> Werner Mork: Lauban 1945

Werner Mork: Lauban 1945

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Februar 2010:

Während des Vormarschs der Roten Armee im Februar 1945 landete ich als Wehrmachtssoldat bei einer Einheit, die hieß "Panzer-Korps-Füsilier-Regiment 79". Es war eine Einheit, die als sogenannte "Feuerwehr" für Sonder-Einsätze vorgesehen war, zu denen sie direkt vom kommandierenden General eines Panzerkorps, Walther Nehring, befohlen wurde. Dieses Regiment unterstand keiner Division, sondern ausschließlich diesem General, und es wurde nur auf seinen Befehl da eingesetzt, wo es "brannte". Das Regiment war eine eigenständige Kampfgruppe mit allen dazu erforderlichen schweren und schwersten Waffen. Das war ein krasser Gegensatz zu den abgeschlafften Infanterie-Einheiten, die ich bis jetzt hatte erleben dürfen. Da gab es noch richtige Panzer, sogar den hochgelobten neuesten deutschen Panzer "Tiger", eine absolute Rarität. Es gab auch die neuen 15-cm-Haubitzen auf Selbstfahrlafetten, es gab sogar ausreichend Schützenpanzer und auch Granatwerfer-Einheiten bis hin zu den schwersten Kalibern. Der Gipfel war der, dass diese Einheit auch noch über eigene Flak-Geschütze verfügte, der "berühmten" 8,8 cm Flak, aber nicht für eine Luftbekämpfung, sondern für den Direktbeschuss im Erdkampf gegen angreifende feindliche Panzer. Das war im militärischen Sinn gesehen eine Ausstattung, die ziemlich einmalig war, und das jetzt, in dieser Zeit erst recht.

Es geschah in der Zeit vom 1.-5. März 1945, als die Panzergruppe Nehring in Verbindung mit anderen Korps einen Gegenangriff durchführte, bei dem es gelang, die Stadt Lauban wieder zurückzuerobern, wobei ein sowjetisches Garde-Schützen-Korps fast völlig aufgerieben wurde. Auch das Panzer-Korps-Füsilier-Regiment 79 war mit dabei. Der Erfolg wurde als sensationell hingestellt, als ein Beispiel echter deutscher Feldherrenkunst, aber auch als ein Beweis dafür, dass die deutschen Soldaten noch lange nicht geschlagen waren, dass der gute deutsche Soldatengeist noch immer vorhanden war. Diese Sensation war der Anlass, dass der "Herr" Reichsminister Goebbels sich an diese Front begab, eigens aus Berlin herbeieilte, was da noch möglich war. Gemeinsam mit General Schörner und anderen Kommandeuren trat er auf und hielt vor den zu diesem Zweck versammelten Soldaten eine schöne, begeisternde Rede, die auch so ankam, bei den Landsern da in Lauban.

"Zufälligerweise" waren fast alle PK-Männer der noch im Osten vorhandenen Propaganda-Kompanien an diesem Tag in Lauban auch anwesend. Die filmten das zu Herzen gehende Geschehen, welches dann im restlichen Teil des Reiches in die Wochenschauen der Kinos kommen sollte. Alle, die es noch sehen konnten, sollten auch sehen, was geleistet worden war von den deutschen Soldaten, wobei aber noch mehr wohl daran gedacht wurde, dieses Filmmaterial ins neutrale Ausland zu schaffen, was dann vielleicht eine entsprechende Auswirkung auf die Alliierten haben könne. Die sollten beeindruckt werden von dem, was die Wehrmacht doch noch leisten konnte.

Allerdings waren Freude und Jubel über diesen "großartigen" Gegenangriff nur von sehr kurzer Dauer. Das war nur wie ein Strohfeuer gewesen, einige Tage später war alles so mies wie gehabt. Ein Augenblickserfolg, der keine kriegsentscheidende Bedeutung oder gar Auswirkung hatte, wie der Herr Goebbels es lauthals hinausposaunte unter brausendem Beifall und Heil-Geschreie der versammelten Landser. Das ist übrigens heute noch zu sehen und zu hören auf vorhandenen Film-Aufnahmen, die das Geschehen jetzt im Fernsehen noch einmal deutlich machen. Und es wurde gejubelt an dem Tag, die Begeisterung war noch zu verspüren, als wir am nächsten Tag in Lauban einrückten.

Auf dem Weg durch die Trümmer der Stadt sahen wir schreckliche Bilder von zerstörten Fahrzeugen aller Art, von Panje-Wagen mit toten Pferden und vielen toten russischen Soldaten. Nur der Marktplatz wirkte gut aufgeräumt, auf dem am Tage zuvor Goebbels seine Rede gehalten hatte. Wir sahen bei der Gelegenheit auch die amerikanischen LKWs, die den Russen von der USA geliefert worden waren, das waren die "Studebakers", gegen die unsere noch vorhandenen LKWs geradezu erbärmlich wirkten.

Wenn es eine Steigerung der Begriffe Schrecken und Grauen gibt, dann erlebte ich diese Steigerung, als ich mit zwei anderen Landsern in ein Haus ging. Was wir sahen im Keller des Hauses war grauenhaft, und wir bekamen einen furchtbaren Schock. In dem Keller lagen die Leichen von fünf nackten deutschen Frauen, denen von der Scheide her der Unterleib aufgeschlitzt worden war. Dazu waren sicher Bajonette benutzt worden. Wir waren bei diesem Anblick nicht nur von einem Grauen erfüllt, sondern auch von einer furchtbaren Wut auf die, die so gemeine, so niederträchtige Morde begangen hatten. Wir waren in einer Verfassung, in der wir Russen, wenn sie als Gefangene jetzt vor uns gestanden hätten, bedenkenlos umgebracht hätten, ohne Rücksicht darauf, ob sie die Täter gewesen wären oder nicht. Ich glaube, da wäre auch ich wohl soweit gewesen, einen anderen Menschen umzubringen. Dann hätte ich nicht mehr stolz darauf sein können, keinen Menschen auf dem Gewissen zu haben. Was wir dort sahen, war ein für uns unbegreifbares Verbrechen, das uns in eine besinnungslose Wut versetzte. Erstmals erlebte ich da, wie schnell es geschehen kann, selber völlig unberechenbar zu werden. Unsere Wut richtete sich nicht gegen eine Ideologie, die richtete sich gegen die Unmenschen, die solches getan hatten.

Kurze Zeit später wurde unsere Einheit verlegt in den Raum von Ratibor in Schlesien, wo es zu schweren russischen Angriffen gekommen war, bei denen die deutsche Front immer stärker ins Wanken geriet.

In einem waldigen Gelände waren hier irgendwann gut geschützte Unterstände erbaut worden, in denen die Gefechtsstände des Regiments und der Bataillone untergebracht wurden, davor befanden sich die Kompanien in ihren Stellungen. Meine Aufgabe war, die Leitungen zu den eingesetzten Einheiten des Regiments und zum Stab des Generals Nehring nicht zusammenbrechen zu lassen. Durch russischen Beschuss geschah es, dass ich irgendwann nur noch eine funktionierende Leitung hatte, die führte zu einem Bataillonskommandeur, einem Hauptmann, der den Namen Tschaikowsky trug, wie der berühmte Komponist. Diesen Hauptmann hatte ich vor einigen Tagen in meiner Vermittlung kennen gelernt und wir beide hatten uns eine ganze Weile sehr gut unterhalten. Dabei hatte der Hauptmann mir gesagt, dass er mich ab und zu von seinem Unterstand aus mal anrufen würde, nur um sich mit mir etwas zu unterhalten, wenn es die Verhältnisse zuließen. Er habe den Eindruck, dass ich doch ein ganz anständiger Kerl sei, mit dem man noch leidlich vernünftig reden könne in dieser beschissenen Zeit. Zwar waren Privatgespräche im Leitungsnetz streng untersagt, aber irgendwie würde das schon hinzukriegen sein, meinten wir beide.

Es geschah dann an dem Tag, an dem sich der russische Angriff so entwickelt hatte, dass mit einem Zusammenbruch der HKL gerechnet werden musste. Plötzlich war Hauptmann Tschaikowsky in der Leitung, um mit mir zu reden. Er wollte gerne noch mit einem Menschen sprechen - gerade in diesen Augenblicken, die wohl die letzten seines Lebens sein werden. Ihm ginge gerade jetzt so vieles durch seinen Kopf, über das er in einem Gespräch mit mir gerne reden möchte, soweit der Iwan ihm dazu noch Zeit lassen würde.

Ein Gespräch über sein verkorkstes Dasein, das nun zu Ende geht. Die Lage vor seinem Gefechtsstand sei so, dass es kein Rauskommen aus dem Bunker mehr gab. Unser Gespräch wurde dann plötzlich unterbrochen, aber nach einer nur kurzen Zeit meldete er sich wieder bei mir, um mir mitzuteilen, es gäbe jetzt auch keine Verbindung mehr zu seinen Leuten. Eingesetzte Melder waren nicht an ihr Ziel gekommen, es kam auch keiner von ihnen zurück. Er hätte jetzt nur noch diese eine Leitung, als den einzigen Kontakt zu einem deutschen Soldaten, die wolle er nun nutzen, um mit mir zu sprechen, bis es vorbei sein würde. Und dann kam etwas sehr Schlimmes, etwas was ich nie habe vergessen können. Er sagte plötzlich, jetzt sind die Russen vor dem Bunkereingang und weiter: "Ich verabschiede mich nun von euch allen, von meinen noch lebenden Kameraden, lebt wohl und versucht wenigsten ihr, noch heile nach Hause zu kommen. Macht Schluss mit dem Scheißkrieg, für mich ist er zu Ende aber damit auch mein Leben, sorgt ihr dafür, dass es nie wieder Krieg gibt." Was ich dann hörte, war nur noch ein Schuss, von dem ich nicht wusste, von wem er kam. Ich musste aber annehmen, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte. Die Leitung war nun tot. Es gab keine Verbindung mehr, das Bataillon wurde fast völlig aufgerieben, und es gab auch keinen Hauptmann Tschaikowsky mehr. Ich verbeuge mich noch heute vor diesem Mann, ich ehre sein Andenken und frage mich, warum mussten Menschen so elendig krepieren, warum und wofür, für wen und für was? Vom Vaterland konnte bei mir keine Rede mehr sein. Sinnlos und hoffnungslos hatten auch hier, im Raum Ratibor, wieder deutsche Soldaten ihr Leben lassen müssen. Sinnlos aus meiner Sicht, auch wenn es noch immer die Meinung gab, dass die Russen aufgehalten werden müssten auf ihrem Weg ins Reich, auch wenn das noch viele Opfer kosten würde.


lo