„Stand with Ukraine“ – ein Demonstrationsschild für die Ukraine

Interview mit Julia Franke | 24. August 2022

Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Heute, genau sechs Monate später begeht die Ukraine ihren 31. Unabhängigkeitstag. Vor diesem Hintergrund befragen wir Julia Franke, Sammlungsleiterin Alltagskultur, zu einem ganz jungen Objekt in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums, dem Schild von einer Friedensdemonstration.

Warum sammelt ein historisches Museum Objekte von heute?

Natürlich ist es nicht immer einfach, einzuschätzen, welche Beurteilung und Relevanz gegenwärtige Objekte zukünftig noch entwickeln können und werden. Aber wenn eine derartige Zäsur wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seinen Niederschlag in der deutschen Gesellschaft findet, dann handelt es sich um ein historisches Ereignis mit starken politischen Resonanzen, das sich auch in unserer Sammlung abbilden sollte. Zumal, wenn schnell absehbar ist, dass der Krieg starke Auswirkungen auf Deutschland und die Welt haben wird. Das Sammeln zeitgenössischer Objekte ist darüber hinaus eine Möglichkeit, Perspektiven unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zu repräsentieren, die in einer Sammlung ggf. noch nicht sehr ausgeprägt vertreten sind. Und es hat den großen Vorteil, dass die mit ihrer Entstehung verknüpften Erzählungen und Kontexte leichter dokumentiert werden können.

Wie sind Sie auf das Transparent aufmerksam geworden?

Es ist mir bei der Friedensdemonstration in Berlin am 13. März 2022, der zweiten Großdemonstration gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, aufgefallen. Auch wenn dort zahlreiche Schilder mit den Farben der ukrainischen Flagge zu sehen waren, war dieses selbst gemalte Demonstrationsschild sehr viel sorgfältiger hergestellt. Und es verbindet zwei zentrale Merkmale der weit verbreiteten Solidaritätsaktionen des Frühjahrs 2022 miteinander: Zum einen nutzt es die Farben der ukrainischen Flagge, die im Frühjahr im öffentlichen Raum in Deutschland zu finden waren: Die Fassaden öffentlicher Gebäude erstrahlten in den Farben der Ukraine, man hisste die Fahne der Ukraine als Zeichen der Solidarität. Zum anderen arbeitet das Schild mit der zentralen und international verwendeten englischsprachigen Losung „Stand with Ukraine“, die ja auch als Hashtag im digitalen Raum viel genutzt worden ist – umschlossen von einem Herz-Symbol, dem Symbol für (Nächsten-)Liebe, enge Verbundenheit und Solidarität.

Wie kam es in den Besitz des Museums?

Ich kam mit dem Träger des Schildes ins Gespräch, der sich als der Vater der 13-jährigen Berliner Schülerin herausstellte, die das Schild entworfen und angefertigt hatte. Aufgrund einer Fußverletzung konnte sie bei der Demonstration selbst nicht, wie geplant, mitgehen. Daher trug es ihr Vater stellvertretend für sie durch die Straßen Berlins.

Ist das bloßer Zufall oder Teil einer bewussten Strategie, die Perspektive einer 13-jährigen Schülerin in der Sammlung zu repräsentieren, also eine tendenziell marginalisierte Perspektive?

In diesem Fall ist es tatsächlich Zufall, denn die Herstellerin des Schildes war schließlich nicht diejenige, die das Schild auch selbst bei der Demonstration trug. Museale Sammlungen sind aber natürlich keine neutralen Speicher, sondern Orte gesellschaftlicher Verhandlungen und Aushandlungen. Darüber hinaus bevorzugen sie bestimmte Themen oder Aspekte eines Themas und priorisieren damit genauso bestimmte Wissensformen und auch Perspektiven. Anhand der konkreten Bestände und der damit vorherrschenden Perspektiven können oft ziemlich genaue Rückschlüsse darauf, wer dort wessen Geschichte sammelt und gesammelt hat, gezogen werden. Dennoch können auch Objekte, die vordergründig eine hegemoniale Perspektive anbieten, natürlich quer zu diesen befragt werden und auch ganz andere Geschichten erzählen als diejenigen, mit denen sie oft verbunden werden. Insofern wird es spannend sein, welche weiteren Aspekte und Themen ggf. zukünftig noch mit dem Demonstrationsschild der Berliner Friedensdemonstration verknüpft werden können.

Welche Bedeutung hat dieses Objekt?

Zunächst einmal hatte das Schild selbst eine Rolle als Akteur, denn es wurde öffentlich gezeigt. Insofern wohnt ihm etwas Performatives inne. Gleichermaßen aber haben Objekte der politischen Protestkultur auch immer etwas Ephemeres, denn Demonstrationen und Proteste sind in der Regel zeitlich begrenzt. Eine Aufnahme des Schildes in die Politik-Sammlung des DHM gewährleistet somit eine lange Abrufbarkeit der konkreten Forderungen, Losungen und – wie in diesem Fall – Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine in Deutschland.

Das Zeigen der ukrainischen Flagge beziehungsweise der ukrainischen Nationalfarben ist ein Kennzeichen des Jahres 2022 und stellt insofern eine Besonderheit dar, da andere Nationalfarben als die Deutschlands derart zahlreich im öffentlichen Raum präsent sind. Bei diesem Schild geht die Anteilnahme jedoch noch einen Schritt weiter und ruft direkt zur Solidarität auf. Der Aufruf, den Menschen in der Ukraine beizustehen, wurde und wird unterschiedlich gefüllt: Es ist ein Aufruf zur Solidarität in mehrfacher Hinsicht – sowohl mit Blick auf den Krieg in der Ukraine selbst als auch gegenüber den vielen Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, darunter eben auch nach Deutschland. Insofern sind museale Sammlungen – wie in diesem konkreten Fall – so etwas wie die Megaphone der Gesellschaft und ihrer Proteste.

© DHM/Thomas Bruns

Julia Franke

Julia Franke ist Leiterin der Sammlung Alltagskultur [Zivile Kleidung und Textilien, Politik, Religiosa, Abzeichen] am Deutschen Historischen Museum.