Farbe bekennen

Presse- und Auftragsfotografie in der DDR

Carola Jüllig | 1. Dezember 2020

Zu den Sammlungen des Museums für Deutsche Geschichte in der DDR gehörten Fotobestände, die 1990 in das Bildarchiv des Deutschen Historischen Museums eingingen und seitdem kontinuierlich erweitert werden. Neben kritischen und sozialdokumentarischen Aufnahmen wurde seit Beginn der 1990er Jahre auch der Bestand an offiziellen Pressefotografien über den Erwerb von Vor- und Nachlässen sowie Schenkungen zunehmend ausgebaut. Carola Jüllig, Sammlungsleiterin Bild, gibt für den DHM-Blog einen Einblick in den Bestand dieser Sammlung.

Eine junge Frau, bekleidet mit rotem Kopftuch, rot gestreifter Bluse und blauer Hose, zeichnet sich vor dem makellosen Blau des Himmels ab. Sie umfasst lächelnd das Lenkrad eines Traktors, dessen rote Lenkstange gen Himmelblau ragt, ihr fester Blick geradeaus gerichtet. Mit diesem eingängigen Motiv von Martin Schmidt warb das Deutsche Historische Museum 2014 für die Ausstellung „Farbe für die Republik. Auftragsfotografie vom Leben in der DDR“. Sie war ein erster Versuch, sich mit einem bis dahin vernachlässigtem Thema der DDR-Fotografie auseinanderzusetzen: der Rolle der Farbfotografie in der Presse- und Auftragsfotografie seit den 1960er Jahren.

Wie Farbe in die Foto-Sammlung des DHM kam

Mit dem Ende der DDR war in der Bundesrepublik das Interesse an den künstlerischen Hinterlassenschaften des „anderen Deutschland“ gewachsen. Im Bereich der Fotografie wurden zunächst vor allem die künstlerischen, kritischen und sozialdokumentarischen Aufnahmen von DDR-Fotografen ausgestellt, publiziert und erforscht, die in ungeschminktem Schwarz-Weiß hinter die propagandistische Oberfläche des Sozialismus blickten. Entsprechende Motive, etwa von Ute und Werner Mahler, Gundula Schulze-Eldowy oder Harald Hauswald, wurden in den Sammlungsbestand des Museums aufgenommen.

Seit Beginn der 1990er Jahre sammelt das Deutsche Historische Museum aber auch und vor allem Vor- und Nachlässe von DDR-(Presse-)Fotografen. Dieser neue Schwerpunkt entstand zum einen durch die Übernahme der umfangreichen Sammlungsbestände des Museums für Deutsche Geschichte 1990 mit dem Ziel, diese Bestände vielfältig auszubauen. Zum anderen boten einige Fotografen, deren berufliche Laufbahn mit der DDR – und somit ihrer Auftraggeber – endete, ihr Lebenswerk dem Museum an – eine Chance, die das Museum gern ergriff, um sich dem bisher weitgehend unbeachteten Gebiet der Presse- und Auftragsfotografie zu widmen.

1992 und 2002 kamen die Archive der Bildjournalisten Martin Schmidt (1925-2019) und Kurt Schwarzer (1997-2012) in die Sammlung des Deutschen Historischen Museums. Die Bildreporter waren typische Vertreter ihres Faches: Beide waren Autodidakten, wie viele Fotografen und Bildreporter (die Mehrheit war männlich), deren Berufsweg in den 1950er Jahren begann, und verstanden sich dem Berufsstand der Journalist*innen zugehörig; als Freiberufler gehörten sie in der DDR allerdings zu einer Minderheit. Sie übergaben dem Museum jeweils mehrere zehntausend Negative, meist schwarz-weiß, aber auch farbig, sowie Farbpositive. Die Fotografien decken eine breite Themenpalette ab, da beide für ganz unterschiedliche Auftraggeber – Redaktionen, Verlage, Betriebe, Massenorganisationen – arbeiteten. Martin Schmidt spezialisierte sich auf Motive aus der Landwirtschaft und arbeitete für die „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ und andere Massenorganisationen, während Kurt Schwarzer vor allem für Frauenzeitschriften, aber auch für Kochbücher fotografierte. Ihre Aufnahmen gewähren uns heute Einblicke in das Arbeits- und Alltagsleben der DDR von den 1950ern bis in die 1980er Jahre – freilich immer unter dem Vorzeichen der „Schere im Kopf“, denn kritische Bilder ließen sich nicht verkaufen; der Fotograf wusste, „was ging“. Veraltete Maschinen und Fabrikanlagen oder Warteschlangen vor Geschäften waren keine erwünschten Bildmotive, sollten die Aufnahmen doch Optimismus und Aufbruchstimmung auf dem Weg in die sozialistische Gesellschaft vermitteln; sie zeigen uns aber dennoch Ausschnitte aus der Lebenswirklichkeit der DDR.

Die nächste Generation

Einer anderen, jüngeren Generation gehörte Uwe Steinberg an. Der 1942 geborene Fotograf starb bereits 1983, hinterließ aber ein umfangreiches und vielfältiges Werk, das 2017 vom Deutschen Historischen Museum erworben wurde. Auch Steinberg begann als fotografischer Autodidakt, schloss nach dem Abitur 1961 und Tätigkeiten bei ADN-Zentralbild ein Fernstudium an der „Fachschule für Journalistik“ in Leipzig ab und gründete 1969 in Berlin die „Gruppe Jugendfoto Berlin“. Erst 1974 begann er ein vierjähriges Fotografie-Fernstudium, ebenfalls in Leipzig. Bekannt wurde Steinberg mit seinen poetischen Impressionen aus Berlin, wie etwa Fotografien aus der Markthalle am Berliner Alexanderplatz, und seinen zahlreichen Reportagen für die Neue Berliner Illustrierte (NBI), für die er seit 1970 fotografierte. Umso mehr überrascht die große Anzahl von Farbaufnahmen im Werk von Uwe Steinberg, waren doch die Möglichkeiten, Farbfotos in Magazinen und Zeitschriften zu veröffentlichen, aufgrund technischer und ökonomischer Probleme begrenzt. Die auflagenstarke und populäre NBI jedoch profilierte sich mit aufwendigen Farbseiten, die Steinberg mit Motiven versorgte. Der Mix von schwarz-weißen und Farbaufnahmen spiegelt sich in den Aufnahmen seiner Reisen nach Ungarn, Vietnam, Kambodscha und Ägypten ebenso wie in den Fotografien von Bands, Sängerinnen und Sängern sowie Festivals. Gerade diese thematische und motivische Vielseitigkeit macht sein Werk für das Museum so interessant. Verstanden sich etwa Schmidt und Schwarzer als „Handwerker“ ohne künstlerische Ambitionen, so gehört Steinberg einer Generation an, die Fotografie als eigenständigen künstlerischen Ausdruck begriff und ihre Möglichkeiten im real existierenden Sozialismus auslotete.

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Gefärbte „Außendarstellung“

2019 erwarb das Museum den Vorlass von Peter Straube (geb. 1936). Der gelernte Elektroinstallateur arbeitete seit 1961 nebenbei als Fotograf und wurde 1973 von der Zeitschrift des Außenhandels der DDR eingestellt. Für „DDR Export“, für Broschüren und andere Werbemittel fotografierte Straube bis Ende der 1980er Jahre in allen großen Betrieben und Kombinaten der Chemie- und Textilindustrie, in Betrieben, die Fördertechnik produzierten, aus polygraphischen Betrieben, aus der Land- und Nahrungsgütertechnik, der Kältetechnik, dem Fahrzeugbau und anderen Branchen – und zwar überwiegend in Farbe. Mit diesen Aufnahmen bewarb der Außenhandel die Produkte der DDR-Betriebe, um sie ins sozialistische und nichtsozialistische Ausland zu verkaufen. Straube zeigt dabei alle Facetten der Betriebe: Produktion, Maschinen, Arbeiter und Arbeiterinnen werden ebenso ins rechte Licht gerückt wie die dort herstellten Produkte. Aufnahmen der sozialen Einrichtungen wie Kantinen, Pausenräume, Bibliotheken und der Fabrikanlagen selbst gehören ebenso dazu wie die Firmenauftritte auf der Leipziger Messe, dem wichtigsten Schaufenster der DDR-Wirtschaft. Straubes Fotografien ergänzen motivisch und vor allem auch zeitlich, da sie bis in die 1990er Jahre reichen, die Bestände von Martin Schmidt und Kurt Schwarzer und legen den Fokus noch stärker auf die Schlüsselindustrien der DDR, wie etwa die Chemie- und Textilindustrie. Sie überraschen darüber hinaus auch mit ambitionierten, abstrakt wirkenden Bildkompositionen, die an die Avantgarde-Fotografie der 1920er Jahre erinnern.

„Blick in die Gegenwart“

2020 schließlich erwarb das Museum den Nachlass des Pressefotografen Joachim Fieguth (1942 -2019). Nach seiner Ausbildung zum Fotolaboranten und dem Abschluss als Diplom-Fotograf an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig 1971, begann Fieguth, für die „Berliner Zeitung“ und das „Neue Deutschland“ zu arbeiten. Hier deckte er täglich verschiedenste Themen ab, von Staatsbesuchen, offiziellen Regierungsaktivitäten im In- und Ausland über Wirtschaft, Landwirtschaft, Sport, Kultur oder Gesundheitswesen bis hin zu Alltagsthemen. Von 1991 bis zu seinem Tod 2019 arbeitete er freiberuflich für überregionale und Berliner Tageszeitungen. Dieses sehr umfangreiche Werk besticht durch die Themenfülle, zumal Fieguth – im Gegensatz zu Schmidt, Schwarzer, Steinberg und Straube – eben auch die „große“ Politik im Bild festhielt. Darüber hinaus war er auch über das Ende der DDR hinaus aktiv, seine Bilder erzählen also auch von der Wende- und Vereinigungszeit und erweitern den Blick bis in die Gegenwart.

Insgesamt besitzt das Museum mit diesen fünf Archiven einen Schatz, der noch Grundlage vieler Ausstellungen, Publikationen oder Forschungsprojekte zum Leben und zur Fotografie in der DDR sein kann: So ist etwa für den Herbst 2022 eine umfangreiche Ausstellung zum Thema Industriefotografie im Ost-West-Vergleich in Vorbereitung.