Günter Roski
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Jugendliche in der DDR
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Deutschland um 1900

DDR
BRD


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Günter Roski


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Einer Diskussion von Veränderungen gesellschaftspolitischer Einstellungen und Wertorientierungen von Jugendlichen in der DDR müssen einige Bemerkungen vorangestellt werden.

Zuverlässige sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zu politischen Einstellungen und Wertorientierungen bei DDR-Jugendlichen sind nur spärlich vorhanden. Als eine der wenigen Forschungseinrichtungen der DDR hat das ehemalige Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig zwischen 1966 und 1990 in seinen insgesamt etwa vierhundert Untersuchungen auch Daten zu Problemen des weltanschaulichen, politischen und moralischen Bewußtseins und Verhaltens jugendlicher erhoben und wichtige Veränderungstrends ermittelt.

Ergebnisse dieser historischen Vergleichsforschung gelangten jedoch bis zum Herbst 1989 nicht in die öffentliche Diskussion. Sie unterlagen einer strengen Geheimhaltung und Zensur, verordnet und ausgeübt durch die damalige Abteilung Jugend des ZK der SED, den FDJ-Zentralrat und die offizielle vorgesetzte Dienstbehörde, das Amt für Jugendfragen beim Ministerrat der DDR. Erst nach der "Wende" gelang es, rückblickend einige Ergebnisse aufzuarbeiten und zu veröffentlichen. Dieser Prozeß wurde jedoch durch die Schließung des ZIJ Ende 1990 erheblich eingeschränkt.

Der Wert der genannten Untersuchungen wird durch zwei Aspekte gemindert: Zum ersten konnten sie - wiederum durch politische Verordnung - nicht repräsentativ gestaltet werden. Die Datenerhebung erfolgte allgemein über schriftliche Befragungen im Gruppenverband. Anonymität wurde zwar zugesichert und unbedingt eingehalten, doch ist letztlich nicht völlig auszuschließen (heute jedoch nicht mehr prüfbar), daß einige Befragte unter einem gewissen Konformitätsdruck gesellschaftlich "erwünschtes" Antwortverhalten zeigten. Zur Nachprüfung der Ergebnisse eingesetzte Wiederholungstests in den siebziger und achtziger Jahren boten diesbezüglich jedoch keine Anhaltspunkte.

Zum zweiten mußten Fragestellungen zur Ermittlung von politischen Einstellungen und Wertorientierungen prinzipiell "positiv formuliert werden". Eine vorgegebene Antwortmöglichkeit lautete zum Beispiel: "Ich fühle mich mit der DDR eng verbunden", eine andere: "Ich bin vom Marxismus-Leninismus überzeugt". Hierzu konnte dann mittels Schätzskala mehr oder weniger bzw. überhaupt keine Zustimmung bekundet werden. Methodisch ist gesichert, daß eine negative Formulierung auch stärkere Kritikpotentiale herausgefordert hätte. Dies ändert jedoch nichts an der Verläßlichkeit der Trends, die unter Zugrundelegung identischer Fragestellungen ermittelt wurden.
Schließlich muß darauf verwiesen werden, daß es gerade hinsichtlich gesellschaftspolitischer Einstellungen und Wertorientierungen


keine einheitlich denkende und handelnde DDR-Jugend gab. Studenten und Schüler der dem Gymnasium vergleichbaren Erweiterten Oberschule sowie Hochschulabsolventen verhielten sich lange Zeit (bedingt durch die politisch akzentuierten Zugangsvoraussetzungen für höhere Schulen und Universitäten) deutlich systemkonformer als z.B. Lehrlinge oder junge Arbeiter in der Industrie. Auf die zunehmende gesellschaftliche Krise in der DDR ab Mitte der achtziger Jahre reagierten diese Gruppen erneut sehr differenziert: Während unter jungen Arbeitern und Lehrlingen eine Art politischen "Aussteigens" zu registrieren war, verhielt sich ein Teil der höheren Schüler, der Studenten und der Intellektuellen weiterhin systemkonform, ein anderer Teil übte - stark unter dem Eindruck der politischen Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow - zunehmend Kritik an der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR mit Zielrichtung eines reformierten "besseren" Sozialismus. Diese und weitere Differenzierungen sind zu beachten, wenn man über politische Einstellungen und Wertorientierungen DDR-Jugendlicher spricht.

Politische Einstellungen und Wertorientierungen im Kontext der siebziger und achtziger Jahre

Mit dem Bau der Mauer 1961 und der physischen Grenzziehung zwischen den Deutschen in Ost und West setzte in der DDR unter Ulbricht eine ideologische Abgrenzungs- und Diffamierungskampagne ohne Beispiel ein. Gleichzeitig kam es zu massiven Versuchen der Indoktrination und der Selbstbeschönigung des sozialistischen Systems. Ökonomisch erfolgte zunächst eine gewisse Konsolidierung. Das zunehmend ungünstigere Verhältnis von Akkumulation und Konsumtion und verfehlte Wirtschaftsstrategien zum Ende der sechziger Jahre riefen jedoch merkliche Unzufriedenheit unter der Bevölkerung und schließlich den in Moskau angeordneten Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker hervor. Mit dem VIII. Parteitag der SED sollte 1971 unter dem Leitbild einer "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" eine Wende eingeleitet werden.

Tatsächlich gelang es der DDR zum Anfang der siebziger Jahre unter Honecker, ihre internationale Position erheblich aufzubessern (völkerrechtliche Anerkennung, UNO-Mitgliedschaft). Mit einer Überbetonung der Sozialpolitik und entsprechender Gesetzgebung eroberte die SED-Führung auch innenpolitisch verlorenes Terrain zurück. Wohnungsbauprogramm, sozialpolitische Vergünstigungen und Regelungen zugunsten junger Familien und Alleinerziehender schufen neue Sympathie-Potentiale insbesondere auch unter der Jugend. Dazu trugen auch Investitionen in ein umfangreiches Freizeitangebot für junge Menschen bei, das gleichzeitig eine weitreichende politische Kontrolle sicherte (FDJ-Jugendklubs). All das änderte zwar nichts an der Geschlossenheit des gesellschaftlichen Systems, machte aber das Leben im Sozialismus erträglich und infolge der Abstinenz eines objektiven Informationssystems zum Teil sogar erstrebenswert.

Die sogenannte sozialistische Staatengemeinschaft wurde in der medialen Berichterstattung der DDR hauptverantwortlich für den Entspannungsprozeß zu Beginn der siebziger Jahre gemacht, die "Ideen des Sozialismus" schienen auf der ganzen Welt Boden zu fassen. Ein zunehmender, wenn auch bescheidener Wohlstand unter der Bevölkerung, die im allgemeinen gesicherte (wenn auch oft vorgezeichnete) Lebensperspektive erweckten übergreifend den Eindruck, daß der realsozialistische Staat eine echte Alternative zum postindustriellen Kapitalismus sein könne. Kaum jemand ahnte zu Beginn der siebziger Jahre, daß die DDR begann, über ihre ökonomischen Verhältnisse zu leben. Angesichts dessen wurde die eingeschränkte persönliche Freiheit von vielen hingenommen, lernte man, mit der "Mauer" zu leben, zumal sich die politische Propaganda noch bis in die siebziger Jahre hinein auf ein faktisches Meinungsmonopol stützen konnte.

Die Forschungsergebnisse des ZIJ spiegeln diese Prozesse seit Ende der sechziger Jahre sehr anschaulich wider. Von Beginn bis etwa zur Mitte der siebziger Jahre ist eine deutliche Konsolidierung sozialistischer Überzeugungen und Wertorientierungen bei im Grunde allen Schichten der DDR-Jugend nachzuvollziehen. Ziele und Werte der Gesellschaft wurden überwiegend angenommen - man identifizierte sich mit ihnen. Die Bereitschaft, das Erreichte auch zu verteidigen, war bei der überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen ausgeprägt. Für den größten Teil der jungen Leute schien der weltweite "Vormarsch" des Sozialismus nur eine Frage der Zeit zu sein. Diese allgemeine Euphorie machte jedoch bereits zum Ende der siebziger Jahre wieder realistischeren Einschätzungen Platz. Innenpolitisch konnte das Versprechen der SED, die Lebensqualität kontinuierlich zu steigern und an das Niveau des Westens zumindest anzupassen, nicht eingehalten werden. Außenpolitisch drohte ein Scheitern der Entspannungspolitik zwischen Ost und West. Ökonomisch wie politisch zeigte sich Stagnation, der Rückstand gegenüber den westlichen Industriestaaten, insbesondere auch im Vergleich mit der damaligen Bundesrepublik, wurde um so deutlicher sichtbar. Die beschränkte politische Steuerungsfähigkeit der

sozialistischen Staaten mit der Sowjetunion an der Spitze trat zutage. In dieser Ernüchterungsphase wurden nun um so mehr die Einschränkungen der persönlichen Freiheit durch das autoritäre System bewußt. Politische Bevormundung und Reglementierung, dazu die Einschränkung der Reisemöglichkeiten - obwohl schon seit dem Bau der Mauer wirkend - wurden nun zu zwei wesentlichen Negativ-Erfahrungen, die von Jugendlichen nur schwer zu verarbeiten waren.

 
           
 
 
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