„Schwarzalbenreich“ – Interview mit Barrie Kosky und Ulrich Lenz

20. April 2022

Richard Wagner war Antisemit — dem widmet sich in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ auch die eigens vom Chefregisseur und Intendanten der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, geschaffene Installation „Schwarzalbenreich“. Eine Klangcollage, die in der Dunkelheit einer „Blackbox“ präsentiert wird, vermischt historische Aufnahmen mit ins Jiddische übersetzten antisemitischen Zitaten. Die konzeptuelle Dramaturgie und Supervision übernahm Ulrich Lenz, der Chefdramaturg der Komischen Oper Berlin. Beide erzählen im Interview mehr darüber.

Welche Assoziationen hat bei Ihnen der Ausstellungstitel „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ geweckt?

Barrie Kosky: Ambivalente Assoziationen. Gefühl ist für mich positiv definiert. Das „deutsche Gefühl“ empfinde ich, gerade bei Wagner, eher als Gefühligkeit. Umso mehr weil Wagner das Deutschsein immer aus der Ablehnung des negativ konnotierten Anderen definiert. Aber diese Ambivalenz ist ja von den Macher*innen der Ausstellung intendiert.

Ulrich Lenz: Ich misstraue dem Kult, der um Wagner und seine Musik gemacht wird, in hohem Maße. Auch bei Wagner ist nicht alles Gold! Auch wenn er das selbst zeit seines Lebens so propagiert hat. Die Widersprüchlichkeit seiner Werke fasziniert und stößt gleichzeitig auch ab. Auf jeden Fall aber ist er ein begnadeter Musikdramatiker, der dank seiner schier grenzenlosen Fantasie eigene, faszinierende Welten geschaffen hat. Und gleichzeitig sind alle seine Werke wie bei kaum einem anderen Komponisten Spiegel ihrer Zeit und der politischen Umstände, in denen sie entstanden sind. Darauf zielt ja letztlich auch der Titel der Ausstellung ab.

Wagner war Antisemit. Wie begegnen Sie seinem Werk vor diesem Hintergrund?

Barrie Kosky: Wichtig ist, dass man das künstlerische Werk nicht von seinen verbalen und schriftlichen Äußerungen trennt. Wagner ist Antisemit und zwar durch und durch: in seinen Opern genauso wie in seinen theoretischen Schriften, in seinen Libretti genauso wie in seiner Musik. Was das für die Interpretation seiner Bühnenwerke bedeutet, muss jede*r Regisseur*in letztlich für sich entscheiden.

Was verbinden Sie persönlich mit Wagner und seinem Werk?

Ulrich Lenz: Mir hat sich sein Werk erst relativ spät erschlossen. Was nicht zuletzt auch an der Länge vieler seiner Werke liegt. Ich gestehe offen: fünf Stunden Oper sind für mich an der Grenze des Erträglichen. Niemand kann sich wirklich so lange konzentrieren. Aber Wagners Musik will immer die volle Aufmerksamkeit, wie Nietzsche es sinngemäß formuliert hat: Sie zupft einen permanent am Rockzipfel. Das nervt mich bisweilen. Und nimmt mir die Aufmerksamkeit für die wirklich großartigen Momente in diesen für mein Empfinden überlangen Werke. Auf der anderen Seite ist gerade der Ring natürlich großes, umfassendes Welttheater. Da steckt so viel drin, dass man sich zu Recht immer wieder aufs Neue damit beschäftigen kann. Ich finde, man sollte das nicht in vier, sondern in zehn Tagen aufführen, wie eine Serie: jeder Akt ein Tag mit einer etwas längeren Pilotfolge – Das Rheingold – vorneweg! Da würde man die einzelnen „Folgen“ viel aufmerksamer miterleben! Für eingefleischte Wagnerianer*innen sicher ein Sakrileg …

Blick in die „Blackbox“ in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“. Foto: © DHM/David von Becker

Wie unterscheidet sich die Rauminszenierung im DHM von einer Inszenierung für das Theater?

Barrie Kosky: In jeglicher Hinsicht! „Schwarzalbenreich“ ist eine reine Klanginstallation, ein Kopfkino, wenn Sie so wollen. Im völligen Dunkel werden die Zuhörenden mit einer 4-minütigen „Klangdusche“ überschüttet, der man nicht analytisch begegnen kann und soll. Gleichwohl haben wir versucht, die Texte und musikalischen Fragmente in einen musikalisch-dramaturgischen Spannungsbogen zu gießen.

Worin lagen die Herausforderungen für diese Ausstellungsinszenierung?

Ulrich Lenz: Sie bedurfte einer langen Vorarbeit. Die Wagner-Zitate mussten recherchiert und zusammengestellt und dann von Michael Felsenbaum ins Jiddische übersetzt und von Anna Rozenfeld eingesprochen werden. Die historischen Aufnahmen mussten gefunden werden, was gar nicht so leicht ist, wie man denken sollte. Daraus wiederum mussten die passenden Ausschnitte ausgewählt werden. Die größte Herausforderung war aber vielleicht, das alles in ein 4-minütiges Klangereignis zu gießen, das keine Aneinanderreihung von Zitaten und Musikfragmenten ist, sondern einen dramaturgischen Verlauf besitzt, der weniger auf den Verstand, sondern auf das Unterbewusstsein der Rezipient*innen abzielt. Ich finde, dass unserem Sounddesigner Sebastian Lipski diese „irre Collage“ eindrucksvoll gelungen ist.

© Jan Windszus

 

Barrie Kosky

Barrie Kosky ist ein an den großen Opernhäusern und Festivals der Welt gefragter Regisseur. Seit der Spielzeit 2012/13 ist er Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin.

Ulrich Lenz

Ulrich Lenz studierte Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in München, Berlin und Mailand. Seit der Spielzeit 2012/13 ist er Chefdramaturg an der Komischen Oper Berlin im Team von Barrie Kosky, mit dem ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbindet.

© Jan Windszus