Sparstrumpfnation: Warum das Bargeld in Deutschland noch so wichtig ist

Daniel Korth vom Finanzrocker-Blog schreibt im Rahmen der Ausstellung „Sparen – Geschichte einer deutschen Tugend“ über seine Sicht auf das Verhalten der Deutschen zum Bargeld.

Als ich vor zehn Jahren einige Monate in Neuseeland lebte, bezahlte ich einen Schokoriegel für einen Dollar mit meiner EC-Karte. 2018 hat sich das nicht wirklich geändert. Auch heute bezahle ich – wo es nur geht – kontaktlos mit meiner Kredit- oder EC-Karte. Damit stehe ich aber allein auf weiter Flur. Das merke ich nicht zuletzt daran, dass ich noch immer komisch angeschaut werde, wenn ich „Kleckerbeträge“ mit Karte zahlen möchte. Und die Statistik gibt mir recht: Nach Daten der Deutschen Bundesbank wurden 2017 sogar 74 Prozent aller Einkäufe bar bezahlt.

Bargeldlos zahlen – In anderen Ländern längst Standard

Ganz anders in Schweden: Dort läuft der Umsatz im Einzelhandel zu 95 Prozent bargeldlos ab. Vielerorts wird in den schwedischen Läden kein Bargeld mehr angenommen. 80 Prozent aller Transaktion werden inzwischen digital getätigt. Und bis 2030 soll das Bargeld komplett abgeschafft werden.

In China wurde die Kreditkartenära sogar komplett übersprungen und die Chinesen bezahlen fast ausschließlich über digitale Bezahlplattformen. Sogar an den kleinen Imbissbuden am Straßenrand wird per Smartphone bezahlt – das ist hierzulande undenkbar.

Auch in den benachbarten Niederlanden oder in Dänemark wird wesentlich häufiger digital bezahlt als in Deutschland. Nur warum gibt es so eklatante Unterschiede zwischen den Ländern? Und warum setzt Deutschland immer noch auf das altbewährte Bargeld?

Safety First

Der Grund dafür ist tief verwurzelt in den Genen der Deutschen und hängt mit der Angst zusammen, die Kontrolle zu verlieren. Nicht umsonst gibt es dafür den speziellen Begriff „German Angst“. Das lässt sich nicht nur beim Bargeld beobachten, sondern auch beim Thema Selbstständigkeit oder dem Anlegen an der Börse. Die Unsicherheit schwingt stets mit. Gleiches gilt für die Kontrolle über die eigenen Daten. Bezahle ich digital, kann jeder sehen, was ich gekauft habe.

Ironischerweise verschenken die Deutschen im gleichen Atemzug ihre Einkaufsdaten an Payback oder andere Bonuskarten-Anbieter. Ganze 29 Millionen aktive Punktesammler gibt es, die für ihre Daten mit billigen Prämienprodukten abgespeist werden.

Nur Bares ist Wahres

Fakt ist: Das sogenannte Buchgeld auf den Konten besitzt hierzulande nicht die gleiche Bedeutung wie Bargeld. Als Wertaufbewahrungsmittel liegt es immer noch ganz vorn, ganz nach dem Motto „Nur Bares ist Wahres“. Bargeld lässt sich anfassen und ansehen, was eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, wie Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele in seinem lesenswerten Artikel des Ausstellungskataloges schreibt.

Der Vorteil am Bargeld ist, dass man auch in unvorhergesehenen Momenten jederzeit eine Reserve in der Hinterhand hat. Denn gerade in Deutschland sind die technischen Voraussetzungen für eine unbare Zahlungsweise nicht immer gegeben. Und nicht zu vergessen: Barzahlungen bieten eine gute Kontrolle für die Ausgaben. Geld, das ich nicht im Portemonnaie habe, kann ich auch nicht ausgeben.

Mitte 2017 bestand über eine Billion Euro bei den Deutschen aus Bargeld und Sichteinlagen auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto. Dieses Vermögen hat sich seit der Finanzkrise 2008 und der damit einhergehenden Unsicherheit mehr als verdoppelt. Ein hoher Teil dieser Ersparnisse wandert also nach wie vor in Kopfkissen und Sparstrümpfe. So lässt sich das Vermögen jederzeit anfassen und ist krisensicher. Das glauben zumindest die meisten. Dabei nagt die Inflation jedes Jahr immer weiter daran – ohne dass ein Ausgleich stattfindet.

Gold spielt bei uns Deutschen ebenfalls eine große Rolle. Auch das lässt sich anfassen, im Garten vergraben oder sogar in den eigenen vier Wänden einmauern. Außerdem ist es so geschützt vor Politikern, der kriselnden EU oder den schwankenden Aktienmärkten.

Ein Stück weit hängt diese Einstellung auch mit den Erlebnissen aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg und dem geteilten Deutschland zusammen. Das gilt als die Grundlage der sogenannten „German Angst“. Seitdem wird sie von Generation zu Generation über die Erziehung weitergegeben. Selbst die Jüngeren bezahlen viel lieber bar als mit dem Smartphone oder kontaktlos mit der Kreditkarte.

Zeiten ändern sich

Doch langsam lässt sich ein Wandel erkennen. Die Generation der Menschen, die die harte Zeit nach dem Krieg miterlebt haben und dieses Sparstrumpfverhalten mitgeprägt hat, stirbt langsam aus. Die jüngeren Generationen werden mit der modernen Technik groß, haben mehr Vertrauen in die Entwicklungen und probieren mehr aus. Überzeugt man sie von den Vorteilen digitaler Zahlungsmöglichkeiten, werden sie sich auch daran wagen und diese vermehrt nutzen. So werden die Vorurteile langfristig abgebaut und das bargeldlose Zahlen wird sich weiter verbreiten.

Erste Tendenzen lassen sich bereits erkennen: Die Zahl der Aktionäre ist in diesem Jahr auf 10,1 Millionen angestiegen. Jeder sechste Deutsche ist so an börsennotierten Unternehmen beteiligt. Damit liegt die Zahl der Anleger wieder auf dem gleichen Stand wie 2007 vor der Finanzkrise.

Auch meine Freundin hat sich jahrelang geweigert mit der Karte zu bezahlen oder gar Online-Banking zu betreiben. Der Hauptgrund war die Angst, etwas falsch zu machen oder Opfer eines Datendiebstahls zu werden. Erst nachdem sie die Vorteile erkannte und die Vorurteile nicht haltbar waren, wurden die digitalen Möglichkeiten genutzt. Und jetzt zahlt sie sogar häufiger kontaktlos als ich. Auch den Schokoriegel für einen Euro. Zeiten ändern sich.

Daniel Korth

Daniel Korth schreibt seit 2015 in seinem preisgekrönten Finanzrocker-Blog über Finanzen, Geldanlage und Vermögensaufbau. Seinen Finanzrocker-Podcast hören über 90.000 Menschen im Monat. Zusammen mit dem Finanzwesir Albert Warnecke versucht er im Podcast „Der Finanzwesir rockt“ die Finanzbildung in deutschen Wohnzimmern salonfähig zu machen.