Günter Roski
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Jugendliche in der DDR
  Link zur Homepage des DHM  
Teil 1 Teil 2 Teil 3
Teil 4

Katalog

Vorwort
Einführung

Deutschland um 1900

DDR
BRD


Aufsätze

Günter Roski


Ausstellungsarchitektur



Besucherreaktionen



Virtueller Spaziergang



Ausstellungsgrundriss



Weitere Informationen


 

Auch die Identifikation mit dem Jugendverband, der FDJ, ging in den achtziger Jahren kontinuierlich zurück. Für viele Mitglieder ohnehin nur eine Vereinigung, die Mitgliedsbeiträge erhob, verlor die FDJ parallel zur SED auch bei denjenigen an Achtung, die sich noch bis zur Mitte der achtziger Jahre offen zu ihr bekannten. Der selbst gestellte Anspruch, Interessenvertreter der gesamten Jugend sein zu wollen, mußte schon zwangsläufig an der Differenziertheit der Interessen scheitern. Insbesondere aber die in Ausbildung Befindlichen, die Schüler, Lehrlinge und Studenten, mußten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre erkennen, daß die Verbandsfunktionäre sich weit vom Denken der Basis entfernt hatten und sich lediglich damit beschäftigten, positive Bilanzen zu schreiben und die Vorgaben der SED-Führung durchzusetzen. So geriet die Verbandsspitze in Widerspruch zu den Interessen der Mitglieder. Die Jugendlichen selbst mußten erkennen, daß die FDJ (ähnlich wie die SED) nur zu ihnen stand, wenn sie sich systemkonform verhielten. So sahen 1989 nur noch vier Prozent der Lehrlinge in der FDJ ihre politische Heimat.
Den Sozialismus als Gesellschaftskonzeption stellten die Jugendlichen der DDR im übrigen nicht im gleichen Atemzug in Frage, wie sie SED und FDJ ablehnten. Bis zur Mitte der achtziger Jahre waren größere Teile der jungen Leute (unter ihnen häufiger Studenten und Intellektuelle) fest von der Durchsetzung des Sozialismus im Weltmaßstab überzeugt. Weniger als 10 Prozent hatten hier ernsthafte Bedenken. Es bedurfte der Ereignisse in Polen und der Sowjetunion, insbesondere der kritischen Lageeinschätzung Gorbatschows, um auch diese sogenannte Kernüberzeugung ins Wanken zu bringen. Im Mai 1989 glaubten nur noch 10 Prozent der Lehrlinge an den "weltweiten Sieg" der Ideen des Sozialismus. Zeitgleich ging der Lebenswert, sich für die Stärkung des Sozialismus einzusetzen, in der Wertehierarchie von einer führenden Position auf eine marginale zurück. Ende 1988 hielten das gerade noch 10 Prozent der jungen Arbeiter und Lehrlinge für bedeutsam.

 

Eine Besonderheit im Gefüge der hier diskutierten Einstellungen und Überzeugungen stellt die Verteidigungsbereitschaft der DDR dar. Diese Verhaltensdisposition wurde zwischen 1975 und 1989 erfragt. Die Ergebnisse lassen eine ähnliche Tendenz wie im Falle der DDR-Identifikation vermuten, wenngleich Meßwerte aus der Mitte der achtziger Jahre fehlen, um hier völlige Gewißheit zu haben. Bemerkenswert ist auf jeden Fall, daß für einen Teil der jugendlichen die DDR noch verteidigungswert erschien, selbst wenn die Gesellschaftskonzeption des Staates abgelehnt wurde. Das ist auf die schon erwähnten Hintergründe der DDR-Identifikation zurückzuführen, die keinesfalls nur politisch akzentuiert waren. Für viele Jugendliche gestaltete sich das Leben in der DDR zunehmend als Konflikt zwischen hoher Heimatverbundenheit und zunehmender Ablehnung der politischen Doktrin. Insofern lebten viele auch in bezug auf die Verteidigungswürdigkeit der DDR in dem Dilemma, das politische System zwar abzulehnen, die Heimat DDR aber durchaus hoch zu schätzen. In dieser Hinsicht unterschieden sich im übrigen SED-Mitglieder und FDJ-Funktionäre viel weniger von Nichtmitgliedern der Partei und FDJ-Mitgliedern als in bezug auf eindeutig politisch relevante Einstellungen. Während zum Beispiel 1989 53 Prozent der Lehrlinge die SED ablehnten, waren nur 39 Prozent nicht mehr bereit die DDR zu verteidigen. Das Moment der Heimatverbundenheit muß also stark in Betracht gezogen werden, wenn die Hintergründe eines bis zuletzt beachtlichen Verteidigungswillens der DDR durch ihre jungen Bürger diskutiert werden.

Dabei muß möglicherweise unterschieden werden zwischen der Verteidigungsbereitschaft an sich und der Bereitschaft, in der Nationalen Volksarmee Dienst zu leisten. In mehreren Untersuchungen des ZIJ zwischen 1981 und 1988 unter Lehrlingen und Schülern, die noch den Wehrdienst zu leisten hatten, wurden Vorbehalte gegenüber der NVA offensichtlich. Analysen offener Fragen aus dem Jahr 1986 erbrachten zum Beispiel, daß 30 Prozent der befragten Lehrlinge negative Erwartungen an den Wehrdienst hatten (Persönlichkeitsdeformierung, Zwang, Schikane, Repressalien) und 12 Prozent der Lehrlinge den Wehrdienst ablehnten. Positive Einstellungen und Erwartungen ließen hingegen nur 10 bzw. 4 Prozent der 17- und 18jährigen Lehrlinge erkennen. Gleichzeitig war ihre Verteidigungsbereitschaft allgemein deutlich stärker ausgeprägt.

Resümee

Gesellschaftspolitische Wertorientierungen, Einstellungen und Überzeugungen bilden im allgemeinen im Bewußtsein ein komplexes Ganzes. Sie unterliegen deshalb auch in ihrer Gesamtheit positiven oder negativen Veränderungen, wenn gesellschaftliche Entwicklungen, gebrochen über die Alltagserfahrung, eine Änderung bisher gültiger Verhaltensdispositionen als angeraten erscheinen lassen. Insofern kann man die Konsolidierung sozialistischer Wertorientierungen und Einstellungen bei DDR-Jugendlichen in den siebziger Jahren und ihren Verfall in den achtziger Jahren an der Gesamtheit dieser Einstellungen ausmachen. Hatten die zwischenzeitlichen Erfolge der DDR-Politik in der Entspannungsära zu Beginn der siebziger Jahre innen- und außenpolitisch für eine Scheinstabilität gesorgt und damit die Zustimmung breiter Teile der DDR-Jugend für die SED-Politik und die propagierten Werte des Sozialismus erlangt, so wurden diese Positionen zum Ende der siebziger Jahre, insbesondere aber in den achtziger Jahren stark erschüttert. Das wiederum hatte, im Verbund mit einer restriktiven Jugendpolitik, die Abschwächung prosozialistischer Werte und Einstellungen sowie ihren schließlichen Verfall ab Mitte der achtziger Jahre zur Folge. Dieser Verfall ab Mitte der achtziger Jahre erfaßte alle wesentlichen systembezogenen Überzeugungen und Werte, wenngleich schichtspezifisch differenziert. Begründet war er in der offenbar werdenden politischen und ökonomischen Krise des sozialistischen Weltsystems schlechthin, insbesondere jedoch in der Art und Weise der Reaktion der politischen Führung der DDR auf diese Krise. Die Ignoranz des welthistorischen Prozesses und der Versuch der SED-Führung, über einen "harten Kurs" das sinkende Schiff zu retten, ließen das Vertrauen der Jugend auf den Nullpunkt sinken. Die politischen Repräsentanten der Gesellschaft (zum Beispiel SED und FDJ) wurden zunehmend abgelehnt. Hingegen hielt sich die DDR-Verbundenheit (und die Bereitschaft zur Verteidigung der DDR) etwas länger auf höherem Niveau, offensichtlich gestützt durch ein hohes Maß an Heimatverbundenheit. Auch diese Einstellung wurde jedoch 1988 und 1989 unter dem Eindruck der Krise politisch überlagert, jedoch nicht völlig verdrängt. Auch von daher erklären sich die nach 1989 in Meinungsumfragen ermittelten "Rest-Potentiale" von DDR-Verbundenheit.

© Günter Roski, 1993

 
           
 
 
GO! Link zur Homepage des DHM Zurück Zurück zur Homepage Sitemap Gästebuch Nach Oben Zur nächsten Seite Vergrößern "Im GST-Lager" "Absolvent der Offiziershochschule"