„Sich selbst regieren können“ – Goethe im Interview

Damian Mallepree | 21. Mai 2019

Darf ich Euch zu einem fiktiven Interview mit Goethe einladen?
Fiktives Datum ist der 11. Juni 1786. Seit 10 Jahren übt der Geheimrat Goethe seine amtlichen Tätigkeiten aus. Wir wollten wissen, was seine Pläne für die Zukunft sind.

Herr Geheimrat von Goethe, wir kennen Sie als Dichter und als Politiker. Was macht Ihnen eigentlich mehr Freude, das Dichten oder das Regieren?

Ich sag Ihnen mal, was ich in mein Tagebuch geschrieben habe, vor fast 10 Jahren, mit 27 Jahren: „Regieren!“ Ja, ich kann sagen, dass mich meine Ämter schon ausfüllen. Aber, wie sagt man so schön, Herrschen ist leicht, Regieren schwer.

Spricht da eine gewisse Amtsmüdigkeit aus Ihnen?

Nein, ich würde sagen, Realitätssinn. Sie können sich vorstellen, dass meine jugendliche Begeisterung ein wenig eingeschlafen ist. Die meisten Politiker würden sowas ja nie zugeben. Wissen Sie, ich möchte Regieren, also ich meine, ich möchte die gesellschaftlichen Entwicklungen immer im Blick haben und entsprechend handeln. Wenn man einfach nur herrscht wie ein absolutistischer Herrscher eben, dann kann es zu Revolutionen kommen. Das kennen wir doch aus der Geschichte, dass…

…da müssen wir mal kurz einhaken. Carl August, der Herzog, ist aber doch so etwas wie ein Herrscher.

Ja, ich, weiß, ihr Hauptstadtjournalisten redet immer nur von Demokratie. Sehen Sie, Carl August war 19 Jahre alt als er sein Amt als Herzog antrat. Was hätte er machen sollen? Sehen Sie, unser Herzogtum ist doch eines von hunderten innerhalb unseres Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Und da sollen wir einfach die Bürger mitbestimmen lassen? Ich halte da überhaupt nichts von.

Wenigstens eine klare Position. Laut dem Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung und Le Globe werden die Rufe nach Mitbestimmung aber immer lauter. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ sind als populäre Forderungen von Seiten der sogenannten Rotmützen-Bewegung bekannt.

Ich kenne diese Forderungen, möchte aber weiterhin zur Besonnenheit aufrufen. Dazu gehört auch die Frage: Freiheit auf allen Gebieten der Gesellschaft? Besser nicht im Bereich der Wirtschaft! Freiheit für das kulturelle Leben, das ist wichtig und richtig. Und das fördert auch Carl August. Was meinen Sie, in einigen Jahrzehnten schon wird man von Weimar als kulturellem Zentrum sprechen.

Was ist mit Brüderlichkeit?

Ihre Frage ist mir zu abstrakt. Sie sollten Friedrich Schiller fragen. Letztes Jahr hat er doch die Ode „An die Freude“ geschrieben. Das „alle Menschen werden Brüder“ gefällt mir. Ein konkretes Beispiel von mir: Als ich vor ein paar Jahren an der „Iphigenie“ saß, in Apolda war das, hatte ich eine Schreibblockade. Ja, ich musste hehre Gedanken und hohe Worte formulieren und wusste aber gleichzeitig, dass die Strumpfwirker dort hungerten. Auch wenn man es mir nicht immer abnimmt, ich sehe aber die sozialen Nöte der Handwerker.

Noch mal zurück zu Carl August. Sie könnten die Reformen von Carl August doch stärker unterstützen.

Ich bin sein engster Berater und auch sein Freund. Das heißt, ich darf auch mal anderer Meinung als er sein. Carl August strebt eine neue Verfassung an. Da wird auch von Pressefreiheit und Meinungsfreiheit fabuliert. Nein, ich will das nicht weiter kommentieren. Das sind sonst auch kurzfristige Erscheinungen. (Anmerkung der Red.: Carl August wird seine Reformen tatsächlich nach dem Wiener Kongress wieder zurücknehmen müssen, auch Presse- und Meinungsfreiheit werden nach kurzer Zeit wieder stark eingeschränkt). Wissen Sie, was mich aber tatsächlich beschäftigt?

Legen Sie los.

Da ich ja auch Wegebauminister bin, möchte ich nicht nur gerne gescheite Straßen haben, sondern auch die Verbindungen interessieren mich. Ich würde mir wünschen, dass mein Reisekoffer alle deutschen Staaten ungeöffnet passieren kann. Ich wünsche mir, dass der Pass eines Weimarer Bürgers in Hessen nicht für den Pass eines Ausländers gehalten wird. Ich wünsche mir, dass von Inland und Ausland unter deutschen Staaten keine Rede mehr ist. Und ich wünsche mir, dass besonders die Literatur und Kultur global vernetzt wird. „Weltliteratur“ wäre doch ein passendes Stichwort.

Hört sich schön an. Erscheint mir aber auch elitär. Der Handwerker in Apolda wird davon auch nicht satt.

Ihr wollt mich nicht verstehen. Wo fangen wir denn an? Mit Almosenverteilen? Ja, das auch. Mit Bildung? Ja, ganz besonders. Und besonders mit weniger Ausgaben für die Soldaten. Und das sage ich als Kriegsminister. Sollen die jungen Menschen besser eine Ausbildung anfangen. Dann weiter Lernen und sich Fortbilden. Gerne auch meine Werke lesen (schmunzelt). Im Ernst, ich schreibe doch nicht umsonst von der Autokratie eines jeden.

Also, was meinen Sie damit, Herr Geheimrat?

Sich selbst regieren können. Ich möchte alle Menschen darin bestärken, dass sie von oben bis unten die Verantwortlichkeit dem Individuum, sich selbst also, zumuten und so den höchsten Grad von Tätigkeit in der Realisierung der sich selbst gestellten Aufgaben hervorbringen.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Frage an den Dichter: wann können wir ein neues Werk von Ihnen lesen?

Damit Sie wieder etwas haben zum Verriss? Nein, danke. Man kennt mich doch schon als den Dichter des „Werther“, berühmt bin ich schon. Ich muss umso mehr als Künstler mich bilden. Der Süden zieht mich magisch an.

 

 

Eine Zeichnung von Goethe von dem Freiheitsbaum mit einer Jakobinermütze. Entstanden 1792.

Goethes Zeichnung von dem Freiheitsbaum mit einer Jakobinermütze, 1792. (c) Goethe-Museum, Düsseldorf.

 

Dieser Beitrag wurde im Rahmen der Blogparade #DHMDemokratie von Damian Mallepree, M.A., Goethe-Museum Düsseldorf, verfasst.

Literatur

Volker Ebersbach: Carl August. Goethes Herzog und Freund. Köln 1988.

Ekkehart Krippendorf: Goethe. Politik gegen den Zeitgeist. Frankfurt 1999.

Ekkehart Krippendorf: Staat. In: Bernd Witte et al. (Hrsg.): Goethe-Handbuch 4/2. Stuttgart, Weimar 2004.

Eckart Klessmann: Goethe und seine lieben Deutschen. Frankfurt a. M. 2010.