Umzug XXL: Was kommt auf die Restaurator*innen zu?

Michaela Brand | 13. Juli 2021

Nach 15 Jahren Laufzeit wird die Dauerausstellung (DA) „Deutsche Geschichte vom Mittelalter bis zum Mauerfall“ von Juli bis voraussichtlich Dezember 2021 abgebaut. So steht allen Beteiligten ein spannendes logistisches Großprojekt bevor. In unserem Interview erläutert Michaela Brand, Buchrestauratorin im Deutschen Historischen Museum, die Arbeit der Restaurator*innen in diesem Zusammenhang.

Frau Brand, Sie begleiten die aktuelle Dauerausstellung im Zeughaus seit ihrer Eröffnung 2006. Können Sie uns einen Einblick geben, wie viele Objekte auf was für einer Fläche dort zu sehen waren?

Ja, sehr gern. Wir haben im Zeughaus eine Ausstellungsfläche von 7500 qm auf zwei Etagen. 5544 Exponate wurden hier ausgestellt, gegliedert in unterschiedliche Epochen. Die Ausstellungsarchitektur umfasst nicht weniger als 585 Vitrinen und 409 Einbauwände.

Um was für eine Objektvielfalt handelte es sich dabei? Was war das größte und was das kleinste Objekt? Was war das älteste und was ist das jüngste Objekt dieser historischen Ausstellung?

Von mittelalterlichen Gemälden und Skulpturen bis hin zu Textilien, militärischer Ausrüstung durch die Jahrhunderte, Gegenständen des Alltags und vielem mehr ist der zuletzt ausgestellte Objektbestand breit gefächert. Das kleinste Exponat war ein Pfennig mit einem Durchmesser von 1,1 cm und einem Gewicht von 0,24 Gramm. Das größte Exponat war eine Flak – eine Flugabwehrkanone – in Feuerstellung mit einer Höhe von 2,41 m, Breite von 2,30 m und Länge von 7,62 m. Sie hat ein Gewicht von 5 Tonnen. Die ältesten Exponate waren zwei Spangenhelme aus dem 6. Jahrhundert. Das jüngste war eine 1€-Münze aus dem Jahr 2002.

Zwei Spangenhelme aus dem 6. Jh. waren die ältesten Exponate in der Dauerausstellung. © DHM

Das jüngste Exponat war diese 1€-Münze aus dem Jahr 2002. © DHM

Wie müssen wir uns die Arbeit für das Ausräumen einer so großen Ausstellung mit so unterschiedlichen Objekten vorstellen?

Die Restaurierungsleitung hat vor drei Jahren erste Planungen begonnen und einen Zeitplan sowie eine Abbaulogistik vorkonzipiert, die die komplexen Zusammenhänge erfordern. Die Reihenfolge der Objektentnahme sieht zunächst das Leeren der Wände vor, als erstes werden Graphiken, Plakate und Gemälde abgehängt. Das Ausräumen der Vitrinen ist im zweiten Schritt vorgesehen. Die Ausstellungsarchitektur wird grundsätzlich erst zuletzt nach der Entnahme aller Objekte abgebaut. Eine Ausnahme im Ablauf sind Großobjekte, wie z. B. Autos oder Teile der Berliner Mauer, die wegen zu enger Transportwege einen früheren Abriss von Architekturteilen erfordern.

Wer ist sonst am Abbau der Objekte beteiligt?

Die Registrars koordinieren als zentrale Schnittschnelle den Workflow zwischen allen Beteiligten und die Arbeitsschritte des Objektabbaus und -abtransports. In manchen Häusern mit kleinem Personalbestand führen Kurator*innen oder Sammlungsmitarbeiter*innen selbst den Abbau durch, in anderen wird dafür wiederum sogar eine externe Arthandling-Firma engagiert. Am DHM erfolgt die Demontierung und Objektentnahme je nach Material- und Objektgröße durch die Restaurator*innen unter Mithilfe von Techniker*innen. Es folgt die Ausprotokollierung, d. h. wir fertigen für jedes Objekt eine Dokumentation in Wort und Bild an, der aktuelle Zustand wird erfasst und etwaige Veränderungen werden in einem Zustandsprotokoll vermerkt.

Beispiel eines Zustandsprotokolls1, hier aus der Glas-, Keramikrestaurierung. © DHM

Das klingt sehr aufwändig. Wie viele Personen arbeiten in der Restaurierung?

Es gibt 17 festangestellte Restaurator*innen, die spezialisiert sind auf die neun Materialgruppen Metall, Textil, Holz, Gemälde, Glas/Keramik, Papier, Plakat, Buch und Kunststoff. Sie werden bei Bedarf von freiberuflichen Restaurator*innen unterstützt. Für manche der Festangestellten ist dies der Abbau der dritten Dauerausstellung in ihrer wechselvollen Berufslaufbahn vom Museum für Deutsche Geschichte in DDR-Zeiten bis heute.

Können Sie uns schildern, was die Tätigkeit eines Restaurators/einer Restauratorin umfasst?

In der öffentlichen Wahrnehmung ist unser Beruf häufig von einer übertrieben romantischen Aura umhüllt. Sie reduziert uns oft auf versonnenes Stehen und Pinseltupfen an der Staffelei oder feierliches, weiß behandschuhtes Einbringen eines fragilen Exponats in eine Ausstellung.

Die prosaische Berufspraxis nach dem Studium, das man heute mit dem Bachelor oder Master abschließt – teils mit vorheriger einschlägiger Handwerkslehre und 1 bis mehrjährigen Praktika in Museen oder anderen Ausbildungsbetrieben – ist viel breiter gefächert und naturwissenschaftlich-technisch geprägt. Wir übernehmen aufgrund unserer Fach- und Objektkenntnisse wichtige beratende und kommunikative Funktionen in der interdisziplinären Zusammenarbeit im Gesamtgefüge des Museums. Neben praktischen Restaurierungsmaßnahmen haben konservatorische Tätigkeiten für die Sammlungen große Bedeutung. Von der Expertise zu Neuankäufen reicht das Arbeitsfeld bis hin zur aufwändigen Planung neuer Depots und der Überprüfung der Klimatisierung verschiedenster Liegenschaften im Allgemeinen. Dazu kommen wichtige präventive Aufgaben wie das Integrated Pest Management, bei dem durch Monitoring Schädlinge in den Blick genommen werden, die kulturelle Sammlungen befallen können.

Ein aufwändiges Beispiel zu praktischer Arbeit im Museum ist in der Textilrestaurierung die Präsentation und Depotaufbewahrung von Bekleidung. Die Restaurator*innen entwickeln Unterkonstruktionen und fertigen sie individuell für jedes Objekt an, denn für die optimale Präsentation bzw. Lagerung von Kleidungsstücken ist es von Bedeutung, ob der/die ursprüngliche Träger*in schlank oder füllig war und welche Figur er/sie hatte. Durch die rege Ausstellungstätigkeit des DHM sammeln wir Restaurator*innen vielfältige Erfahrungen und entwickeln maßgeblich kreative Präsentationslösungen. Sie müssen objektschonend, haltbar-stabil und gleichzeitig elegant, optisch unauffällig sein.

[Hier ist beispielhaft Papierrestaurator Matthes Nützmann bei der Arbeit zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=sfHdjCsCWaA]

Haben Sie dafür noch andere Beispiele?

Ja. Für die DA haben wir eigens innovative Präsentationshilfen konzipiert. Beispielsweise wurde für rund 700 Exponate aus Papier eine neuartige Kartonkonstruktion entwickelt, die es den Besucher*innen ermöglicht, die ungerahmten, d.h. damit unverglasten Exponate in den Vitrinen ohne Spiegelungen zu betrachten. Vorausgegangene Materialrecherchen und Montierungsversuchsreihen führten zu dieser Lösung, die sich aus heutiger Sicht nach 15 Jahren sehr gut bewährt hat.

Unverglastes Hängesystem für Vitrinen. Die entstehende Schattenfuge an der Vitrinen Rückwand unterstreicht den Eigencharakter jedes hängenden Exponats. © DHM

Zurück zum Abbau der Dauerausstellung. Wie können wir uns jetzt Ihre Arbeit vorstellen?

Alle beschriebenen Aufbau-, Montierungs- und Installierungsarbeiten im Kleinen und Großen werden nun in den folgenden Monaten rückwärts abgewickelt.

Die Objekte werden verpackt, je nach Gattung z. B. in Seidenpapier und Pergamintüten. Oder liegende Textilien in Wellkartonschachteln oder Gemälde in Klimakisten. Bei freistehenden Objekten wird soweit möglich eine direkte Oberflächenreinigung durchgeführt. Der Transport von Großobjekten wird, wie schon gesagt, durch Sondertransportfirmen übernommen. Alles steht anschließend unter der Obhut der Registrars. Diese organisieren und überwachen eigene Transporte und jene der externen Kunstspedition in die Sammlungsdepots, und sie gewährleisten neben den Sammlungs- und Depotmitarbeiter*innen auch die fortlaufende Aktualisierung der Standorte der Objekte in der Datenbank. Sobald alle Exponate wieder im Depot sind soll die gesamte Ausstellungsarchitektur von den Techniker*innen abgebaut werden. Das Zeughaus wird vor der Sanierung komplett geleert.

Frau Brand, wir danken für dieses Gespräch und den faszinierenden Einblick in Ihre Arbeit. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die nächsten Monate.

1) Das hier protokollierte Objekt, die Leuchtreklame „Florida“, stammt von einer Tanzbar in Berlin-Wedding und datiert von 1956/1960. Der Großbuchstabe „F“ des Schriftzuges ist mit zwei Palmen verziert. Der Neonschriftzug ist aus Eisenblechen gefertigt, die Buchstaben sind dreidimensional ausgeformt. Auf die einzelnen Buchstaben sind die mit Leuchtgas gefüllten Glasröhren aufgebracht.

Gesamt Besuchszahl: fast 7 Millionen Gäste
Vorbereitung Dauerausstellung: 6 Jahre
Aufbau: 6 Monate
Planung Abbaulogistik: 3 Jahre
geplante Dauer des Abbaus: 6 Monate