Arthur E. Imhof
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Leben wir zu lange?
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Arthur E.Imhof


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Die unsichere Lebenszeit unserer Vorfahren wurde durch eine unvergleichlich sicherere abgelöst. Noch nie lag das durchschnittliche Sterbealter so hoch wie heute; noch nie war es für so viele auch nur annähernd gleich hoch. Die Figuren 1 und 2 (Abb. unten ) rufen uns einige wesentliche Ergebnisse des tiefgreifenden Wandels in Erinnerung, und zwar vor allem Resultate jener Art, die in bezug auf unsere eigene Situation meines Erachtens noch immer zu wenig bedacht werden.

Die Abbildung 1 zeigt, wie viele unter jeweils zehn deutschen Männern und Frauen zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 1871/80 und 1981/83 ein Alter von 60, 80 oder 85 Jahren erreichten. Gewiß ist eine derartige Alterseinteilung, die nur nach Jahren fragt, willkürlich. Sie sollte deshalb auch nicht zu eng ausgelegt werden. Weder ist ein sechzigjähriger Metallarbeiter dasselbe wie ein sechzigjähriger Hochschullehrer, noch eine achtzigjährige Kriegerwitwe oder Trümmerfrau in Berlin oder Hamburg das gleiche wie eine achtzigjährige Bäuerin in Schwaben. Auch kann man Sechzigjährige von 1880 nicht mit Sechzigjährigen von 1980 gleichsetzen - wobei ein merkwürdiger Widerspruch zutage tritt. Auf Anhieb neigt man vielleicht zur Ansicht, daß Sechzigjährige heute wesentlich "jünger" seien als vor hundert Jahren. Man kann aber auch umgekehrt argumentieren und behaupten, daß Sechzigjährige damals körperlich rüstiger gewesen wären als Sechzigjährige heute, einfach deshalb, weil die weniger rüstigen damals mit sechzig Jahren gar nicht mehr unter den Lebenden weilten. Seinerzeit handelte es sich um eine relativ kleine Auswahl besonders robuster Personen, heute dagegen um die Mehrheit.

Mir geht es in dieser und in der folgenden Abbildung einzig darum aufzuzeigen, wie viele Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten "alt" und "sehr alt" wurden, und wie viele gar bis gegen die Grenzen der biologischen Lebenshülse vorstießen. Gemäß heutigem Sprachgebrauch gelten die 60- bis 80jährigen (manchmal auch nur bis 75jährigen) als die "jungen Alten" oder die "Jungsenioren", die über 80(oder über 75-)jährigen dagegen als die "alten Alten", die "Hochbetagten".

In den obersten beiden Teilfiguren von Abbildung 1 läßt sich ablesen, daß 1871/80 von zehn Männern drei und von zehn Frauen vier "alt" wurden. Je einer und je eine vermochten sich auch noch unter die "Hochbetagten" einzureihen, während in der Regel niemand seine physiologische Lebenshülse erreichte. 1901/10 wurden vier Männer und fünf Frauen "alt", 1924/26 sechs Männer und sieben Frauen, 1949/51 sieben Männer und acht Frauen, 1981/83 schließlich acht Männer und neun Frauen. Um die Jahrhundertwende könnten es neun oder zehn Männer und zehn Frauen sein. In ähnlicher Weise nahm die Zahl der Hochbetagten zu sowie die Anzahl derjenigen, die ihre physiologische Lebensspanne ausleben konnten und 85 Jahre alt wurden.

Wie nun aus der Abbildung 2 hervorgeht, verlief die Zunahme bei den Achtzig-, vor allem aber bei den Fünfundachtzigjährigen am dramatischsten. 1981/83 wurden im Vergleich zu 1871/80 "nur" zweieinhalb Mal mehr Männer und Frauen "alt", jedoch fast sechsmal mehr Männer und fast achtmal mehr Frauen "sehr alt". Die Zahl der 85jährigen Männer aber nahm um das 8,6fache, die der Frauen sogar um das vierzehnfache zu. Bezogen auf je hunderttausend Männer und Frauen heißt dies, daß in der Bundesrepublik Deutschland 1981/83 81.367 Männer und 90.154 Frauen ihr 60. 29.068 Männer und 51.593 Frauen ihr 80. und 14.000 Männer und 31.147 Frauen ihr 85. Lebensjahr vollenden konnten. Noch anders ausgedrückt lebten in der Bundesrepublik Ende 1984 3.865.000 "Jungsenioren" und 6.552.400 "Jungseniorinnen" sowie 570.500 "hochbetagte" Männer und 1.384.300 "hochbetagte" Frauen. Davon wiederum waren 172.600 Männer und 507.700 Frauen jenseits der 85. Auf Grund der höheren Lebenserwartung für Frauen befanden sich 1984 unter den Gestorbenen 128.788 Witwen über 80 Jahren, dagegen nur 40.870 Witwer im selben hohen Alter. Unter den verstorbenen Frauen über 80 waren sogar nur 12.755 noch verheiratet.

Man stelle sich diese Zahlen konkret vor: Ende 1984 lebten in der Bundesrepublik 10,4 Millionen Menschen im "Jungsenioren-Alter". Das ist gleich viel, wie ganz Bayern Einwohner hat (10,9 Millionen). Und die 1,95 Millionen "Hochbetagten" sind wiederum so viele, wie die fünf Städte Stuttgart, Hannover, Nürnberg, Bonn und Würzburg zusammen Einwohner haben (561.200 + 510.800 + 466.100 + 292.600 + 129.400 = 1,96 Millionen). Um schließlich einen letzten Vergleich anzuführen, so gab es 1984 unter den Witwen über 80 Jahren gleich viele Todesfälle, wie ganz Würzburg Menschen zählt.

 

 
           
 
 
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