Kunst und Zensur

Paul Fuhrmanns Gemälde aus dem Jahr 1932 zeigt einen Künstler mit einem Besucher in seinem Atelier. Das große Fenster gibt den Blick frei auf ein modernes Bürogebäude, eine dichte Stadtlandschaft mit zahlreichen, rauchenden Fabrikschloten und eine mit zahlreichen Menschen belebte, helle Kreuzung.

Handelt es sich tatsächlich, wie man zunächst meinen könnte, um ein Selbstportrait eines Künstlers, der stolz sein geräumiges Atelier in Szene setzt?

Erst auf den zweiten Blick mag es auffallen, wie erstarrt und abgehoben von der Welt zu ihren Füßen, die beiden dunkelbraun gekleideten Personen vor dem gerade begonnenen Gemälde erscheinen.

Links im Bild sieht man den Künstler mit der Farbpalette, der dem Betrachter vor der skizzierten Leinwand zugewandt ist. Neben ihm steht ein Zigarre rauchender Mann, der mit seinem Monokel auf das angefangene Gemälde schielt. Der Künstler scheint sich von seinem Kunden beobachtet zu fühlen, der bereits zwei Bündel Banknoten und ein paar Münzen vor sich auf die Fensterbank gelegt hat. Dabei scheint es sich um den auf die Mark genau ausgehandelten Geldbetrag für das in Auftrag gegebene Gemälde zu handeln.

 

 

Der Auftraggeber ist einer Bank zugewendet: der „Bank für internationale Rüstungs-Industrie“. Auf der Fassade steht die Aufforderung „Zeichnet Kriegsanleihe“.

Der neureiche Kunde möchte vielleicht mit der Auftragsarbeit, die einen Soldaten darstellt, an den Patriotismus potenzieller Anleger appellieren.

 

Kriegsanleihe

Eine Kriegsanleihe ist ein Wertpapier, das ein Staat mit Hilfe von Banken ausgibt, um einen Krieg zu finanzieren. Jeder zweite deutsche Haushalt investierte während des Ersten Weltkrieges in Kriegsanleihen in der Hoffnung nach dem Sieg durch Reparationszahlungen der Besiegten erhöhte Rückzahlungen zu erhalten. Die Ausgabe von Kriegsanleihen wurde durch zahlreiche Werbekampagnen unterstützt, die vermitteln sollten, dass diese Investitionen das eigene Land zum Sieg führen würden.

Fuhrmanns Werk trägt den Titel „Kriegsgewinnler“. Zu den „Kriegsgewinnlern“, die sich während des Krieges bereicherten, gehörten neben Schwarzhändlern auch Bankiers. Sie setzten Kriegsanleihen in Umlauf und finanzierten oft die Rüstungsfirmen, die der Künstler im Hintergrund dargestellt hat.

Die Fabriken laufen gut, wie die Reihen von neuen auszuliefernden Panzern und die Vielzahl der rauchenden Schlote zeigen.

Der Auftraggeber ist möglicherweise mit der Rüstungsindustrie verbunden: das skizzierte Motiv auf der Leinwand zeigt eine Frau, die durch Ihren Strahlenkranz zu einer Symbolfigur oder Allegorie der Nation oder des Sieges wird.

Sie hält einen Siegerkranz über den Kopf des knieenden Soldaten. Im Vordergrund tragen zwei Putten, nackte Kindergestalten, eine Kanone, die – so die Aussage des Motivs – sicherlich dem Land zum baldigen Sieg verhelfen wird.

Im Kontrast zu dem Handel im Atelier und den Geldbündeln des „Kriegsgewinnlers“ stehen die Schlangen von wartenden, hungernden Menschen in der Straße. Auf dem orangefarbenen Plakat steht „Brot 50 Gramm und Dörrgemüse“. 

Auf der Kreuzung sieht man Kriegsinvaliden mit Krücken, die sich von dem Aufmarsch der Uniformierten entfernen.

Unter den Opfern des Krieges, den hungernde Zivilisten oder den verkrüppelten Soldaten, erkennt man auf der Zeitschrift die wenig aussagende Formel der Kriegsberichterstattung im Ersten Weltkrieg „Im Osten nichts Neues“. Im Kontrast zu der stagnierenden militärischen Situation steht der beschworene, zum Greifen nahe Sieg auf der Leinwand.

Der Künstler hat sich von seinem Werk abgewendet. Er hält inne und dreht sich zum Betrachter: Verstellt ihm seine rosarote Brille völlig den Blick darauf, dass auch er ein „Kriegsgewinnler“ ist, der Geschäfte mit dem Krieg macht oder drückt ihn doch sein Gewissen?

Paul Fuhrmann hatte mehrmals während des Ersten Weltkrieges versucht den Wehrdienst zu verweigern, und so wollte er sich erst recht nicht als Künstler von „Kriegsgewinnlern“ kaufen lassen oder als Künstler den Krieg nutzen, um Geschäfte zu machen.

Ab 1927 war Paul Fuhrmann Mitglied in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und ab 1929 in der Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands, kurz ASSO, eine Vereinigung kommunistischer Künstler.

Das Gemälde „Die Kriegsgewinnler“ stellt eine Stadt während des Ersten Weltkrieges dar; gemalt allerdings wurde es im Jahr 1932. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Wahlerfolge kann es als Vorausahnung des nächsten Krieges oder auch als moralisches Manifest gegen die Vereinnahmung oder Selbstaufgabe der Künstler vor der Macht des Geldes und des Militarismus gelesen werden.

Die ASSO wurde 1933 durch die Nationalsozialisten verboten. Paul Fuhrmann erhielt im selben Jahr Ausstellungsverbot durch die Reichskammer der Bildenden Künste.

Reichskammer der Bildenden Künste

Die Reichskammer der Bildenden Künste wurde am 1. November 1933 durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Leitung seines Ministers Joseph Goebbels (rechts neben Hitler auf einer Festsitzung der Reichskammer) gegründet.
Die Reichskammer der Bildenden Künste war eine der sieben Abteilungen der Reichskulturkammer und kontrollierte die offizielle Kunstproduktion während des Nationalsozialismus.

 

Um an offiziellen Ausstellungen teilzunehmen, war die Mitgliedschaft in der Reichskammer Voraussetzung. Nur Mitglieder bekamen öffentliche Aufträge und Förderungen.

Nicht aufgenommen wurden Künstler und Künstlerinnen ohne Ariernachweis, Urheber und Urheberinnen systemkritischer Werke oder Arbeiten, die als „entartet“ angesehen wurden. Der Ausschluss aus der Kammer entsprach einem Berufsverbot.

Der Begriff "Entartung", Abweichung von der Norm, wurde aus der Biologie und Medizin auf die Kunst übertragen. Die Norm sollte die vermeintlich unvergängliche "Deutsche Kunst" sein.

„Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus hat es in Deutschland eine sogenannte 'moderne' Kunst gegeben, d.h. also, wie es schon im Wesen dieses Wortes liegt, fast jedes Jahr eine andere. Das nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine 'deutsche Kunst', und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein. Entbehrt sie aber eines solchen Ewigkeitswertes für unser Volk, dann ist sie auch heute ohne höheren Wert.“

    Adolf Hitler, Eröffnungsrede zur „Großen Deutschen Kunstausstellung“, 18. Juli 1937

Die Ausstellung „Entartete Kunst“ zeigte von Juli bis November 1937 in München mehr als 650 Werke: Feiningers kubistisches Gemälde „Teltow“ wurde z.B. mit dem Ankaufspreis ausgestellt und dem Kommentar versehen: „Bezahlt von den Steuergeldern des arbeitenden deutschen Volkes“.

In mehreren Wellen wurden moderne Kunstwerke aus deutschen Museen beschlagnahmt. Über 16.000 Kunstwerke von rund 1.400 Künstlerinnen und Künstlern fielen nun unter „Entartete Kunst“, darunter auch zwei Werke von Paul Fuhrmann.

Die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ diffamierte vor allem Werke der Avantgarde als „unerwünscht“ und bezeichnet sie sogar als „Verfallskunst“. Zeitgleich präsentierte die „Große Deutsche Kunstausstellung“, ebenfalls in München, „arteigene“ Kunst. Die „deutsche Kunst“ sollte Gesundheit, Ursprünglichkeit, Heimatgebundenheit, Kraft und Klarheit ausstrahlen, aber genaue stilistische oder thematische Richtlinien gab es nicht.

Eine Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer bedeutet nicht automatisch eine nationalsozialistische Gesinnung. Ein Teil der Künstler beugte sich aus pragmatischen Gründen dem nationalsozialistischen Kunstverständnis und schufen Objekte, die nicht angreifbar waren, ein anderer Teil verschrieb sich dieser Kunstdoktrin.

Der Künstler Udo Wendel war Mitglied in der Reichskulturkammer.

Auch er stellte sich mit seinem Selbstportrait mit Eltern aus den Jahren 1939/40 die gleiche Frage wie Paul Fuhrmann acht Jahre vor ihm: Welche gesellschaftliche Rolle sollte ein Künstler in der Gesellschaft einnehmen?

Sein Werk „Die Kunstzeitschrift“ wurde 1940 in der „Großen Deutschen Kunstausstellung“, der alljährlich als „Leistungsschau“ präsentierten Kunstausstellung der Nationalsozialisten, nicht nur ausgestellt, sondern auch von Adolf Hitler gekauft.

Reichskanzler Adolf Hitler hatte in seiner Eröffnungsrede der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Jahr 1937 beschrieben, für wen der Künstler schaffen soll. Udo Wendel scheint Adolf Hitlers Anschauung wie einen Auftrag angenommen zu haben und sie explizit zu illustrieren:

„Denn der Künstler schafft nicht nur für den Künstler, sondern er schafft genauso wie alle anderen für das Volk! Und wir werden dafür Sorge tragen, daß gerade das Volk von jetzt ab wieder zum Richter über seine Kunst ausgerufen wird.“

  Adolf Hitler, Eröffnungsrede zur „Großen Deutschen Kunstausstellung“, 18. Juli 1937

Udo Wendel, der sich mit seinen Eltern im Wohnzimmer der Familie darstellt, zeigt nur durch seinen Pinsel ohne Farbe, dass er ein Künstler ist. Auch wenn dies nicht direkt zu erkennen ist, handelt es sich also um die traditionsreiche Gattung des Künstlerportraits, in dem der Maler sein Verständnis der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft ausdrückt: Wendel zeigt allerdings keine Darstellung seines Ateliers, keine Zeichen einer freiheitsliebenden Haltung, wie man sie oft in Selbstdarstellungen von Künstlern wiederfindet:

Wendel sieht sich ganz im Gegenteil als ein Arbeiter im Dienst des Volkes, das – so Hitler – nun wieder „Richter seiner Kunst“ sein soll. Auch seine Eltern interessieren sich für andere Künstler. Vater und Mutter schauen sich jeweils eine Ausgabe der nationalsozialistischen Kunstzeitschrift „Die Kunst im Dritten Reich“ an.

Auf der Ausgabe, die Wendels Vater in der Hand hält, erkennt man das Logo aus Athene, Reichsadler und Fackel, das auch auf die Kataloge der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ gedruckt wurde.

Auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Münchner „Haus der Deutschen Kunst“ wurde 1939 das Portrait der Kalenberger Bauernfamilie ausgestellt und von Hitler gekauft. 

Dieses Familienportrait war der Beitrag des Künstlers Adolf Wissel zu dem Wettbewerb „Das Familienbild“ der „Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“. Der 1938 ausgerufene Wettbewerb sollte ein Werk auszeichnen „das geeignet wäre, als künstlerisch vorbildliche Darstellung der erbgesunden, kinderreichen Familie verbreitet zu werden“. Keiner der 20 eingeladenen und teilnehmenden Künstler gewann den ersten Preis, Adolf Wissel erhielt einen Anerkennungspreis.

Die Darstellung der sorgenden Mutter, die ihre jüngste Tochter behütend auf den Schoß nimmt, entspricht der Rollenzuschreibung für Frauen im Nationalsozialismus, die ihre Pflichterfüllung für die „Volksgemeinschaft“ vor allem in ihrer Mutterrolle sehen sollten.

Ein Gemälde das sieben Jahre vorher das Rollenverständnis der Frau in der Gesellschaft aus einem ganz anderen Blickwinkel aufgegriffen hatte, ist das Werk „Paragraph 218“ von Alice Lex-Nerlinger.

1931 thematisierte die Künstlerin Alice Lex-Nerlinger, die wie Paul Fuhrmann Mitglied der ASSO war, mit dem Thema der selbstbestimmten Schwangerschaft eine Forderung der neuentstandenen Frauenbewegung: Ihr Gemälde zeigt mehrere Frauen, die sich aus einer Silhouette einer schwangeren Frau gegen ein schwarzes Kreuz erheben, auf dem „§ 218“ steht. Dieser Paragraf ahndete Abtreibung mit Gefängnisstrafe für die Frauen und beteiligte Dritte.

Mit diesem in moderner Spritztechnik gefertigten Werk protestierte die Künstlerin gegen die Verhaftung der Ärztin Else Kienle und des Arztes Friedrich Wolf, die Abtreibungen durchgeführt hatten. Das Gemälde wurde in der „Großen Berliner Kunstausstellung“ von 1931, also noch während der Weimarer Republik, von der Polizei beschlagnahmt.

Kirchenvertreter und der Sturmabteilungs-Führer August Wilhelm von Preußen, Sohn des ehemaligen Kaisers Wilhelm II., setzten die Beschlagnahmung durch, obwohl mit dem Artikel 142 der Weimarer Reichsverfassung zum ersten Mal ein deutscher Staat die Kunstfreiheit garantierte:

„Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“

                       Verfassung des Deutschen Reiches, 11. August 1919, Artikel 1

Anfang 1930 beteiligte sich die NSDAP zum ersten Mal an einer Landesregierung. Wilhelm Frick, Staatsminister für Inneres und Volksbildung in Thüringen, ernannte Paul Schultze-Naumburg zum Direktor der Vereinigten künstlerischen Lehranstalten zu Weimar.

Dieser war der Autor des 1928 erschienen Buches „Kunst und Rasse“. Es zeigt Fotografien von Menschen mit Behinderungen neben expressionistischen Kunstwerken und lieferte 1937 die Vorlage für den Katalog zur Ausstellung „Entartete Kunst“. Schultze-Naumburg war verantwortlich für die Entfernung der Werke von Emil Nolde, Oskar Kokoschka, Paul Klee und Ernst Barlach aus der Sammlung des Stadtschlosses Weimar sowie die Zerstörung der Ausgestaltung des Weimarer Bauhaus-Werkstattgebäudes von Oskar Schlemmer

Kunst und Zensur in der DDR

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründeten Paul Fuhrmann, Alice Lex-Nerlinger und andere kommunistische Künstlerinnen und Künstler die „Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Künstler“. Diese ging nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 im „Verband Bildender Künstler Deutschlands“ (VBKD) auf. Der Verband war die wichtigste Institution zur Durchsetzung der sozialistischen Politik im Bereich der Bildenden Künste.

Für Kunstschaffende in der DDR war eine Mitgliedschaft im „Verband Bildender Künstler Deutschlands“ praktisch unerlässlich, da sie zur freischaffenden Tätigkeit berechtigte. Sie öffnete den Zugang zu Ausstellungen des staatlichen Kunsthandels, Auszeichnungen und zur öffentlichen Auftragsvergabe.

In der Regel war das Diplom einer künstlerischen Hochschule der DDR Voraussetzung zur Mitgliedschaft.

Sowjetische Kulturoffiziere um Walter Ulbricht – dem späteren Staatsratsvorsitzenden – definierten ab 1945 die Kunstpolitik in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. 1951 beschloss das 5. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland das Ende der „formalistischen“ Freiheit der Kunst.

„Wir wollen in unseren Kunstschulen keine abstrakten Bilder mehr sehen. Wir brauchen weder die Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen. Die Grau-in-Grau-Malerei, die ein Ausdruck des kapitalistischen Niedergangs ist, steht im schroffsten Widerspruch zum heutigen Leben in der DDR."

                              Walter Ulbricht in der Volkskammer, 31 Oktober 1951

Sozialistischer Realismus

Nach den ersten liberalen Nachkriegsjahren sollten sich die Kunstschaffenden in der Sowjetischen Besatzungszone und ab 1949 in der neugegründeten DDR dem „sozialistischen Realismus“ verschreiben.

Diesen Stil hatte schon 1932 die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) den Künstlern als Richtlinie vorgegeben. Die ostdeutschen Künstler waren angehalten, die Wirklichkeit des Arbeitslebens und des sozialistischen Alltags darzustellen. Dabei sollten sie Volksverbundenheit und Optimismus auszudrücken und der moralischen, politischen und ästhetischen Erziehung der Bevölkerung dienen. Die Künstler sollten sich klar vom Kunstbetrieb des Westens und der abstrakten Kunst abgrenzen.

Paul Fuhrmann aquarellierte 1950 in diesem Sinne das Deutschlandtreffen der Jugend an dem 700 000 Jugendliche teilgenommen hatten. Nach jahrelangem Berufsverbot während des Nationalsozialismus gehörte er zu den akzeptierten Künstlern in der DDR bis zu seinem Tod im Jahr 1952. Es waren nun andere Künstler, die zensiert wurden und für ihre Freiheit kämpfen mussten.

Viele Künstlerinnen und Künstler sahen im „sozialistische Realismus“ eine stilistische Nähe zur Kunst des Nationalsozialismus und verfolgten andere Ansätze. Um weiterarbeiten und ihre Kunst zeigen zu können, verließ ein Teil von ihnen die DDR vor dem Mauerbau im August 1961.

Zu den Künstlerinnen und Künstlern, die in der DDR blieben und sich weiterhin für freie Kunst einsetzten, gehörte z.B. auch Roger Loewig. Der Lehrer und Autodidakt zeigte seine Werke 1963 in einer offiziell nicht genehmigten Ausstellung in einem Ost-Berliner Pfarrhaus. Seine Teilnahme, die Planung einer grenzüberschreitenden Zeitschrift und der Besitz verbotener Literatur führten 1963 zu seiner Verhaftung. Nach fast einjähriger Untersuchungshaft wurde Roger Loewig in einem Prozess, wegen „staatsgefährdender Hetze und Propaganda in schwerwiegendem Falle" zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Roger Loewig kritisiert 1972 in der Lithografie „Grenzfluss“ die deutsche Teilung. Im selben Jahr konnte er nach jahrelanger Drangsalierung in die Bundesrepublik übersiedeln.

Kunst und Zensur in der BRD

Parallel zur Verdrängung freier Kunst durch die Verordnung des sozialistischen Realismus in der DDR, wurden auch im westlichen Teil Deutschlands Künstler aus Ausstellungen und vom Kunstmarkt verdrängt: Die abstrakte Kunst – beeinflusst von den Siegermächten – hatte die Vorherrschaft gewonnen.

Eine Vielzahl von Künstlern deren Hauptaktivität in der Zeit des Nationalsozialismus lag, konnten nur mit großen Schwierigkeiten in der Nachkriegszeit ihre Kunst ausstellen und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Aber auch als „entartet“ diffamierte Künstler hatten oft Probleme ihre Werke auszustellen, falls ihre Werke einem realistischen, gegenständlichen Stil zuzuordnen waren. Zu diesen gehörte Horst Strempel.

Der Künstler Horst Strempel wurde 1904 in Oberschlesien geboren und starb 1975 in Berlin (West). Sein Leben zeigt, wie kompliziert eine deutsche Künstlerbiografie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den unterschiedlichsten politischen Systemen und deren Übergänge sein konnte:
In der Hauptphase der Weimarer Republik war er als Schüler Karl Hofers zunächst ein angesehener und engagierter Künstler. Doch während der Endphase der Weimarer Republik, im Jahr 1932, wurde sein Gemälde „Selig sind die geistig Armen“ aus der „Großen Berliner Kunstausstellung“ entfernt, wie dies auch im Vorjahr bei Alice Lex Nerlinger der Fall war. 

1933 emigrierte er nach Frankreich, um weiterhin malen zu können, Er wäre nicht in die nationalsozialistische Kulturkammer aufgenommen worden und hätte in Deutschland unter Berufsverbot gelitten.

Er kam aber 1945 nach Berlin (Ost) zurück, wo er, zunächst anerkannt, den staatlichen Auftrag zu einem Fresko im Berliner Bahnhof Friedrichstraße annahm.

Ab 1949 aber wurde er in der DDR wegen seines Stils stark kritisiert und sein Fresko 1951 überstrichen. Er verließ die DDR 1953, weil er sich dort hätte anpassen müssen.

Aber auch in der Bundesrepublik konnte er, obwohl er ein begabter und deswegen auch zeitweise ein anerkannter Künstler gewesen war, nicht genügend ausstellen, um von seiner Kunst zu leben.

Insgesamt konnte er seine Kunst in vier deutschen politischen Systemen nicht frei ausüben und erlitt dreimal Zensur.

Im Grundgesetz der Bundesrepublik steht, so wie auch in der Verfassung der DDR aus dem Jahr 1949: „Eine Zensur findet nicht statt.“

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

                                                    Grundgesetz BRD, Artikel 5

Zensur

Der Begriff „Zensur“ wurde vom lateinischen Wort censura abgeleitet. Dieses bedeutet Prüfung, Beurteilung. Die Zensur ist in der Regel eine von staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle von Werken auf gesetzliche, sittliche, politische oder religiöse Konformität. Im Falle einer Zensur wird das Werk vor der Veröffentlichung verboten (Präventiv- oder Vorzensur) oder wenn es schon veröffentlicht wurde, beschlagnahmt (Repressiv- oder Nachzensur).

Erscheint Zensur immer in der Form eines staatlichen Verbotes oder ist schon jede Art von Kommunikationskontrolle Zensur?

1978 kritisierte der westdeutsche Künstler Ernst Volland mit einem Satireplakat, das eine Rasierklinge mit dem Bundesadler zeigt, den Umgang der Regierung mit unbequemen Intellektuellen. Zu diesen gehörten Heinrich Böll, Günter Wallraff, Peter O. Chotjewitz, Erich Fried, Luise Rinser, Günter Grass.

1972 verdächtigte man Heinrich Böll Sympathisant der RAF-Terroristen zu sein. Sein Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ wurde 1974 nicht zensiert, aber man ließ seine Wohnung durchsuchen. Die Geschichte thematisiert den Einfluss der Boulevardpresse und spiegelt die Hochphase des RAF-Terrorismus wider.

In einer Demokratie kann Zensur oder was als solche empfunden wird, auch kreativ verwendet werden. Auf dem Plakat ist Franz Josef Strauß zu sehen, der als Kanzlerkandidat gehandelt wurde. Neun Nahaufnahmen seines Gesichts, werden mit jeweils einem Zitat versehen. Diese teils harschen Aussagen musste Ernst Volland, der Urheber des Plakates, auf Wirken von Strauß zensieren. Der Künstler ging auf einer zweiten Version des Plakates offensiv damit um.

Eine Art der Zensur, die man immer wieder auch in demokratischen Ländern findet, ist die Selbstzensur, z.B. als die italienische Regierung bei dem Besuch 2016 des iranischen Präsidenten im Capitol in Rom, nackte Skulpturen der Antike hinter Holzkisten versteckte. Die Statuen wurden versteckt aus Rücksicht auf den muslimischen Glauben und die iranische Kultur des Präsidenten.

Auch Künstlerinnen und Künstler können Selbstzensur ausüben. Sind diese heute so frei, wie sie scheinen? Könnten sie, wie damals Paul Fuhrmann, „Kriegsgewinnler“ kritisieren – ohne zensiert, kontrolliert oder eingeschüchtert zu werden? Wie hoch sind die Chancen, dass sie Firmen, Länder, Institutionen, Medien kritisieren, die sie finanzieren oder finanzieren können?

Fragen, die sich schon früher stellten, bleiben aktuell: Welche Rollen nehmen Künstlerinnen und Künstler in der Gesellschaft ein? Wie können sie sich vor Vereinnahmung schützen? Kritisieren sie gesellschaftliche Missstände?

Und andererseits: Welche Rolle spielen die Betrachterinnen und Betrachter? Wie kritisch reagiert das Publikum auf Werke, die sich oft als „Spaßkunst“, Werbung oder abgenutzte Provokation herausstellen und in unserer Konsumgesellschaft niemand mehr wachrütteln.

Literatur- und Lesetipp: 

von Berswordt-Wallrabe, Silke: Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus, Berlin 2016.

Benz, Wolfgang: Kunst im NS-Staat, Berlin 2015.

Silke Christ
25. September 2019

lo