Mit Kindern Macht beanspruchen

Mächtige und Herrscher ließen sich immer wieder im Kreise ihrer Familie abbilden. In Deutschland halten sich Politiker heute eher zurück mit der Veröffentlichung von privaten Bildern. Im Gegensatz zu den USA und Kanada, wo die Mächtigen ihre Familienfotos durchaus als Instrument einsetzen, wie der Kunsthistoriker Dr. Wolfgang Ullrich beobachtet.

In der politischen Ikonografie von Monarchien spielten Kinder oft eine zentrale Rolle. Standen sie allgemein für Zukunft, so verhieß es auch Kontinuität und Stabilität, ja den Fortbestand der jeweiligen Dynastie, ließ ein Herrscher sich zusammen mit eigenen Kindern abbilden. Exemplarisch wird das auf dem Gemälde „Die kaiserliche Familie im Park zu Sanssouci“ von 1891 deutlich, das in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums zu sehen ist, auf dem William Pape Kaiser Wilhelm II., seine Gattin Auguste Viktoria sowie fünf ihrer Kinder porträtiert hat. Diese nehmen den Vordergrund ein, und in ihrer stattlichen Anzahl lassen sie gar nicht erst Zweifel aufkommen, es könnte einmal kein passender Thronfolger zur Verfügung stehen. Zugleich folgt das Gemälde einer Adelslogik, der zufolge nicht nur die Zukunft, sondern genauso die Herkunft gut abgesichert sein muss. Den Kindern korrespondiert daher im Hintergrund ein Reiterstandbild von Friedrich dem Großen – dem berühmtesten Vorfahren aus dem Haus Hohenzollern. So ist die Macht des Kaisers doppelt legitimiert. Salopp formuliert: Er hat beste Gene, und er ist vital genug, sie weiterzugeben.

Aber auch in Demokratien kommt es zu ähnlichen Ikonografien. Dynastisches Denken ist hier keineswegs verschwunden; vielmehr gibt es in vielen Ländern Beispiele dafür, dass Familien über mehrere Generationen hinweg entscheidende Positionen besetzen oder zumindest danach streben. Aktuell bringt kaum ein Politiker seine Familie stärker ins Spiel als US-Präsident Donald Trump. Familienmitgliedern überträgt er semioffizielle Funktionen, lässt sich bei Konferenzen sogar kurzzeitig von seiner Tochter Ivanka vertreten und macht immer wieder deutlich, dass er verwandtschaftliche Beziehungen über alles stellt. So braucht nicht zu wundern, dass auch Bilder entstehen, die an Papes Porträt der Familie von Wilhelm II. erinnern. Als Trump etwa im Zuge seiner Amtseinführung im Januar 2017 zusammen mit seiner Familie das Lincoln Memorial in Washington besuchte, platzierte man sich ebenfalls so, dass Kinder und Enkel den Vordergrund einnehmen. Das soll signalisieren, dass seine Präsidentschaft zwar nach vier oder acht Jahren enden mag, das aber noch lange nicht das Ende des Trump-Clans zu bedeuten braucht. Durch den Hintergrund erfährt das dynastische Denken hier allerdings einen Gegenpol: Statt einen eigenen Vorfahren im Rücken zu haben, muss Trump sich mit Lincoln auf einen seiner wichtigsten Amtsvorgänger beziehen. Nicht die Gene, sondern demokratische Wahlen entscheiden also darüber, wer US-Präsident wird.

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Doch gibt es mittlerweile mehr und stärkere Möglichkeiten als zu Zeiten von Monarchie und Adelsherrschaft, um die eigenen Kinder als Mittel der Sympathiestärkung einzusetzen, aber auch um dynastische Machtansprüche zu untermauern. Zunehmend werden die Kanäle der Sozialen Medien dafür genutzt; vor allem Instagram erweist sich als Plattform, auf der sich wirksam Imagebildung betreiben lässt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass oft vermeintlich Privates gezeigt und so der Eindruck vermittelt wird, man dürfe etwas sonst Exklusives sehen – als Follower sei man privilegiert und wisse mehr als andere. Entsprechend wird dieses spezielle Wissen auch mehr geschätzt, ernster genommen und als besonders wahrhaftig empfunden.

Gerade die Trump-Familie gehört zu den ersten unter Politikern, die Instagram systematisch nutzt, um ihren besonderen Rang unter Beweis zu stellen. Nicht nur Trump selbst und seine Gattin, auch seine Söhne und Töchter sowie einige der Schwiegerkinder haben Accounts, auf denen sie täglich aus ihrem Leben berichten, den eigenen Lifestyle dokumentieren – und vor allem den eigenen Nachwuchs vorführen. Niedliche Kindergesichter können von Trumps oft aggressiver Politik ablenken (häufen sich daher auch, wenn mal wieder ein besonders kontroverses politisches Ereignis passiert ist); zugleich machen die vielen Fotos von Kindern bewusst, dass der Präsident Teil einer großen Familie ist, die ganz selbstverständlich an seiner Macht teilhat. Man sieht die Kinder also im Weißen Haus und sogar beim Spielen im Oval Office, so als handle es sich dabei um ein ganz normales Wohnzimmer. Anders als zu Zeiten höfischer Malerei beschränkt sich ein Machtanspruch auch nicht auf wenige, ikonografisch besonders verdichtete Bilder, sondern kann auf eine Vielzahl von Fotografien und Accounts verteilt, in jeweils kleiner Dosis bekundet werden. Aufnahmen, die privaten Fotoalben zu entspringen scheinen, besitzen damit eine politische Dimension wie nie zuvor.

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Auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau nutzt Instagram und verleiht seinem Privatleben damit eine politische Dimension. Selbst Sohn eines ehemaligen Premierministers, zeigt er seine Kinder, während sie in seinem Büro die Hausaufgaben erledigen oder sogar schon einmal auf dem Regierungsstuhl des Papas Platz nehmen. Sosehr die Kinder dadurch als gleichsam natürliche Nachfolger aufgebaut und mit politischen Ambitionen assoziiert werden, so sehr nutzen Trudeau die Kinderfotos zugleich, um nicht nur als Premierminister, sondern genauso als passionierter Vater in Erscheinung zu treten. Auch damit steht er in der Tradition seines Vaters, der das ebenfalls schon machte, präsentiert sich aber noch viel konsequenter als Politiker neuen Stils, der trotz aller Amtspflichten immer Zeit für seine Kinder hat. Die Work-Life-Balance funktioniert hier also mustergültig, wie auch ein zum Vatertag gepostetes Foto belegt, das Trudeau und zwei seiner Kinder vergnügt auf einem Sofa zeigt. Der Politiker definiert also sich nicht nur über sein Amt, sondern bezieht Lebenssinn genauso aus seiner Rolle als Familienvater. Das soll ihn als frei von Machthunger erscheinen lassen: als guten Demokraten, der weiß, dass er nur auf Zeit gewählt ist und sich allein deshalb nicht nur mit seinem Amt identifizieren darf.

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Zeugen Trudeaus Bildinszenierungen davon, dass sich mit Kindern also gleichermaßen ein dynastisches wie ein demokratisches Amtsverständnis artikulieren lässt, herrschen in Europa – und gerade in Deutschland – andere Bedingungen. Hier ist es in den letzten Jahrzehnten zur festen Regel geworden, Kinder aus der politischen Ikonografie komplett zu verbannen. Es gilt als Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Kinder – und damit Minderjährige – zum Sujet zu machen, die das nicht selbst entscheiden und erst recht nicht die Folgen davon abschätzen können. Selbst und gerade Politiker, die sich ähnlich wie Trudeau genauso als Mütter und Väter begreifen, zeigen auf Plattformen wie Instagram höchstens indirekt, wie sehr ihr Leben von ihren Kindern geprägt wird. So tituliert sich die CSU-Politikerin und Finanzstaatssekretärin Dorothee Bär zwar oft mit dem Hashtag #momeofthree, ist also stolz darauf, neben ihrer politischen Karriere drei Kinder auf die Welt gebracht zu haben, doch wenn sie etwa von einem Kindergeburtstag berichtet, sieht man nur die Spielsachen und Süßigkeiten, aber keinesfalls die Kinder. Und sofern doch einmal Kinder auf dem Bild sind, werden ihre Gesichter konsequent verdeckt.

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Daher wurde es von vielen als Tabubruch empfunden, als die AfD-Vorsitzende Frauke Petry für den Bundestagswahlkampf 2017 ein Plakat in Umlauf brachte, auf dem man sie zusammen mit ihrem jüngsten Kind – dem erst im Mai desselben Jahres geborenen Sohn Ferdinand – sieht. Das Baby ist auch nicht von hinten, sondern gut erkennbar abgebildet. Und die durch den Text auf dem Plakat noch unterstützte Botschaft ist klar: Wer Kinder hat, wird umso engagierter und verantwortlicher handeln, um dem eigenen Nachwuchs eine möglichst gute Zukunft zu bereiten. Petry bedient aber zugleich unter ihren Anhängern sowie in anderen rechten und rechtsextremen Milieus beliebte Unterstellungen. Ihnen zufolge ist Europas Identität und Tradition gefährdet, da es überwiegend von Politikern regiert wird, die selbst keine Kinder haben: Angela Merkel, Emmanuel Macron, Theresa May. Damit aber erfüllt Petrys Baby einmal mehr eine ähnliche Funktion wie die Kinder auf dem Gemälde von William Pape: Es soll beweisen, dass Zukunft und Kontinuität gesichert sind, wenn genügend eigene Nachkommen vorhanden sind.

© Annekathrin Kohout

Dr. Wolfgang Ullrich

Wolfgang Ullrich, geb. 1967, lebt als freier Autor in Leipzig, war zuvor Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Er forscht und publiziert zu Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, bildsoziologischen Fragen und Konsumtheorie. Mehr unter: www.ideenfreiheit.de.