Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung

In unserer Reihe „Wozu das denn?“ stellen wir Ihnen das großartige Sprachexperiment von Johann Fischart vor, mit dem das Wort „Geschichtsklitterung“ Einzug in die deutsche Sprache hielt.

Der Versuch, François Rabelais‘ 1533 erstmals erschienenen Roman „Gargantua et Pantagruel“ ins Deutsche zu übersetzen, gipfelte 1575 in einem großartigen Sprachexperiment: der „Affenteurlichen und Ungeheurlichen Geschichtschrift“ von Johann Fischart (1546/47–1591). Nie zuvor hatte ein Übersetzer in deutscher Sprache Ähnliches versucht, keiner vor Fischart hat einen Roman so bild- und wortmächtig geschaffen. Nach Martin Luther sticht der frühneuhochdeutsche Schriftsteller mit seinen Wortschöpfungen für die deutsche Sprache hervor. Das Werk, dessen Titel 1582 in „Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung“ geändert wurde, wird wegen seiner experimentellen Sprache auch gerne als „Finnegans Wake“ des 16. Jahrhunderts bezeichnet. Das Wort „Geschichtsklitterung“ ist hier zum ersten Mal zu lesen.

Neben dem sprachexperimentellen Stil der Übersetzung ist aber auch Rabelais‘ satirischer Ritterroman, der Fischart als Vorlage diente, von bemerkenswertem Inhalt. So ist das dort beschriebene Kloster „Thélème“ eine verkehrte Welt, in der junge Männer und Frauen gemeinsam leben, Feste feiern und sich beim Spiel unterhalten. Allein einen Paragraphen hat seine Ordensregel: „Fay ce que vouldras“ (Mach, was du willst). Neben der Ironie des Textes, der die Laster jener Zeit, insbesondere die Trunksucht anprangert, ist die Beschreibung von „Thélème“ ein frühes Beispiel einer Gesellschaftsutopie.

Ein Band mit Geschichte

Der Band aus dem Jahr 1582, den das Deutsche Historische Museum für seine Sammlung Handschriften – Alte und wertvolle Drucke 2016 erwerben konnte, ist eine Rarität mit einer eigenen Geschichte: Die Besitzeinträge des Schriftstellers und Lyrikers Friedrich Wilhelm Gotter (1746–1797) und des Philologen und Schriftstellers Carl August Böttiger (1760–1835) belegen, dass sich auch die deutsche Philologie der Aufklärung und der Romantik intensiv mit diesem Werk auseinandergesetzt haben. Als das Buch im Katalog der Versteigerung der Bibliothek Böttigers 1836 auftaucht, erhält es unter der Nr. 728 der insgesamt 12.000 Auktionstitel den Zusatz „sehr selten“. Und auch in den vergangenen 65 Jahren stand nur dieses eine Exemplar im Jahr 1984 zum Verkauf. Noch nicht dechiffriert ist das goldgeprägte Supralibros „GFW 1671“ auf dem vorderen Deckel des Bandes. Auch unter den heute noch erhaltenen Exemplaren ist diese so vollständig und im originalen Einband der Zeit erhaltene Neuerwerbung ein Unikum.

Johann Fischart: Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung Von Thaten vnd Rathen der … Helden vnd Herren Grandgusier Gargantoa vnd Pantagruel … Etwan von M. Frantz Rabelais Frantzoesisch entworffen … inn einen Teutschen Model vergossen … – [Straßburg]: [Bernhard Jobin], 1582. – [286] Bl.