Argula von Grumbach – ein reformatorischer Protest

Sophie Potente | 17. März 2021

„Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche.“

Argula von Grumbach ist es, die diese Worte 1523 an das Ende eines empörten Briefes an die Gelehrten der Universität von Ingolstadt setzt. Sophie Potente, wissenschaftliche Volontärin der Ausstellung „Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit“ untersucht für den DHM-Blog, warum eine Frau aus dem Volk ihre Stimme erhebt und Professoren zur Diskussion herausfordert – und das in aller Öffentlichkeit. Für das Jahr 1523 geradezu undenkbar.

Verglichen mit den meisten Frauen im 16. Jahrhundert ist über Argula von Grumbach eine reiche Dokumentation erhalten. Flugschriften, Briefe und Dokumente zeugen von ihrem Leben, welches sich ungefähr zwischen den Jahren 1492 und 1557 abgespielt haben muss.

Als geborene Reichsfreiin von Stauff wuchs sie mit dem Privileg auf, lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Zum zehnten Geburtstag schenkte ihr Vater Bernhardin ihr eine deutsche Bibelausgabe. Eine Seltenheit, da die Lektüre der heiligen Schrift durch Laien von der Kirche misstrauisch beäugt wurde. Die lateinischen Ausgaben, inhaltlich nur zugänglich für die Gelehrten, sicherte die Deutungshoheit der Kirche. Argula sprach kein Latein.

In dem Besitz dieser deutschen Bibel ist jedoch noch lange kein Akt der Rebellion zu erkennen. Die Familie war gläubig. Ein Gebetbuch aus Argulas Besitz spiegelt ihre Frömmigkeit: die Bedeutung guter Werke, die Verehrung des Altarsakraments, die Beichte und das Gebet für das Seelenheil verstorbener Mitglieder waren Teil ihres christlichen Lebens.

Bibel, Gebetbuch und ihr tiefer Glaube begleiteten sie durch ihr Leben, durch den Verlust von zwei Ehemännern und drei ihrer vier Kinder. Aber auch durch die stürmischen Jahre der Reformation: Ihr Glaube, die Lektüre der Bibel und der Schriften Martin Luthers gaben ihr das Selbstverständnis, eine gute Christin sein zu können auch ohne die Fremdbestimmung der Kirche, von der sie sich schon früh abwandte.

Medaille mit dem Porträt von Argula von Grumbach, Hans Schwarz, Nürnberg, um 1520 © Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Medaille mit dem Porträt von Argula von Grumbach, Hans Schwarz, Nürnberg, um 1520 © Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Dieses Selbstverständnis ist festgehalten in acht gedruckten Flugschriften. Argula von Grumbachs medialer Auftritt begann im Jahr 1523. Ein Brief Grumbachs wurde im Druck festgehalten. Innerhalb eines Jahres erschienen 16 Nachdrucke. Nur die Reformatoren Martin Luther und Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, erreichten mit ihren Schriften solche Resonanz. Die Umstände und Brisanz des Briefes machen den Erfolg jedoch nachvollziehbar.

Der Fall Arsacius Seehofer

Während die reformatorischen Gedanken Martin Luthers seit 1517 wie ein Lauffeuer ihre Verbreitung fanden, versuchten die bayerischen Herzöge mit strengen Mitteln dem reformatorischen Treiben Einhalt zu gebieten und so ihr Bestehen zu sichern. Die Macht von Adel und Kirche waren eng verzahnt. Sie stärkten sich gegenseitig. 1522 verfügten die Herzöge mit dem bayerischen Religionsmandat Zensur und Verbot von Büchern und Flugschriften der Lutheranhänger sowie Verbreitung und Diskussion lutherischer Lehren. Sogar Spitzel in Wirtshäusern sollen Gespräche überwacht haben.

Hochburg der antilutherischen Bewegung war Ingolstadt. Gabriel von Eyb, Fürstbischof von Eichstätt und Kanzler der Universität, war der erste deutsche Bischof, der die päpstliche Bannbulle gegen Luther veröffentlichen ließ. Auch Johann Eck, der der größte Gegner Luthers und am Entstehen der Bulle maßgeblich beteiligt war, lehrte hier.

In dieses Klima der Zensur und Verfolgung kehrte Arsacius Seehofer 1522 von seinem Studium aus Wittenberg zurück. Berauscht von den neuen Ideen und brennend für die Sache der Reformatoren, bezeichnete er Wittenberg als das neue Bethlehem, in dem Christus zum zweiten Mal geboren worden sei. Bald schon wurde er denunziert und inhaftiert. Unter Androhung von Folter sollte er 17 reformatorischen Aussagen widersprechen und zusagen, dass er wie ein Ketzer bestraft werden solle. Schlussendlich wurde er ins Kloster Ettal verbannt.

Nicht schweigen, wenn andere schweigen

Argula von Grumbach hatte die Vorgänge in Ingolstadt verfolgt und hielt es nun nicht mehr aus. Das Schweigen der anderen mache ihr eigenes Schweigen unmöglich. Das Benehmen der Ingolstädter Theologen verurteilte sie scharf, sie benähmen sich tyrannisch gegenüber Andersdenkenden und brächten menschliche und göttliche Vernunft durcheinander.

Sie war bereit, zu diskutieren, ihr Verständnis der Bibel gegen die Gelehrsamkeit der Theologen in die Waagschale zu werfen. Als besonders frech an der Herausforderung einer Frau und Laiin mag die Bitte gewirkt haben, sich auf Deutsch mit ihr auszutauschen und nicht wie üblich auf Latein.

Wye ein Christliche fraw, Argula von Grumbach, Erfurt, 1523 © Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt

Wye ein Christliche fraw, Argula von Grumbach, Erfurt, 1523 © Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt

Eine Reaktion der Universität blieb aus. Der Brief als Flugschrift veröffentlicht und mit einem aussagekräftigen Titelholzschnitt versehen, zeigt jedoch die Zustimmung von anderer Seite. Es folgten sieben weitere als Flugschriften gedruckte Protestbriefe Grumbachs an Herzöge, Gelehrte und Kleriker. Circa 30.000 Exemplare ihrer Schriften waren in kurzer Zeit im Umlauf. Der Erfolg in der breiten Bevölkerung lässt sich aber nicht nur mit den reformatorischen Inhalten erklären. Argula von Grumbach schrieb frei heraus, leicht verständlich. Ihre theologischen Argumentationen in der Volkssprache schufen eine Brücke zwischen anderen Laien und ihren Anliegen.

Der von ihr überlieferte Satz – „Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche“, bringt Grumbachs Position und mediale Wirkung auf den Punkt: Er trägt die Kraft der reformatorischen Ideen in sich und steht für ein neues Selbstbewusstsein der Gläubigen, die Stimme zu erheben unter Berufung auf das Wort Gottes. Ebenso erzählt seine Überlieferung in einer Flugschrift von einer medialen Verbreitung, die Öffentlichkeit schafft und Brisanz erzeugt – und damit den Zeitgeist traf.

Eine frühe Feministin?

Es blieb nicht bei Argulas schriftlichen Auseinandersetzungen mit den reformatorischen Inhalten. Auch die grassierende Gewalttätigkeit von Männern gegenüber Frauen, Grobheit und Untreue kritisierte sie in aller Öffentlichkeit und setzte sich für andere Frauen, die unter der Misshandlung männlicher Verwandter litten, ein. Ob sie selbst solche Erfahrungen machen musste, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass spätestens nachdem Argulas Ehemann wegen der reformatorischen Umtriebigkeiten seiner Frau aus den Diensten der katholischen Herzöge entlassen worden war, die Beziehung der beiden tief erschüttert war. Schmachvolle Worte trafen den unbeirrt katholischen Friedrich von Grumbach. Seine Frau habe er nicht zum Schweigen bringen können, einmauern hätte er sie sollen.

Während Argula von Grumbach aufgrund ihres Einsatzes für andere Frauen und das Anprangern männlicher Brutalität ihnen gegenüber oftmals als frühe Feministin bezeichnet wurde, ordnet der Grumbach-Forscher Peter Matheson ihr Handeln und Denken jedoch einzig und allein ihrer reformatorischen Überzeugung unter.

„Argula ging es nicht um ihre Rechte, sondern um die Ehre Gottes, um die Freiheit des Wortes,“ so Matheson.

„Sie sah ihr Taufgelübde als eine Ermächtigung dem Bösen öffentlich zu widerstehen, jegliche Ungerechtigkeit anzuklagen. Schweigen vor dem Unrecht sei Sünde, auch wenn man ein Bauer oder eine Frau sei.“[1]

Quellen

Grumbach, Argula von: Schriften. Bearbeitet und herausgegeben von Peter Matheson. Heildeberg 2010.

Matheson, Peter: Argula von Grumbach. Eine Biographie. Göttingen 2014.

Matheson, Peter: Argula von Grumbach und die Anfänge der Reformation. In: Greiter, Susanne/Zengerle, Christine (Hg.): Ingolstadt in Bewegung. Grenzgänge am Beginn der Reformation. Göttingen 2015, S. 17 – 34.

[1] Matheson 2015, S. 28.