Wozu das denn? Ein Hausschuh von Richard Wagner

Franziska Gallusser | 25. Mai 2022

Ein seidener Hausschuh von Richard Wagner ist als Leihgabe in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl” zu sehen. Was es damit auf sich hat und wie dieser in das Richard Wagner Museum Luzern gelangte, erzählt Franziska Gallusser.

Vorliebe oder Obsession?

Im Jahr 1866 bezog Richard Wagner seine „Tribschener Idylle” in Luzern, wo er sich ganz der Fertigstellung des Zyklus „Der Ring des Nibelungen” widmen sowie seinem Familienglück mit der frischen Liebe zu Cosima und den gemeinsamen Kindern hingeben konnte. Was in der Geschichte jedoch zumeist vergessen wird: Er schenkte auch einer anderen Beschäftigung einen Großteil seiner Aufmerksamkeit, nämlich dem Einrichten und Umbauen des neuen Domizils. Ein kostspieliges und zeitaufwändiges Hobby, das noch von einem anderen übertrumpft wurde: dem Bestellen und eigenen Entwerfen von Kleidung aus edlen Stoffen. Was das genau bedeutete, wird anhand des Briefwechsels von Wagner mit seiner „Putzmacherin” Bertha Goldwag deutlich, der 1877 in die Öffentlichkeit geriet. Seidene Hemden, Jacken, Beinkleider, die Wagner-typischen Samtbarette, Schlafröcke, aber auch Decken, Kissen, Gardinen und vieles mehr bestellte der Komponist bei Bertha, die ihn von Anfang der 1860er-Jahre bis 1868 belieferte. Auch fertigte sie für Wagner Hausschuhe an, die wohl oftmals mit Unmengen von Pelz und Watte gefüttert waren, da er schnell kalte Füsse bekam. So könnte auch der Hausschuh entstanden sein, den wir heute in der Ausstellung bewundern können – vielleicht sogar nach Wagners genauer Anweisung, was die Stoffauswahl und die Gestaltung betrifft. Eventuell war er aber auch das Werk seiner Luzerner Haushälterin „Vreneli” (Verena Stocker-Weidmann), die für ihn auch noch in den Jahren nach seinem Wegzug von Tribschen Kleidung herstellte.

Zeichnung von Richard Wagner für Bertha Goldwag für die Bestellung eines Morgenrocks und einer Kniebundhose © Richard Wagner Museum, Stadt Luzern

Von Hautleiden und Fetischen

Und so öffnet der Pantoffel noch eine andere Tür zu Wagners Modegeschmack: Der feminine Stil der Fussbekleidung könnte auf einen Fetisch oder gar Transvestismus hinweisen. Im Verborgenen trug Wagner wohl sogar Damenkleider und -unterwäsche. Wie zahlreiche Zeitzeugenberichte verdeutlichen, lebte er seine Neigungen zu ausgefallener Kleidung aber nicht nur im Privaten aus. Dennoch reagierte er durchaus sensibel, wenn diese angesprochen wurden. So notierte Cosima am 24. Januar 1869 in ihrem Tagebuch: „Leider erweckt R.’s Passion zu Seidenstoffen eine Bemerkung von mir, die ich lieber hätte unterlassen sollen, weil sie eine kleine Verstimmung hervorrief.” Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Wagners Kleidungsgeschmack und vor allem auch sein detailliertes Wissen über Stoffe und deren Verarbeitung daher gar als Indiz für eine Bisexualität gedeutet.

Zur Heimkehr eines Pantoffels

Wann und wie der Hausschuh nun genau seinen Weg an Wagners Fuß gefunden hat, ist heute leider nicht mehr festzustellen. Er gibt aber noch mehr Rätsel auf. So stellt sich bspw. die Frage: Was ist eigentlich mit dem zweiten Pantoffel geschehen? Das überlieferte Exemplar trägt auf der Sohle eine Beschriftung, die immerhin dessen Geschichte nach Wagner erzählt: „Markus Küng. Richard Wagner Pantoffel, Geschenk von der Haushälterin an meinem Mann Oskar Doswald – Kunstmaler. Frau Emmy Doswald”.

Die beschriftete Sohle von Wagners Hausschuh © Richard Wagner Museum, Stadt Luzern

Bei seinem Wegzug aus Tribschen schenkte Wagner seiner dortigen Haushälterin „Vreneli” einige Gegenstände als Erinnerung. Unter den Geschenken wird sich wohl auch der Hausschuh befunden haben. Vermutlich hat Vreneli diesen dann an Oskar Doswald weitergegeben – und dessen Frau wiederum, welche die Sohle beschriftete, weiter an Marcus A. Marljeffsky (geb. Küng), den Sohn des Kunstmalers Walter Küng. Die Schweizerische Richard Wagner-Gesellschaft kaufte den Hausschuh und schenkte ihn im Sommer 2009 dem Richard Wagner Museum in Luzern. Und so kann man ihn heute – wenn er sich nicht gerade auf Wanderschaft befindet – dort bewundern.


Literatur (Auswahl)

Laurence Dreyfus, Wagner and the erotic Impulse, Cambridge etc. 2010.

Ludwig Karpath, Zu den Briefen Richard Wagners an seine Putzmacherin. Unterredungen mit der Putzmacherin Bertha, Berlin 1906.

Paul Simon Kranz, Richard Wagner und «das Weibliche». Zu den Interdependenzen von Philosophie, Leben und frühem Werk (= Frankfurter Wagner-Kontexte 4), Baden-Baden 2021.

Franziska Gallusser

Franziska Gallusser ist seit Mai 2021 Mitarbeiterin am Richard Wagner Museum in Luzern. Sie studierte Musikwissenschaft an der Universität Leipzig sowie an der Université de Paris IV (Sorbonne) und wurde am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich mit einer Dissertation zum Musikbegriff des späten Hindemith promoviert. Von 2019 bis 2021 arbeitete sie am Richard-Strauss-Institut in Garmisch-Partenkirchen. Seit Sommer 2021 ist sie zudem als Dramaturgin an der Tonhalle Zürich tätig.