Deutsches
Historisches
Museum
"... alle beseelt vom Herzschlag der Arbeiterklasse" -
Der Streik in der Kunst
Klaus-D. Pohl, Seite 1 3 4 5
"Der Streik
Es gährte schon lange unter den Arbeitern; täglich fanden Versammlungen statt, in einer Reihe von Gegenden hatten sie die Arbeit bereits eingestellt, nun wurde es auch unter den Ladern unruhig. Das war nicht mehr jenes fröhlich geschäftige Treiben in den Speichern, ein ernster mürrischer Geist ging um und lähmte die Arbeit. Wenn zwei Arbeiter zusammenstanden, hatten sie heimlich mit einander zu flüstern, und nahte der Aufseher, so fuhren sie scheu auseinander. Des Abends war noch einmal große Versammlung; dabei ging es sehr stürmisch her, ein sozialdemokratischer Agitator sprach, und seinen Ausführungen gelang es, die Köpfe noch heißer zu machen. Unter Geschrei und Lärm wurde, falls die Arbeitgeber nicht auf die Mehrforderungen eingehen sollten, ein allgemeiner Streik beschlossen. Des andern Morgens saß der Kaufherr im Komptoir über seinen Büchern, da wurde ihm gemeldet, daß die Arbeiter die Speicher verlassen und sich vor der Wohnung versammelt hätten, ihn zu sprechen. Kurz entschlossen trat er hinaus - und stand seinen Arbeitern gegenüber, sein Blick sah halb trotzige halb scheue Gesichter. Der Sprecher der Arbeiter trat vor, und während er die Forderungen begründete, redete er sich mehr und mehr in Zorn. Auch von den Andern wich die Spannung des ersten Augenblicks und mit zahlreichen Zwischenrufen unterstützten sie den Redner. Ernst und streng war die Antwort, die Forderungen wurden abgewiesen, der Streik war da. Als der Kaufherr wieder bei seinen Büchern saß, rechnete er hin und her, und schwere Sorgen machten ihm den Kopf heiß: Wie lange wird es bei den vielen Verbindlichkeiten auszuhalten sein? Auch von den Arbeitern rechnete mancher gewiß seine kleinen Ersparnisse zusammen und fragte sich besorgt:: Wie lange wird es auszuhalten sein? Wochen, vielleicht Monate voll Noth und Elend! Sorgen auf beiden Seiten; in die Hofwohnung, vier Treppen hoch, ist die Sorge eingekehrt, aber auch in der Villa des Arbeitgebers klopft sie an. Wer Schuld daran war? Vielleicht beide. Hier ein wenig mehr freundliches Entgegenkommen, dort ein wenig mehr zufriedene Willigkeit, dann hätte es sich machen lassen.
"

Diese Erzählung ist abgedruckt in der als staatstreu einzuordnenden Kaiserzeitung von 1893.5 Als Illustration des Textes dient ein Ausschnitt aus Robert Koehlers Der Streik. Das Gemälde, im Mittelpunkt dieser Ausstellung und die wohl bekannteste und verbreitetste Streikdarstellung, diente hier einer sehr versöhnlichen Schilderung des Interessengegensatzes zwischen Arbeit und Kapital. Der Konfliktstoff und die Lage der Arbeiter als auf den Unternehmer angewiesene Lohnabhängige sind von dem Erzähler erkannt und akzeptiert. Er stellt sie nicht in Frage, sondern verlangt einen - modern ausgedrückt - sozialpartnerschaftlichen Umgang zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Gruppen. Das Bild war ihm - so ist anzunehmen - Inspiration zu dieser Erzählung und deren politischem Standpunkt. Koehler gab ihm Stoff für seine politische Einschätzung, zeigt doch das Gemälde keine absolut geschlossene Front zwischen Arbeitern und dem "Kaufherrn". Koehler bietet dem Betrachter, der sich in deutlicher Distanz zum Geschehen befindet, ein Kaleidoskop von Verhaltensweisen und damit auch Entscheidungsmöglichkeiten über das Für und Wider von Streikmaßnahmen und Protestverhalten an. In dem Bild wird heftig diskutiert, nicht nur zwischen dem Unternehmer und dem anführenden Arbeiter, sondern auch in der Arbeitergruppe selbst. Im Bildmittelpunkt findet eine Auseinandersetzung zwischen einer Frau und ihrem Mann statt. Sie scheint ihn zurückhalten zu wollen. V-förmig ist von dem Paar aus die Arbeiteransammlung in den Hintergrund komponiert. Aus diesen Kompositionslinien fallen eindeutig der Mann im rechten Vordergrund, der einen Stein aufheben will, und als sein Gegenpart die Mutter mit zwei Kindern in der linken Bildhälfte heraus, die zum Unternehmer aufblickt. Das neben ihr stehende Kind schafft mit seinem Blick die Verbindung zum gewalttätigen Mann. Koehler zeigt Lernprozesse auf: Lernprozesse zwischen Arbeiter und Unternehmer, zwischen Arbeiter und Arbeiter, zwischen Arbeiterin und Arbeiter. Seine realistische Gestaltung der Charaktere, die Lebendigkeit der Komposition und damit des Geschehens vermitteln dem Betrachter ein gesellschaftliches Schauspiel voller Dramatik, aber auch nachfühlendem Mitleid. Die Beliebtheit und Verbreitung dieses Bildes ist in dieser Offenheit der Teilnahme begründet - sowohl für den Betrachter aus der Arbeiterschicht, der diskutierend rezipieren konnte, als auch für den bürgerlichen Betrachter, der seinerseits Schlüsse ziehen konnte, wie die Erzählung aus der Kaiserzeitung belegt. Viele Jahre später schrieb auch der Schriftsteller Peter Weiss: "Unzählige Male, schon als Kind, hatte ich dieses Bild betrachtet und mit meinen Eltern drüber gesprochen, und immer wieder regte es die Phantasie zu neuen Auslegungen an. In der Gruppe der auf dem freiem Platz vor dem Haus versammelten Arbeiter schienen alle Entwicklungsmöglichkeiten des entstandenen Konflikts enthalten zu sein."6

Diese Offenheit riskiert, auch den bürgerlichen Betrachter statt zu erschrecken zu animieren. Dass Konflikte zwischen Arbeiter und Kapitalist mit "freundlichem Entgegenkommen" und "ein wenig mehr zufriedener Willigkeit" gelöst werden könnten, bleibt in diesem Bild, trotz seiner außerordentlichen Bedeutung in der Geschichte der Streikdarstellungen, als Möglichkeit bestehen. Eine Lösung deutet sich in diesem Bild nicht an, geschweige denn eine bildnerische Formulierung politischer Programmatik. Seine Wirkung beruht einzig und allein auf der deutlich gestalteten, physisch unruhigen Übermacht der Arbeiter. Doch dies war noch kein Programm, wie es der sozialdemokratische Arbeiter August Siegel in der zugespitzten Phase des großen Ruhrbergarbeiterstreiks von 1889 formulierte: "Kameraden! Ihr wißt, wie brutal wir die langen Jahre von unseren Arbeitgebern behandelt worden sind. Nun, daß der Streik ausgebrochen ist, ersuche ich euch, in aller Ruhe den Dingen entgegenzusehen, die jetzt kommen. Mag die Macht entscheiden, aber vor allem: haltet euch ruhig. Unruhe kann unsere Sache nur schädigen."7
 
Der Streik, Robert Koehler 1886
Der Streik,
Robert Koehler 1886.
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Robert Koehler, um 1886

Robert Koehler, um 1886.
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Der Sozialist, Robert Koehler 1885

Der Sozialist,
Robert Koehler 1885.
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Strajk, Stanislaw Lentz 1910

Strajk,
Stanislaw Lentz 1910.
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Arbeiteraufstand - Rote Fahne, Jakob Steinhardt um 1920

Arbeiteraufstand - Rote Fahne,
Jakob Steinhardt
um 1920.
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