Wozu das denn? Das Gemälde „Die heilige Familie“ von Paul von Joukowsky

Sven Friedrich | 4. Mai 2022

England hat die Windsors – Deutschland die Wagners…: Richard Wagner und seinen Nachkommen wurde stets eine besondere Verehrung entgegengebracht. Ein besonderes Beispiel hierfür ist das Gemälde „Die heilige Familie“ von Paul von Joukowsky aus dem Jahr 1881, das derzeit als Leihgabe in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ zu sehen ist. Sven Friedrich, Direktor des Richard Wagner Museums, aus dessen Sammlung es stammt, schildert die vergötternde Mythifizierung der Familie Wagner.

Die monumentale Realisierung von Richard Wagners Musikdramen im ausschließlich für diese reservierten Kunsttempel des Bayreuther Festspielhauses erscheint als Abbild des egomanischen Charakters des »Meisters«. So ließ sich der „schnupfende Gnom aus Sachsen mit dem Bombentalent und dem schäbigen Charakter“ (Thomas Mann) jedenfalls gerne nennen. Die hypertrophe Ästhetik von Wagners »Gesamtkunstwerk« sollte sich als eine Art Metapolitik aber auch auf vielfältige Weise als weltanschaulich und ideologisch anschlussfähig erweisen.

Insbesondere nach seinem Tod 1883 und maßgeblich betrieben von seiner Witwe Cosima, Tochter Franz Liszts, erfolgte eine Mythifizierung Wagners, wie andere Künstler sie wohl selten erfahren haben. Der „Wagnerianismus“ als veritable sektenartige Kulturreligion mit Wagners Bayreuther Wohnhaus „Wahnfried“ – heute Richard Wagner Museum – in seinem Zentrum, fand seine ideologische Fundierung durch den sogenannten »Bayreuther Kreis«“ um seinen »Chefideologen« Houston Stewart Chamberlain, der Wagners Kunst- und Kulturbegriff mit seinen antisemitischen, rassistischen und parareligiösen Bestandteilen zur politischen Ideologie erhob.

Nachdem Richard Wagner kein Testament hinterlassen hatte, verstand sich Cosima Wagner als die natürliche Erbeverwalterin und ordnete alles dem »Meister«, seinem Werk und seiner Familie unter. Indem sie ihren Sohn Siegfried als Alleinerben einsetzte, begründete sie die Wagner-Dynastie, die von Seiten der „Wagnerianer“ eine ähnlich vergötternde Verehrung erfuhr wie sie sonst nur Königsfamilien zuteilwurde. So trieb der Kult um Wagner, sein Werk und seine Nachkommen gelegentlich nachgerade groteske Blüten.

Ein besonderes Beispiel für die der Familie Wagner entgegengebrachte verhimmelnde Verehrung ist ihre geradezu peinlich kitschtriefende Darstellung als „Heilige Familie“ von Paul von Joukowsky aus dem Jahr 1881. Was heute ironisch wirkt, war leider völlig ernst gemeint: Der 12-jährige Siegfried Wagner wird hier tatsächlich als schreinernder Jesus-Knabe zu Füßen seiner Schwestern Eva, Isolde und Blandine als musizierende Engel dargestellt, während der Maler der ältesten Halbschwester Daniela v. Bülow die Rolle der anbetenden Maria und sich selbst die des entrückt himmelwärts blickenden Josef zugedacht hat. Im Hintergrund erkennt man die Türme der Bayreuther Stadtkirche, eine Säule am rechten Bildrand wird in der oberen rechten Bildecke fast unauffällig und doch entlarvend von einem Medaillon des Grafen Arthur de Gobineau gekrönt, Richard Wagners Kronzeugen der Rassentheorie… – Für die Uraufführung von Wagners christlich verbrämten „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal ein Jahr später sollte Joukowsky dann die Bühnenbilder entwerfen.

„Heilige Familie“ von Paul von Joukowsky, 1881 © Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth

1914 gerieten Festspiele und Familie allerdings in die öffentliche Schusslinie, als sich Gerüchte um die Homosexualität des »Göttersohnes« Siegfried verdichteten und Isolde, die älteste Tochter Richard und Cosima Wagners, die vor dem Gesetz jedoch als Tochter von Cosimas erstem Ehemann Hans v. Bülow galt, zur Sicherung der Erbansprüche vor allem ihres Sohnes gerichtlich gegen ihre Mutter auf Anerkennung der Vaterschaft Richard Wagners klagte. Die peinlichen Begebenheiten um den »Wahnfried-Clan« gerieten dann allerdings durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus dem Blick des öffentlichen Interesses.

Die nachfolgende Generation erfuhr vor allem durch Winifred Wagner, Ehefrau Siegfried Wagners, ihre Prägung, insbesondere nach Siegfried Wagners Tod 1930. Winifred Wagner war schon seit 1923 eng mit dem Wagnerianer Adolf Hitler befreundet, nach dessen »Machtergreifung« von 1933 die Festspiele zum Hoftheater des »Führers« und die vier Kinder Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena gleichsam zu Prinzen und Prinzessinnen des Dritten Reichs wurden.

Auch wenn die Bayreuther Festspiele heute in öffentlich-rechtlicher Hand liegen und ein Einfluss »der Familie« praktisch nicht mehr besteht, begründet vor allem die schon ideologisch verdächtige »Blutlinie« die Festspielleitung durch Richard Wagners Urenkelin Katharina und eine überproportionale Aufmerksamkeit der veröffentlichten Meinung für die Nachkommen des Bayreuther »Meisters«.

© Foto: Andrea Forster, Bayreuth

Dr. Sven Friedrich

Dr. Sven Friedrich, geb. 1963, studierte nach dem Abitur und einer Ausbildung zum Bankkaufmann Theaterwissenschaft, Neuere deutsche Literatur und Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er 1994 mit einer Dissertation über Richard Wagners Theaterästhetik promoviert wurde. Seit 1993 ist er Direktor des Richard Wagner Museums, Haus Wahnfried, mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth sowie des Jean-Paul- und Franz-Liszt-Museums der Stadt Bayreuth.