BIS ZUM LETZTEN DUKATEN: GLÜCKSSPIEL AM KAISERLICHEN HOF

Im Sommer 2016 befindet sich Europa im Pokémon-Go-Fieber. Doch die Lust am Spiel ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Schon an vormodernen Höfen widmete man sich dem „Gaming“: Ob Billard, Flipper, Karten oder Verlosungen, der Adel wusste sich zu unterhalten. Oft ging es dabei nicht nur um die Ehre, sondern um viel Geld. So auch am Wiener Hof zu Zeiten Maria Theresias im 18. Jahrhundert. Die österreichische Regentin war eine leidenschaftliche Spielerin – und gestattete auch dem Volk das Glücksspiel.

Die anwesenden Adeligen trauten Ihren Augen nicht: 4500 Lose zu je zwölf Dukaten hatte Erzherzogin Maria Theresia ausgegeben. Sie selbst hatte nur sechs Stück gekauft – deutlich weniger als viele ihrer Mitspieler. Doch jetzt, da die Ziehung anstand, fischte der Hofdiener den Namen Maria Theresias aus der Porzellanvase. Spiel um Spiel mussten die Fürsten die gleiche Beobachtung machen: Die erste Dame Europas hatte ein nahezu unverschämtes Glück. Schließlich fanden die Ziehungen nicht wie heute unter notarieller Aufsicht statt. Immerhin gab Maria Theresia sich in diesem Fall großmütig – und schenkte das soeben gewonnene Haus kurzerhand ihrem Obersthofmeister.

KNALLHARTES ZOCKEN AM KAISERLICHEN HOFE

Obwohl Maria Theresia nur die Gattin des habsburgischen Kaisers Franz I. war, führte sie die österreichischen Regierungsgeschäfte Mitte des 18. Jahrhunderts nahezu allein. Die Erzherzogin galt nicht nur als klug und durchsetzungsstark, sondern auch als temperamentvoll und dem Leben zugewandt. Während ihrer Regierungszeit ging es am Wiener Hof sehr heiter zu. Neben regelmäßigen Bällen, Festen, Konzerten und Theateraufführungen standen auch immer wieder Spieleabende auf dem Programm.

In den prachtvollen Salons des Hofes standen edle Tische aus wertvollen Hölzern bereit, die zum Flipper, Tischbillard oder Kanonenspiel einluden. Nachdem die Gesellschaft sich dort eine Zeit lang vergnügt hatte, kam ein ausgewählter Kreis von Adeligen in den innersten Gemächern des Hofes zusammen –  und zockte dort stundenlang um hohe Geldsummen. Maria Theresia ging dabei nicht zimperlich vor: Einmal soll sie 100.000 Dukaten beim „Pharao“ verloren haben, einem Kartenspiel, das in Österreich offiziell untersagt war. Doch die Herrscherin fürchtete weder Verbote noch Niederlagen. Meistens gewann sie am nächsten Abend ohnehin wieder. Geschah dies nicht, kam ein anderer Vorteil zum Tragen: Im Gegensatz zu ihren Mitspielern verfügte sie über schier unermessliche Geldreserven.

Das Glückspiel am habsburgischen Hof brachte viele Fürsten um ihre letzten Ersparnisse. Selbst gut betuchte Teilnehmer mussten angesichts der horrenden Einsätze kapitulieren. Doch die im Spiel glückliche Regentin hatte größtenteils positive Erfahrungen gesammelt. Sie beschloss, auch die Bevölkerung an ihrem Faible teilhaben zu lassen. 1751 führte sie unter dem Namen „Lotto di Genova“ – die Genueser hatten das Spiel im 15. Jahrhundert erfunden – eine öffentliche Lotterie ein. Im folgenden Jahr fand in der Wiener Innenstadt die erste Ziehung statt.

DAS GLÜCKSSPIEL FÜLLT DEN STAATSSÄCKEL – UND VERSCHWINDET VOM HOF

Zwar lief die Lotterie in den Anfangsjahren schleppend an. Doch auf lange Sicht erwies sich die Entscheidung Maria Theresias als Glücksgriff. Als ihr Sohn Joseph II. rund 25 Jahre nach Einführung der öffentlichen Lotterie ein Verbot erwog, wiegelten seine Berater entschlossen ab: Das beliebte Glücksspiel beschere dem Staat prächtige Einnahmen, auf die man nicht verzichten könne.

Joseph II., der die Vorliebe seiner Mutter nicht im Geringsten teilte, beugte sich und ließ dem Volk sein Glücksspiel. An seinem Hof hingegen bereitete er dem Gezocke schnellstmöglich ein Ende. Wo eine illustre Gesellschaft früher bis spät in die Nacht die letzten Dukaten verspielt hatte, kehrte nun Ruhe ein. Für Spieleabende hatte der neue Kaiser ohnehin wenig Zeit: Im Schutze der Dunkelheit suchte Joseph für gewöhnlich seine über ganz Wien verstreuten Affären auf.