatten das Lager fein säuberlich eingezäunt und ringsherum die Sturmgeschütze postiert, die ihre Rohre drohend ins Lager richteten.

Innerhalb nur sehr kurzer Zeit war im Lager eine sehr schlimme Stimmung entstanden, die geprägt war von einem furchtbaren Hass auf die Tschechen. Der hatte seine Ursache in den uns zu Ohren gekommenen Gräuel der Tschechen gegenüber den Deutschen in Prag. Die waren bekannt geworden durch Soldaten und zivile Deutsche, die sich aus Prag noch hatten retten können und sich, aufgegriffen von den Amis, hier im Lager befanden. Von ihnen hörten wir von bestialischen Grausamkeiten, besonders ausgeübt an deutschen Frauen und Mädchen, die auf deutschen Dienststellen in Prag tätig gewesen waren. Sie berichteten auch von den vielen Toten, die regelrecht ermordet worden waren, wie es auch uns hätte ergehen können, in dem Ort, wo die Tschechen uns hatten lynchen wollen. Das war das eine, was die Gemüter erhitzte, das andere war die Tatsache, dass bewaffnete Tschechen um unser Lager herum Stellungen bezogen hatten. Sie lauerten darauf, dass deutsche Soldaten ihnen in die Hände fallen würden, die entweder aus dem Lager ausbrechen wollten oder die als Flüchtlinge in die Umgebung des Lagers kamen. Sie wurden von den Tschechen grausam umgebracht. Diese Freiheitskämpfer waren dann so freundlich, dass sie die Leichen der ermordeten deutschen Soldaten nachts vor dem Lager-Eingang "ablegten", bis die Amis das Treiben endlich verhinderten, auch aus eigenem Entsetzen über das Geschehen.

Das alles hatte im Lager zu einer sehr explosiven Stimmung geführt mit Hass und Wut auf die unmenschlichen Tschechen, und es kam verbreitet die Meinung auf, dass man an diesen Mördern noch einmal Rache nehmen müsste, und das mit Hilfe der westlichen Alliierten, weil es Gerüchte gab, wonach die Engländer und die Amerikaner sich schon bald gegen die Russen wenden würden. In diesem neuen Krieg würden dann auch deutsche Soldaten auf der Seite der Alliierten kämpfen, wobei dann sicher auch die Tschechen nicht ungeschoren bleiben würden. Die Mehrheit der gerade entwaffneten deutschen Landser war bereit, sich in dem Fall freiwillig den Amerikanern zur Verfügung zu stellen, als erprobte Kämpfer gegen die Russen, aber auch, um den verdammten Tschechen dann blutig das heimzuzahlen, was sie derzeit den Deutschen angetan hatten bzw. noch antun würden. Mit dem "Gesindel" würde dann endgültig aufgeräumt. In dem Zusammenhang wurden auch gerne so genannte Latrinenparolen zur Kenntnis genommen, in denen davon geredet wurde, dass angeblich schon irgendwo von den Amis aus kriegsgefangenen Deutschen neue Einheiten zusammengestellt würden, für den unvermeidbaren Krieg gegen die Russen. Das wurde nicht nur geglaubt, sondern auch mit einer gewissen Begeisterung für bare Münze gehalten. Nicht wenige waren bereit, schon wieder Waffen in die Hand zu nehmen und nun mit Hilfe vor allem der Amerikaner gegen die Bolschewisten zu kämpfen und den Russen ein endgültiges Ende zu bereiten, diese "Untermenschen" doch noch zu besiegen. Und das mit den schier unerschöpflichen Möglichkeiten der Amis an Material, Waffen und Munition. Der deutsche Osten würde wieder frei werden und es würde dann auch der Weg frei sein, um im polnischen und slawischen Osten das Land für Deutschland zu erobern, das wir doch so dringend benötigten! Der Drang hin zum Osten entstand schon wieder neu bei vielen von denen, die gestern noch vom Krieg nichts mehr hatten wissen wollen, aber nun glaubten, mit der gewaltigen Macht der Amerikaner doch noch "ihren" Russland-Feldzug für sich entscheiden zu können.

Alles was geschehen war, was sie selber erlebt und hatten durchmachen müssen, schien von vielen schon vergessen worden zu sein, sie wollten im nachhinein doch noch zu den Siegern gegen die Russen, gegen den Bolschewismus gehören - und das nur kurze Zeit nach der bedingungslosen Kapitulation an allen Fronten des unseligen Krieges. Es dauerte schon etwas, bis ich begriff, dass das keine verqueren Einzelmeinungen waren, die da in Umlauf kamen. Die waren in vielen Köpfen vorhanden, nicht zuletzt auch bei den Offizieren, von denen etliche sich ganz offen in dem Sinne äußerten, dass es bald wieder losgehen wird, gemeinsam mit den Amis gegen die Russen. Was wir, die Deutschen, den anderen angetan hatten, war zum Teil schon "erfolgreich" verdrängt worden von diesen neuen Kreuzzüglern. Das gerade durchgemachte Grauen, das erlebte Elend existierte kaum noch. Der neue Kampf konnte beginnen, nun gemeinsam mit den Amis, die uns ja auch unbedingt gebrauchen konnten, waren wir doch die Spezialisten im Kampf gegen die Kommunisten. Wir waren die erfahrenen Ostland-Kämpfer! Auf uns waren die Amis direkt angewiesen!

Ich behaupte, dass sich sofort die meisten der Gefangenen freiwillig gemeldet hätten, wenn an einem der Tage im Lager ein entsprechender Aufruf erfolgt wäre. Und die, die da so laut wieder tönten, das waren keine Super-Nazis, keine Männer der SS, das waren ganz normale Soldaten der ehemaligen Wehrmacht, ob Landser oder Offizier. Das waren die, die noch vor wenigen Tagen nichts anderes wollten, als endlich aus der Scheiße heraus und nach Hause zu kommen. Ich verstand diese Welt wirklich nicht mehr.


lo