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Auch die Identifikation mit dem Jugendverband,
der FDJ, ging in den achtziger Jahren kontinuierlich zurück.
Für viele Mitglieder ohnehin nur eine Vereinigung, die Mitgliedsbeiträge
erhob, verlor die FDJ parallel zur SED auch bei denjenigen an
Achtung, die sich noch bis zur Mitte der achtziger Jahre offen
zu ihr bekannten. Der selbst gestellte Anspruch, Interessenvertreter
der gesamten Jugend sein zu wollen, mußte schon zwangsläufig
an der Differenziertheit der Interessen scheitern. Insbesondere
aber die in Ausbildung Befindlichen, die Schüler, Lehrlinge
und Studenten, mußten in der zweiten Hälfte der achtziger
Jahre erkennen, daß die Verbandsfunktionäre sich weit
vom Denken der Basis entfernt hatten und sich lediglich damit
beschäftigten, positive Bilanzen zu schreiben und die Vorgaben
der SED-Führung durchzusetzen. So geriet die Verbandsspitze
in Widerspruch zu den Interessen der Mitglieder. Die Jugendlichen
selbst mußten erkennen, daß die FDJ (ähnlich
wie die SED) nur zu ihnen stand, wenn sie sich systemkonform verhielten.
So sahen 1989 nur noch vier Prozent der Lehrlinge in der FDJ ihre
politische Heimat.
Den Sozialismus als Gesellschaftskonzeption stellten die Jugendlichen
der DDR im übrigen nicht im gleichen Atemzug in Frage, wie
sie SED und FDJ ablehnten. Bis zur Mitte der achtziger Jahre waren
größere Teile der jungen Leute (unter ihnen häufiger
Studenten und Intellektuelle) fest von der Durchsetzung des Sozialismus
im Weltmaßstab überzeugt. Weniger als 10 Prozent hatten
hier ernsthafte Bedenken. Es bedurfte der Ereignisse in Polen
und der Sowjetunion, insbesondere der kritischen Lageeinschätzung
Gorbatschows, um auch diese sogenannte Kernüberzeugung ins
Wanken zu bringen. Im Mai 1989 glaubten nur noch 10 Prozent der
Lehrlinge an den "weltweiten Sieg" der Ideen des Sozialismus.
Zeitgleich ging der Lebenswert, sich für die Stärkung
des Sozialismus einzusetzen, in der Wertehierarchie von einer
führenden Position auf eine marginale zurück. Ende 1988
hielten das gerade noch 10 Prozent der jungen Arbeiter und Lehrlinge
für bedeutsam.
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Eine Besonderheit im Gefüge der hier
diskutierten Einstellungen und Überzeugungen stellt die Verteidigungsbereitschaft
der DDR dar. Diese Verhaltensdisposition wurde zwischen 1975 und
1989 erfragt. Die Ergebnisse lassen eine ähnliche Tendenz
wie im Falle der DDR-Identifikation vermuten, wenngleich Meßwerte
aus der Mitte der achtziger Jahre fehlen, um hier völlige
Gewißheit zu haben. Bemerkenswert ist auf jeden Fall, daß
für einen Teil der jugendlichen die DDR noch verteidigungswert
erschien, selbst wenn die Gesellschaftskonzeption des Staates
abgelehnt wurde. Das ist auf die schon erwähnten Hintergründe
der DDR-Identifikation zurückzuführen, die keinesfalls
nur politisch akzentuiert waren. Für viele Jugendliche gestaltete
sich das Leben in der DDR zunehmend als Konflikt zwischen hoher
Heimatverbundenheit und zunehmender Ablehnung der politischen
Doktrin. Insofern lebten viele auch in bezug auf die Verteidigungswürdigkeit
der DDR in dem Dilemma, das politische System zwar abzulehnen,
die Heimat DDR aber durchaus hoch zu schätzen. In dieser
Hinsicht unterschieden sich im übrigen SED-Mitglieder und
FDJ-Funktionäre viel weniger von Nichtmitgliedern der Partei
und FDJ-Mitgliedern als in bezug auf eindeutig politisch relevante
Einstellungen. Während zum Beispiel 1989 53 Prozent der Lehrlinge
die SED ablehnten, waren nur 39 Prozent nicht mehr bereit die
DDR zu verteidigen. Das Moment der Heimatverbundenheit muß
also stark in Betracht gezogen werden, wenn die Hintergründe
eines bis zuletzt beachtlichen Verteidigungswillens der DDR durch
ihre jungen Bürger diskutiert werden.
Dabei muß möglicherweise unterschieden
werden zwischen der Verteidigungsbereitschaft an sich und der
Bereitschaft, in der Nationalen Volksarmee Dienst zu leisten.
In mehreren Untersuchungen des ZIJ zwischen 1981 und 1988 unter
Lehrlingen und Schülern, die noch den Wehrdienst zu leisten
hatten, wurden Vorbehalte gegenüber der NVA offensichtlich.
Analysen offener Fragen aus dem Jahr 1986 erbrachten zum Beispiel,
daß 30 Prozent der befragten Lehrlinge negative Erwartungen
an den Wehrdienst hatten (Persönlichkeitsdeformierung, Zwang,
Schikane, Repressalien) und 12 Prozent der Lehrlinge den Wehrdienst
ablehnten. Positive Einstellungen und Erwartungen ließen
hingegen nur 10 bzw. 4 Prozent der 17- und 18jährigen Lehrlinge
erkennen. Gleichzeitig war ihre Verteidigungsbereitschaft allgemein
deutlich stärker ausgeprägt.
Resümee
Gesellschaftspolitische Wertorientierungen,
Einstellungen und Überzeugungen bilden im allgemeinen im
Bewußtsein ein komplexes Ganzes. Sie unterliegen deshalb
auch in ihrer Gesamtheit positiven oder negativen Veränderungen,
wenn gesellschaftliche Entwicklungen, gebrochen über die
Alltagserfahrung, eine Änderung bisher gültiger Verhaltensdispositionen
als angeraten erscheinen lassen. Insofern kann man die Konsolidierung
sozialistischer Wertorientierungen und Einstellungen bei DDR-Jugendlichen
in den siebziger Jahren und ihren Verfall in den achtziger Jahren
an der Gesamtheit dieser Einstellungen ausmachen. Hatten die zwischenzeitlichen
Erfolge der DDR-Politik in der Entspannungsära zu Beginn
der siebziger Jahre innen- und außenpolitisch für eine
Scheinstabilität gesorgt und damit die Zustimmung breiter
Teile der DDR-Jugend für die SED-Politik und die propagierten
Werte des Sozialismus erlangt, so wurden diese Positionen zum
Ende der siebziger Jahre, insbesondere aber in den achtziger Jahren
stark erschüttert. Das wiederum hatte, im Verbund mit einer
restriktiven Jugendpolitik, die Abschwächung prosozialistischer
Werte und Einstellungen sowie ihren schließlichen Verfall
ab Mitte der achtziger Jahre zur Folge. Dieser Verfall ab Mitte
der achtziger Jahre erfaßte alle wesentlichen systembezogenen
Überzeugungen und Werte, wenngleich schichtspezifisch differenziert.
Begründet war er in der offenbar werdenden politischen und
ökonomischen Krise des sozialistischen Weltsystems schlechthin,
insbesondere jedoch in der Art und Weise der Reaktion der politischen
Führung der DDR auf diese Krise. Die Ignoranz des welthistorischen
Prozesses und der Versuch der SED-Führung, über einen
"harten Kurs" das sinkende Schiff zu retten, ließen
das Vertrauen der Jugend auf den Nullpunkt sinken. Die politischen
Repräsentanten der Gesellschaft (zum Beispiel SED und FDJ)
wurden zunehmend abgelehnt. Hingegen hielt sich die DDR-Verbundenheit
(und die Bereitschaft zur Verteidigung der DDR) etwas länger
auf höherem Niveau, offensichtlich gestützt durch ein
hohes Maß an Heimatverbundenheit. Auch diese Einstellung
wurde jedoch 1988 und 1989 unter dem Eindruck der Krise politisch
überlagert, jedoch nicht völlig verdrängt. Auch
von daher erklären sich die nach 1989 in Meinungsumfragen
ermittelten "Rest-Potentiale" von DDR-Verbundenheit.
© Günter Roski, 1993
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