SELBSTVERSTÄNDLICH?! WARUM GABELN EINST TEUFELSZEUG WAREN

Messer rechts, Gabel links: Die Auswahl der Esswerkzeuge ist bei kultivierten Europäern heute alternativlos. Wir erklären, warum unsere Vorfahren mit feinem Besteck nichts anfangen konnten – und woher der Ausdruck „den Löffel abgeben“ stammt.

Um sich in einem feinen Restaurant unserer Zeit einmal richtig zu blamieren, reicht ein Handgriff: Man verzichte einfach auf Messer und Gabel und bearbeite das Filet oder die Kartöffelchen mit dem Suppenlöffel. Gerümpfte Nasen und abschätzige Blicke der anderen Gäste sind garantiert.

Noch vor wenigen Generationen waren solche Allüren unbekannt. Für Gabeln hatten unsere Vorfahren lange Zeit keine Verwendung. Denn vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit war der Speiseplan der meisten Menschen sehr übersichtlich. Morgens: Brei. Mittags: Brei. Abends: Brei. Auf den Tisch kam in der Regel ein großer Topf mit gekochtem Getreide. Mitessen konnte nur, wer einen Löffel hatte. Er war die Lebensversicherung. Die Leute trugen ihn beständig bei sich – egal ob im Gasthaus oder auf Reisen. „Den Löffel abgeben“ stand damals nicht nur sprichwörtlich für den sicheren Tod.

In seiner Form gleicht der Löffel einer schöpfenden Hand und ist eines der urtümlichsten Werkzeuge des Menschen. Schon aus der Altsteinzeit sind Löffel aus Holz und Knochen bekannt, später brannte man sie aus Ton. Mit der metallverarbeitenden Industrie kam im 15. Jahrhundert die professionelle Löffelmacherei auf: Ein Betrieb schmiedete am Tag bis zu 40 Löffel aus rohem Metall. Drei Jahrhunderte später schnitten die Handwerker die Löffel dann schneller und effizienter aus Blech.

Der Löffel blieb in Mitteleuropa bis ins 19. Jahrhundert das wichtigste Esswerkzeug. Das Messer, ebenfalls ein treuer Begleiter, diente vor allem zum Zerteilen der Mahlzeit.

GOTTLOSE FORKE

Heute liegt in der westlichen Welt auch die Gabel ganz selbstverständlich auf dem Tisch. Anders als Löffel und Messer musste sie sich ihren Platz neben dem Teller aber erst erstreiten.

Der Ruf der Miniatur-Forke war früh ruiniert. Nicht ihre Ab-, sondern ihre Anwesenheit war ein gesellschaftliches No-Go. Obwohl schon die alten Römer Gabeln gekannt hatten, war das gezackte Esswerkzeug nördlich der Alpen lange verpönt. Schon Hildegard von Bingen, meinungsstarke Mystikerin des 12. Jahrhunderts, soll die Gabel als gottlos gebrandmarkt haben. Zum Massenphänomen reichte es mit diesem Stigma zunächst nicht. Zum Image- kam das bereits geschilderte Konkurrenzproblem: Die Gabel schaffte es lange nicht, mit dem Löffel gleichzuziehen. Die Menschen brauchten kein zweites Esswerkzeug, das Nahrung vom Teller zum Mund beförderte.

Erst spät begann der Aufstieg der Gabel. Die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts brach mit dem Aberglauben vom Teufelsgerät. Im gleichen Jahrhundert fanden Obst- oder Konfektgabeln den Weg auf europäische Esstische. Französische und italienische Damen schätzten sie als distinguiertes Accessoire.

Die Gegnerschaft blieb zunächst jedoch groß und gewichtig. Martin Luther und Erasmus von Rotterdam verspotteten die Gabel als weibische Mode. „Gott behüte mich vor Gäbelchen“, soll Luther gesagt haben.

DIE GABEL: LUXUS UND WEIBISCHE MODE

Ein nachhaltiger Imagewandel gelang der Gabel in unseren Breiten im 18. Jahrhundert: Das einst verschmähte Werkzeug wurde in Adelskreisen zum Symbol für Luxus und Kultiviertheit. Die handgefertigte Besteckgarnitur für zwölf Personen aus dem Besitz der Herzöge von Anhalt, die in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums zu sehen ist, veranschaulicht diese Veränderung. Mit der industriellen Revolution wurde das Besteck inklusive Gabel zum Massenphänomen.

Mit der Machart des Bestecks hat sich Jahrhunderte später auch der Umgang damit verändert. Ein grob geschnitzter Löffel liegt anders in der Hand als eine filigran gearbeitete Tischforke. Der heutzutage angemessene Umgang ist in der Benimmbibel Knigge genau definiert: Wir sollen Gabel oder Löffel nicht wie Hammer oder Bohrmaschine halten, sondern elegant am Ende fassen und führen. Eine der wichtigsten Regeln: Gabel, Messer und Löffel lege man nach der Mahlzeit parallel auf den Teller. Der Gabelrücken weist nach unten und das Messer liegt mit der Schneide zur Gabel. Fertig.