Deutsche Heimat in Paris

Das Porträt Alexander von Humboldts für Auguste und Sophie-Augustine Léo

Sabine Beneke | 21. Juli 2021

Das Deutsche Historische Museum (DHM) konnte kürzlich ein Porträt von Alexander von Humboldt erwerben, das während seiner Zeit in Paris um 1835 entstand und ein privates Zeugnis seiner Freundschaft mit der Familie des Bankiers Auguste Léo darstellt. Dr. Sabine Beneke, Sammlungsleiterin Kunst, stellt das Gemälde vor und beschreibt seinen Entstehungskontext.  

Das vom DHM kürzlich erworbene Porträt des Forschungsreisenden und Universalgelehrten Alexander von Humboldt (1769 – Berlin – 1859) befand sich rund 185 Jahre in Paris. Dort wurde es, 72 x 58 cm groß, um 1835 als privates Zeugnis der Freundschaft Humboldts mit der Familie des Bankiers Auguste Léo gemalt. Es zeigt Humboldt ohne Orden und Auszeichnungen und ohne Gegenstände, die auf sein öffentliches Leben als Forscher und Gelehrter hinweisen. Mit hoher Kunstfertigkeit leuchtet der Maler Henri (Karl Rudolph Heinrich) Lehmann das Gesicht aus. Aufmerksam, offen und freundlich schaut Humboldt den Betrachter an. Der in Kiel 1814 geborene Lehmann war ein Neffe der Ehefrau des Bankiers, Sophie-Augustine, und 1831 in Paris Schüler des bedeutenden Malers Jean-Auguste-Dominique Ingres geworden.

Alexander von Humboldt, Henri Lehmann, um 1835, Paris, 73 x 60 cm, Inv. Nr. Gm 2021/1 © DHM

Mitte der dreißiger Jahre hatte Humboldt bereits seit über zwei Jahrzehnten immer wieder in Paris gelebt und dort gerade sein mehrbändiges amerikanisches Reisewerk beendet. Das deutschstämmige Ehepaar Léo hatte ihn als Gast und schließlich als Freund in seinem Salon in der Rue de la Chaussée d’Antin im IX. Arrondissement empfangen. Dort verkehrten bekannte Persönlichkeiten aus Musik, Literatur und Kunst. Doch die Léos boten auch kulturelle und emotionale Heimat für weniger berühmte deutsche Landsleute. Kurz nach der Entstehung des Porträts, das offenbar einen prominenten öffentlichen Platz im Haus der Léos einnahm, war der Bankier vorübergehend in finanzielle Schwierigkeiten geraten und hatte Paris verlassen. Der im Pariser Exil lebende Dichter Heinrich Heine (Düsseldorf 1797 – 1856 Paris) berichtete:

„Auch patriotische Gründe gibt es, welche die Erhaltung des armen Leo wünschenswert machen. Gekränktes Selbstgefühl und die großen Verluste nötigen, wie ich höre, den einst so wohlhabenden Mann, das sehr teure Paris zu verlassen und sich auf das Land zurückzuziehen […]. Das wäre nun ein großer Verlust für die deutsche Landsmannschaft. Denn alle deutsche Reisende zweiten und dritten Ranges, die hierher nach Paris kamen, fanden im Hause des Herrn Leo eine gastliche Aufnahme, und manche, die in der frostigen Franzosenwelt ein Unbehagen empfanden, konnten sich mit ihrem deutschen Herzen hierher flüchten und mit gleichgesinnten Gemütern wieder heimisch fühlen. An kalten Winterabenden fanden sie hier eine warme Tasse Tee, etwas homöopathisch zubereitet, aber nicht ganz ohne Zucker. Sie sahen hier Herrn von Humboldt, nämlich in effigie [= als Bildnis] an der Wand hängend, als Lockvogel. […] Es waren die holden Klänge der Muttersprache, sogar der Großmuttersprache, welche hier den Deutschen begrüßten. Hier ward die Mundart des Hamburger Dreckwalls am reinsten gesprochen, und wer diese klassischen Laute vernahm, dem ward zumute, als röche er wieder die Twieten des Mönckedamms. Wenn aber gar die »Adelaide« von Beethoven gesungen wurde, flossen hier die sentimentalsten Tränen! Ja, jenes Haus war eine Oase, eine sehr aasige Oase deutscher Gemütlichkeit in der Sandwüste der französischen Verstandswelt, es war eine Lauberhütte des traulichsten Cancans, wo man ruddelte wie an den Ufern des Mains, wo man klingelte wie im Weichbilde der heil’gen Stadt Köln, wo dem vaterländischen Klatsch manchmal auch zur Erfrischung ein Gläschen Bier beigesellt ward – deutsches Herz, was verlangst du mehr? Es wäre jammerschade, wenn diese Klatschbude geschlossen würde.“ (http://www.heinrich-heine-denkmal.de/heine-texte/lutetia57.shtml)

Nach Hamburg und Berlin war Paris im 19. Jahrhundert gleichsam die dritte deutsche Großstadt. Bis zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Kriegs 1870 wuchs die Zahl der deutschsprachigen Migrantinnen und Migranten in der französischen Hauptstadt auf bis zu 80.000. Zur Entstehungszeit des Porträts hatte das schnell wachsende Paris rund 900.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die meisten Deutschen in Paris versuchten als Straßenkehrer, Lumpensammler, Kanalarbeiter, Erd- und Fabrikarbeiter, Dienstmägde, Schreiner, Tischler, Schneider und Schuhmacher ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im historischen Gedächtnis verblieb jedoch die zahlenmäßig kleinere Gruppe aus Gebildeten, Künstlern und Wohlhabenden sowie politischen Flüchtlingen aus Deutschland. Für Alexander von Humboldt war Frankreich sein ‚zweites Vaterland‘: Wie kaum ein Zeitgenosse verkörperte Humboldt die Verflechtung deutscher und französischer Kultur und Wissenschaft.