Versteigert, verkauft, verwertet

Die Liquidation jüdischen Eigentums

Dr. Heike Krokowski | 21. April 2020

Initiiert vom Arbeitskreis für Provenienzforschung findet einmal jährlich im April der Tag der Provenienzforschung statt. An diesem Tag stellen Museen ihre aktuellen Forschungsansätze und Fragestellungen vor. Für den DHM-Blog beleuchten die Provenienzforscherinnen und Provenienzforscher des Hauses ihre meist detektivische Suche nach der Herkunft und den ursprünglichen Besitzerinnen oder Besitzern der Objekte. In diesem letzten Beitrag schildert Dr. Heike Krokowski die Herausforderung, die Herkunft klassischer Alltagsgegenstände zu ermitteln, die bei Auktionen von jüdischem Besitz vom NS-Staat „verwertet“, also zu Geld gemacht wurden.

Seit einigen Jahren ist die Provenienzforschung zu NS-Raubgut, also Gegenständen, die ihren früheren Besitzern im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Verfolgung auf unterschiedlichen Wegen enteignet wurden, ein medial stark beachtetes Thema. Zahlreiche Museen in Deutschland haben in den vergangenen Jahren Teile ihrer Sammlungen hinsichtlich solcher Objekte untersucht. Meistens werden zunächst einzelne Objektgruppen, wegen ihrer Einzigartigkeit vorrangig Kunstwerke, nach Hinweisen auf mögliche Enteignungsvorgänge – Erwerbsquellen, Besitzervermerke oder frühere Besitzerwechsel – geprüft. Nur für einen sehr kleinen Prozentsatz lässt sich aber nach wissenschaftlichen Kriterien nachweisen, dass es sich bei einem Kunstwerk oder kulturhistorischen Objekt tatsächlich um Raubgut handelt. Das überrascht und irritiert, besonders wenn man die Aufmerksamkeit bedenkt, die einzelne Restitutionen von renommierten Museen in den letzten Jahren erhielten.

Wo könnte also all der Besitz von ehemals Verfolgten geblieben sein?

Fast eine halbe Million Menschen jüdischer Herkunft lebten um 1933 in Deutschland. Sie wurden entrechtet, vertrieben, deportiert und ermordet; ihre Habe wurde vom nationalsozialistischen Staat „verwertet“ – zu Geld gemacht. Wer war beteiligt, wer hatte davon einen Nutzen? Und kann man solchen Gegenständen heute noch auf die Spur kommen?

Als jüdische Menschen aus Verzweiflung Deutschland verließen und in die Emigration gingen, konnten sie meist nur den geringsten Teil ihrer Habe mitnehmen. Viele Wohnungseinrichtungen, einfacher Hausrat, Möbel und Kleidung, aber zum Teil auch Antiquitäten, Kunstwerke oder ganze Bibliotheken mussten zurückbleiben. Ab 1939 waren die meisten Bürgerinnen und Bürger jüdischer Herkunft gezwungen, ihre Wohnungen und Häuser aufzugeben, weil ihnen nur ein sehr begrenzter Raum zum Leben zugestanden wurde. Ihre Einrichtungen und ihre Habe waren nun „überzählig“. Mit den großen Deportationswellen ab 1941 blieb auch deren Besitz zurück. All dieses Eigentum fiel an den nationalsozialistischen Staat, der es verwertete und die Erlöse den Staatsfinanzen zuführte. Die Versteigerungen, die die Finanzbehörden zu diesem Zweck durchführen ließen, fanden in aller Öffentlichkeit statt – in Gaststätten, Turnhallen oder auf offener Straße. Gekauft haben bei diesen Gelegenheiten ganz „normale“ Menschen, nicht nur Parteifunktionäre oder hartgesottene Nationalsozialisten, sondern Nachbarinnen und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen und Bekannte der ehemaligen Besitzerinnen und Besitzer. Zu Beginn der 1940er Jahre waren diese Versteigerungen fast alltäglich, sie waren ein „Event“, eine Abwechslung von dem immer beschwerlicher werdenden Kriegsalltag. Die Bevölkerung nahm regen Anteil und sah die Gelegenheit für „Schnäppchenkäufe“. Zum Teil wurden die Versteigerungen in großen Lagerhallen durchgeführt und in der örtlichen Zeitung annonciert, häufig mit dem Hinweis, dass das Versteigerungsgut aus „nichtarischem“ Besitz stamme. Oft wurden diese Auktionen aber auch direkt in der Wohnung des früheren Besitzers oder vor dem Haus durchgeführt. In beiden Fällen wussten die Käuferinnen und Käufer, woher die Tischdecke, der Anzug oder das Nachttischchen stammten, das sie erwarben.

So gelangten ungezählte Möbel, Geschirrteile, Kleidungs- und Wäschestücke, aber auch Kunstgegenstände in die deutschen Haushalte. Die Erlöse erhielten nicht die ehemaligen Besitzerinnen und Besitzer, sondern die Staatskasse. Bis heute sind von diesen Einrichtungs- und Alltagsgegenständen vermutlich zahllose in privatem Besitz – vielleicht in Gebrauch oder verstaut und vergraben unter den Besitztümern von zwei oder drei Generationen auf Dachböden und in Hauskellern. Vieles wird aber längst im Sperrmüll oder auf der Deponie entsorgt worden sein.

Kommode (Rückseite) mit Aufschrift und Transportaufkleber © DHM

Kommode (Rückseite) mit Aufschrift und Transportaufkleber © Privat

Im Dokumentarfilm „Die Versteigerer – Profiteure des Holocaust“ von Jan Lorenzen und Michael Schönherr sagt der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe:

„Wir müssen von dem Szenario ausgehen, dass im Besitz unserer Großeltern und Eltern sich immer noch Gegenstände befinden, die einst bei der Verfolgung der Juden diesen abgepresst worden sind.“

Und die Museen? Könnten sich Kunstwerke, Kulturobjekte, Musikinstrumente oder auch Möbel aus solchen Verwertungsaktionen auch in den Museumssammlungen befinden?

Natürlich können sie dort auch sein. Sie könnten über Privatankäufe oder auf dem Umweg über Antiquitätenhändler in öffentliche Sammlungen gelangt sein. Doch anders als bei singulären Kunstwerken wie Gemälden, die oft durch Aufkleber, Aufschriften oder Auktionskataloge einwandfrei zu identifizieren sind, fällt dies bei Besteckteilen, Kinderjäckchen oder Spielzeugen ausgesprochen schwer. Für diese Art von Gegenständen gab es keine Auktions- oder Ausstellungskataloge, die man durchsuchen könnte. Und meist weisen sie auch keine Besitzermerkmale auf. So ist es fast unmöglich, z.B. eine Kittelschürze oder ein Möbelstück einem früheren Besitzer zuzuordnen – wenn dem Kleidungsstück nicht zufälligerweise ein Namensschild eingenäht worden ist oder eine Kommode einen Transportaufkleber trägt.

Kommode (Rückseite) mit Aufschrift und Transportaufkleber © DHM

Kommode (Rückseite) mit Transportaufkleber (Detail) © Privat

Was können kulturhistorische Museen tun, um Sammlungsobjekte solcher Herkunft nicht zu übersehen? Museen müssen ihre Objekte genau anschauen und überprüfen, woher sie erworben wurden. Je aufmerksamer die Menschen dafür sind, die mit den Objekten in einem Museum arbeiten, desto eher können womöglich Hinweise auf frühere Besitzer entdeckt werden. Und dann fängt die schwierige und manchmal sehr zeitaufwendige Recherche an, um festzustellen, ob die Tasse, das Steckenpferd oder der Sessel geraubt worden sein könnten – oder nicht.

Quellen

Wolfgang Dreßen: Aktion 3. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn, Berlin 1998.

Bettina Leder-Hindemith/Susanne Meinl: Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 – 1945, Ausstellungskatalog, o.O. (Frankfurt/M.) 2005.

Susanne Meinl/Jutta Zwilling: Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt/New York 2004.

„Die Versteigerer – Profiteure des Holocaust“, Dokumentarfilm von Jan Lorenzen und Michael Schönherr, Koproduktion MDR/NDR/Hofrichter & Jacobs GmbH, Berlin 2018.

„Mariannes Heimkehr. Die Jüdin, der Beamte und das Dorf“, Dokumentarfilm von Gert Monheim und Stefan Röttger, WDR 2003.