Den Flammen übergeben
Zum 90. Jahrestag der deutschlandweiten Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933
Charlotte Lenz | 10. Mai 2023
Im Jahr 2023 jähren sich zum neunzigsten Mal die von der deutschen Studentenschaft organisierten, deutschlandweiten Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933. Die Werke von unzähligen Schriftstellerinnen und Schriftstellern wurden dabei aus fanatisch-ideologischen Gründen unwiederbringlich vernichtet. Charlotte Lenz, Mitarbeiterin der DHM-Bibliothek, berichtet zum Gedenken und zur Mahnung über die Hintergründe und Folgen dieser rechtswidrigen Aktionen – auch aus Sicht von Bibliotheken und deren Angestellten.
Wir befinden uns im Jahr 1933. Genauer gesagt, in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai. Seit etwa 21.30 Uhr regnet es in Strömen auf dem Berliner Opernplatz. Und dennoch gibt es etwas zu sehen: acht große Bücherberge, die unter Mitarbeit einer Firma für Pyrotechnik stundenlang am Brennen gehalten werden. Ununterbrochen wird das Feuer nicht nur mit Holzscheiten, sondern vor allem mit Büchern weiter gefüttert. Tausende Menschen beobachten hier eines der bedeutsamsten und öffentlichkeitswirksamsten Ereignisse zu Beginn des deutschen Nationalsozialismus. Tausende bekannte und unbekannte Werke der unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren werden hier gerade vernichtet.[1] Aber nicht nur in Berlin ist ein solches Schauspiel zu beobachten. In über zwanzig weiteren deutschen Städten werden parallel Bücher öffentlich verbrannt. Ebenso sind weitere, wenn auch weniger aufsehenerregende Bücherverbrennungen zwischen April und Juni 1933 in Deutschland dokumentiert. Während die meisten Anwesenden gebannt zusehen, wie die verbotenen Bücher mit feierlichen Sprüchen den Flammen übergeben werden, stehen auch einige da und fragen sich fassungslos, wie es zu diesem Spektakel überhaupt kommen konnte.
Nahezu zeitgleich mit der Machtübertragung auf Adolf Hitler Ende Januar 1933 startete auch die rechtsextremistische Einflussnahme in allen Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens. So auch in die deutsche Kultur- und Literaturpolitik, die das Ziel verfolgte, das öffentliche Leben im Sinne des Nationalsozialismus politisch zu entgiften und das deutsche Volk moralisch zu sanieren.[2] Bücher sollten fortan als Hilfsmittel für Propaganda und zur politischen Erziehung dienen. Weitere Maßnahmen sahen vor, die Werke von jüdischen und politisch unerwünschten Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Buchhandlungen und Bibliotheken auszusondern und neu veröffentlichte Publikationen vor ihrem Erscheinen einer harten Zensur zu unterziehen. Für die Säuberung der verschiedensten Kulturbetriebe, darunter neben Bibliotheken auch Museumssammlungen, wurden die sogenannten Schwarzen Listen angefertigt, die alles nun verbotene Schrifttum aufführten. Interessanterweise sind anfangs primär engagierte Bibliothekare, wie Wolfgang Herrmann, Max Wieser und Hans Engelhardt an der Erstellung dieser Listen beteiligt, mit denen zunächst nur eine Benutzungssperre der indexierten Bücher empfohlen wurde. Ab 1935 bekommen diese Verzeichnisse die amtliche Bezeichnung Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums und werden von offizieller Stelle – der Reichsschrifttumskammer – einmal jährlich herausgegeben.
In 2008 veröffentlichten Untersuchungsergebnissen zu den Phasen und Akteuren der Bücherverbrennungen 1933 werden die Hitlerjugend und die deutsche Studentenschaft als Hauptinitiatoren und -organisatoren der Bücherverbrennungen genannt.[3] Letztere planten auf Grundlage von Wolfgang Hermanns erstem Verzeichnis die Bücherverbrennungen am 10. Mai. Dieses fertigte er aus reiner Eigeninitiative heraus und in vollständiger Überzeugung des nationalsozialistischen Weltbildes zu Beginn des Jahres 1933 an.[4] Die Vorbereitungen zu dem Höhepunkt der Aktion wider den undeutschen Geist begannen bereits Anfang April, als in einem Rundschreiben des Hauptamtes für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft eine Aktion zwischen dem 12. April und dem 10. Mai 1933 angekündigt wurde. Selbst als darin jeder einzelne Studierende dazu aufgefordert wurde, die eigenen Buchbestände und die von Verwandten und befreundeten Bekannten auf regimefeindliche Literatur hin zu überprüfen, sich an der Säuberung von öffentlichen Bibliotheken im Hinblick auf indexierte Werke zu beteiligen sowie sich generell bei Aufklärungsaktionen zu engagieren[5], ahnte wohl nur eine Minderheit wirklich, welches Ausmaß die Zensur haben und was mit den beschlagnahmten Büchern geschehen würde.
Die Schriftstellerinnen oder Schriftsteller mussten nicht sehr viel tun, um selbst oder die eigenen Werke in den Fokus der Nationalsozialisten und damit auf die Schwarzen Listen zu gelangen. Zensiert wurden alle Publikationen, bei denen auch nur vermutet wurde, dass sie politischen Verrat und/oder moralischen Verfall zum Inhalt hatten, oder weil sie einfach jüdischen Ursprungs waren. Sogar die Bücher von bereits verstorbenen Autorinnen und Autoren wurden verzeichnet. Zu den tausenden von verbrannten Bänden vom 10. Mai 1933 – auch auf dem Berliner Opernplatz – gehörten u.a. die Veröffentlichungen von Arthur Schnitzler, Joachim Ringelnatz, Klaus und Heinrich Mann, Karl Marx, Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Anna Seghers.
Zahlreiche Bibliotheken und deren Angestellte hatten in der NS-Zeit offensichtlich einen großen Anteil daran, die von den Studierenden organisierte Operation zu unterstützen. Sie beteiligten sich nicht nur an der Zusammenstellung der zu verbietenden Werke, sondern ließen zumindest in öffentlichen Bibliothekssammlungen auch zu, dass diese aus ihren Beständen ausgesondert wurden. Neben dem bewussten Teilen der nationalsozialistischen Ideologie mag auch der Umstand, dass das ganze deutsche Bibliothekswesen unter parteipolitischer Aufsicht stand[6], ein Grund für die Kooperationsbereitschaft gewesen sein. Viele Bibliotheken profitierten darüber hinaus von der Beschlagnahmung von öffentlichen oder privater Büchersammlungen, die im Zuge von Arisierungskampagnen durchgeführt wurden, indem die widerrechtlich enteigneten Bücher in ihre eigenen Bestände übergingen.
Dennoch war es den Anhängern und Anhängerinnen der deutschen Studentenschaft unmöglich, an alle Exemplare der indexierten Bücher zu gelangen und diese zu vernichten. Eine vom „Preußischen Minister für Wirtschaft, Kunst und Volksbildung“ ausgehende Verordnung für wissenschaftliche Bibliotheken sah vor, dass eine „Beschlagnahmung“ und Vernichtung „jüdischer und marxistischer Literatur für die wissenschaftlichen Bibliotheken“[7] gänzlich außer Frage stand. Lediglich deren Benutzung wurde auf Benutzerinnen und Benutzer mit eindeutig wissenschaftlichem Interesse beschränkt. Sich an diese Verordnung haltend, ermöglichte mutigen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren wichtige und sowohl damals als auch heute als bedeutend angesehene Werke hinter dicken Mauern vor der Vernichtung geschützt zu bewahren. Die gewährt uns heute die Gelegenheit, diese für das Feuer vorgesehenen Bücher in den Händen zu halten. Bereits seit mehreren Jahren beteiligen sich unzählige Einrichtungen an einer aktiven Provenienzforschung, um Bücher, die in einem zweifelhaften Zugangskontext stehen, zu identifizieren und ggf. durch Restitutionen an die Nachkommen der Vorbesitzer zumindest einigen Schaden wieder gut zu machen.
Im Gedenken an den 90. Jahrestag der Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 und weil die Buchzensur auch heute immer noch ein aktuelles Thema ist, werden in der DHM-Bibliothek im Zuge einer kleinen Vitrinenausstellung noch bis August 2023 einige der bekanntesten Werke, die vor dem Feuer gerettet werden konnten ausgestellt. Zugänglich in den regulären Öffnungszeiten Mo – Fr 9.00-15.00 Uhr.
Verweise
[1] Vgl. Weidermann, Volker: Das Buch der verbrannten Bücher, 2. Auflage, 2009, S.12
[2] Vgl. Koch, Christiane: Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus, Stuttgart: Hochschule für Medien, 2022, S. 7
[3] Tress, Werner: Phasen und Akteure der Bücherverbrennungen 1933
In: Schoeps, Julius H. / Treß, Werner: Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, S. 25
[4] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Herrmann_(Bibliothekar) Letzter Zugriff: 07.03.2023
[5] Vgl. Koch, Christiane: Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus, Stuttgart: Hochschule für Medien, 2022, S. 26
[6] Vgl. ebd. S. 11
[7] Ebd. S. 63
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Charlotte LenzCharlotte Lenz ist stellvertretende Leiterin der Bibliothek des Deutschen Historischen Museums |