Otto Hirsch 1885-1941

Politiker

  • 1885
    9. Januar: Otto Hirsch wird als Sohn des jüdischen Weingroßhändlers Louis Hirsch und dessen Frau Helene (geb. Reis) in Stuttgart geboren.
    Die Familie Hirsch ist der israelitischen Religionsgemeinschaft eng verbunden und bejaht die Emanzipation und Assimilation der Juden. Auch Otto Hirsch entwickelt eine enge Bindung zur jüdischen Religion, die für seine Persönlichkeit prägend wird. Besonders schätzt er die geistig-moralische Kraft, die er aus dem Judentum ziehen kann.
  • 1902-1907
    Jurastudium in Heidelberg, Leipzig, Berlin und Tübingen.
  • 1903
    Hirsch unterbricht sein Studium für ein Jahr, um seinen Militärdienst abzuleisten.
  • 1905
    Er wird nach einer Reserveübung im Frühjahr zum Vizefeldwebel befördert. Für den Aufstieg zum Reserveoffizier fehlt ihm der Taufschein.
  • 1907-1911
    Im Anschluss an sein erstes Staatsexamen geht er für sein Referendariat nach Stuttgart und legt im Frühjahr 1911 sein zweites Staatsexamen ab.
  • 1912
    Hirsch tritt als Ratsassessor in die Stuttgarter Stadtverwaltung ein.
  • 1914
    14. Mai: Hochzeit mit Martha Loeb, aus der Ehe gehen drei Kinder hervor.
  • 1914-1918
    Nach Beginn des Ersten Weltkriegs werden Hirsch einige Sonderaufgaben in der Stadtverwaltung z.B. wichtige Aufgaben auf den Gebieten Rechtssetzung und Rationierung übertragen. Er ist für die Verwaltung unentbehrlich, so dass er nicht für den Kriegsdienst eingezogen wird.
  • 1919
    März: Nach der Novemberrevolution wird er als Berichterstatter für Schiffahrtskanalfragen, Elektrizitätsversorgung und Verwertung der Wasserkräfte ins württembergische Innenministerium berufen.
    Hirsch wird vom Ministerium nach Weimar entsandt, um an der Ausarbeitung der Paragraphen 97-100 (über die Wasserstraßen) der Reichsverfassung mitzuwirken.
  • 1921
    Hirsch wird Württembergs jüngster Ministerialrat.
    Er wird zum ersten Vorstandsmitglied der Neckar AG, die mit dem Bau eines Neckar Kanals betraut ist, gewählt. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, wird er vom Staatsdienst beurlaubt.
  • 1926
    Nachdem der Bau des Kanals aufgrund von öffentlicher Mittelbewilligung gesichert ist, beantragt Hirsch seine Entlassung aus dem württembergischen Staatsdienst.
    Er gründet mit dem Fabrikanten Leopold Marx (1889-1983) und dessen Schwager, dem Musiker Karl Adler (1890-1973), das Stuttgarter Jüdische Lehrhaus nach dem Vorbild des Lehrhauses in Frankfurt. Im Lehrhaus lernen assimilierte und orthodoxe Juden gemeinsam. Besonderer Wert wird auf den hebräischen Sprachunterricht gelegt. Das Lehrhaus dient auch als Begegnungs- und Austauschstätte zwischen Juden und Christen.
  • 1929
    Als Nichtzionist und Mitglied im liberal orientierten Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, beteiligt sich Hirsch trotzdem am Aufruf der Jewish Agency zur Unterstützung des Palästinaaufbaus.
  • 1930
    Er wird zum Präsidenten des Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg gewählt.
  • 1933
    Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten muss er seine Position in der Neckar-AG aufgeben.
    Als Präsident des Oberrats protestiert er gegen die Auswirkungen der Machtübernahme und organisiert erste Maßnahmen zur jüdischen Selbsthilfe, die als Reaktion auf die Ausgrenzung und Verfolgung der Juden entsteht.
    17. September: Hirsch ist unter den Gründern der Reichsvertretung der Deutschen Juden und wird zum leitenden Vorsitzenden ernannt, Präsident wird Leo Baeck. Die Reichsvertretung als Zusammenschluss der jüdischen Verbände vertritt die deutschen Juden gegenüber dem NS-Regime und koordiniert die jüdische Selbsthilfe.
    Als leitender Geschäftsführer siedelt er nach Berlin über.
    Hirsch repräsentiert die Reichsvertretung zum einen gegenüber den deutschen Autoritäten und stellt zum anderen ein Bindeglied zwischen der Reichsvertretung und jüdischen Hilfsorganisationen im Ausland dar. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die wirtschaftliche Unterstützung von Juden, die Verbesserung jüdischer Erziehung und die Unterstützung von jüdischer Emigration. Um die Auswanderungsmöglichkeiten für Juden zu erweitern, hält er in den folgenden Jahren mehrere Treffen mit Vertretern jüdischer Hilfsorganisationen und Regierungsmitgliedern im Ausland ab.
  • 1934
    Um sich seiner Aufgabe als Vorsitzender der Reichsvertretung vollständig widmen zu können, wird er zunächst als Präsident des Oberrats beurlaubt und legt ein Jahr später sein Amt nieder.
  • 1935
    Hirsch, den die Geheime Staatspolizei (Gestapo) als einen der Hauptvertreter des deutschen Judentums ständig überwacht, wird zum ersten Mal verhaftet. Die Verhaftung erfolgt im Zusammenhang mit einem Gebet, das Baeck den jüdischen Gemeinden für das Versöhnungsfest anempfohlen hatte. Hirsch wird aber nach kurzer Zeit wieder freigelassen.
    In den folgenden Jahren lehnt er mehrere Möglichkeiten zur Auswanderung ab. Sein Pflicht- und Verantwortungsgefühl binden ihn an Deutschland, wo er ausharren will, um zu helfen.
    Ende des Jahres kann er seine Frau und seine jüngste Tochter nach Berlin nachkommen lassen. Seine ältere Tochter folgt 1937.
  • 1938
    Juli: Er repräsentiert die deutschen Juden auf der von Franklin D. Roosevelt einberufenen internationalen Flüchtlingskonferenz. In Evian in der Schweiz beraten 32 Staaten Fragen der jüdischen Auswanderung. Das NS-Regime lehnt die Mitarbeit an der Konferenz ab. Entgegen der hohen Erwartungen der deutschen Juden ist das Ergebnis der Konferenz bescheiden.
    November: Nach der Pogromnacht protestiert Hirsch zusammen mit Baeck gegen die Synagogenbrandstiftung. Er wird zum zweiten Mal verhaftet und für zwei Wochen im Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen interniert. Der Aufenthalt setzt seinem ohnehin labilen Gesundheitszustand zu.
    Nach seiner Freilassung konzentriert er sich in seiner Arbeit in der Reichsvertretung auf die Hilfe zur Emigration.
  • 1939
    Im Juli wird die Reichsvertretung zwangsweise in die Reichsvereinigung der Deutschen Juden überführt. Hirsch wird von der Sicherheitspolizei mit Baeck und anderen zum Vorstand ernannt.
  • 1939-1941
    Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs werden die Arbeitsbedingungen der Reichsvereinigung immer schwieriger. Dennoch können noch bis zum endgültigen Verbot der Auswanderung im Oktober 1941 Juden Auswanderungsmöglichkeiten eröffnet werden.
  • 1941
    16. Februar: Verhaftung ohne Angaben eines Verstoßes gegen die Anordnungen des NS-Staates.
    23. Mai Otto Hirsch wird im KZ Mauthausen inhaftiert, wo er kurze Zeit später stirbt. Als offizielles Sterbedatum wird der Familie der 19. Juni 1941 mitgeteilt. Die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt.
Ulrike Schaper
14. September 2014

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