„ICH FINDE ES WICHTIG, SICH ERFOLGE BEWUSST ZU MACHEN“

Mein Geschichtsstück: Die Autorin und Aktivistin Anne Wizorek stellt ihr Lieblingsobjekt im Deutschen Historischen Museum vor.

Mein Geschichtsstück im Deutschen Historischen Museum ist das Plakat gegen die Ablehnung der Fristenlösung für Abtreibungen aus dem Jahr 1975. Die regierende SPD sah damals vor, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten straffrei zu stellen. CDU und CSU klagten dagegen erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht und erhielten Recht: Abtreibung blieb strafbar. Das Plakat greift die Begründung der Verfassungsrichter auf, die sich auf die im Grundgesetz definierte Unantastbarkeit der Menschenwürde berufen hatten – und zeigt die Richter selbst als eine Gruppe alter Männer, die sich an einem nackten weiblichen Körper vergreifen.

Wenn ich das Plakat betrachte, denke ich: Was für eine krasse Darstellung. Es macht deutlich, wie viel die Frauenbewegung in den letzten Jahrzehnten schon erreicht hat. Zum Beispiel, dass die damals geforderte Fristenlösung bei Abtreibungen heute verwirklicht ist. Ich finde es wichtig, sich als Aktivist_in Erfolge auch mal bewusst zu machen, statt immer gleich zur nächsten Baustelle überzugehen.

Gleichzeitig zeigt mir das über 30 Jahre alte Plakat aber auch, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Wahrscheinlich ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, dass ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland immer noch illegal ist. Er wird nur unter bestimmten Bedingungen nicht mehr bestraft. Das möchten viele andere Feminist_innen und ich ändern. Für uns ist Abtreibung Teil der sexuellen Selbstbestimmung und damit ein Menschenrecht. Auch auf anderen Gebieten sind wir noch weit von Geschlechtergerechtigkeit entfernt. Zu viele Menschen vertreten auch die Haltung: „Wir haben ja schon alles erreicht. Was wollt ihr denn noch?“ Bis zu einem gewissen Alter mag es auch so sein, dass Mädchen und Frauen heute eine subtilere Berührung mit dem Thema Sexismus haben – zumindest weil ihnen suggeriert wird, alles werden zu können. Aber wenn es zum Beispiel um Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, merken viele: Ich werde anders behandelt als meine männlichen Kollegen. Diesen Aha-Moment erleben Frauen meiner Generation mitunter später als die Frauen, die damals das Plakat entwarfen – aber sie erleben ihn.

Der feministische Aktivismus von heute nutzt zur Sichtbarmachung solcher Probleme andere Kanäle, vor allem das Internet. Dort ist es viel leichter, sich auszutauschen, Gleichgesinnte zu finden und Aktionen wie den Hashtag „Aufschrei“ zu starten.

Meine Erfahrung aus dem Gespräch mit Frauen aus der älteren Generation ist, dass viele von ihnen eine Zeit lang Angst hatten, dass da in Sachen Feminismus nichts mehr nachkommt. Dass junge Frauen von heute sich nicht mehr für Politik interessieren. Der feministische Nachwuchs vernetzt sich aber eben vor allem im Internet, das ist auch notwendiger denn je. Wenn ich mir anschaue, wie manche gesellschaftlichen Gruppen momentan versuchen, beim Thema Frauenrechte die Uhr zurückzudrehen, weiß ich, dass es für Feminist_innen immer noch sehr viel zu tun gibt – um Verschlechterungen zu verhindern, aber gleichzeitig auch weiter an den noch fehlenden Verbesserungen zu arbeiten.