Gespräche im Park

Dominique Hipp und Crawford Matthews | 5. Oktober 2022

Zwei Kolleg*innen aus dem Fachbereich Bildung und Vermittlung im Deutschen Historischen Museum sind durch verschiedene Berliner Parks gegangen und haben die Meinung der Parkbesucher*innen zum Thema Staatsbürgerschaft aufgenommen. Die Stimmen werden als Teil der Intervention „Gespräche im Park“ in der Ausstellung „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“ präsentiert.

Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch.“

Bertolt Brecht – 1940/41

„Was bedeutet Ihnen Ihr Pass?“

„Nicht viel. Also keine größere Bedeutung für mich.“

Unbekannte Person im Park – 2022

Der Pass als Reisetagebuch und als Erinnerungsstütze ist eine der häufigsten Nennungen, die deutsche Staatsbürger*innen mit ihrem Ausweisdokument in Verbindung bringen. Staatsbürgerschaft dagegen ist für viele Menschen abstrakt und nur schwer greifbar, obwohl sie über Lebens- und Überlebenschancen bestimmt. In den Antworten zur Frage nach der Bedeutung von Staatsbürgerschaft im Park zeigte sich ein Widerspruch besonders deutlich: Von Bewerber*innen um eine neue Staatsbürgerschaft erwarten viele mehr als nur eine pragmatische Entscheidung; zu ihrer eigenen Staatsbürgerschaft aber haben sie oft ein gleichgültiges Verhältnis.

In der Ausstellung „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“ © DHM / Eric Tschernow

Der Katalog, mit dem die Kolleg*innen auf die Menschen zugegangen sind, beinhaltete Fragen wie: Was bedeutet Ihnen Ihr Pass? Gibt Ihnen Ihr Pass eine Zugehörigkeit? Welche Vorteile hat Ihre Staatsangehörigkeit? Können Sie sich ein Leben ohne Pass oder ohne eine Staatsangehörigkeit vorstellen? Wer sollte die Staatsbürgerschaft erhalten und anhand welchen Kriterien?

Da das befragte Publikum sehr international war, fanden sich unterschiedlichste Perspektiven in den Antworten. Die befragten Menschen haben über ihre Positionen zum Thema Staatsbürgerschaft leidenschaftlich diskutiert. Personen ohne Unionsbürgerschaft schwankten zwischen Bewunderung und Neid auf die Rechte von EU-Staatsbürger*innen. Als eine südkoreanische Frau über ihr Verhältnis zu ihrem Pass befragt wurde, gab sie schwermütige Antworten zu dem niedrigen Wert ihres Passes in Deutschland und über ihr Verhältnis zur Aufenthaltsbescheinigung. Sie schilderte lange und trostlose Wartezeiten bei der Ausländerbehörde und die immer präsente prekäre Lage von Menschen, die eine geeignete Arbeitsstelle nachweisen müssen, um eine einjährige Verlängerung zu erhalten. Zusammenfassend urteilte sie, dass dieser Ausweis, der sie als Ausländerin in Deutschland markiert, keine Gefühle von Zugehörigkeit in Deutschland schafft, sondern das Gegenteil bewirkt. Sie fühlt sich ausgeschlossen und „nicht so willkommen“ im Land, in dem sie wohnt. Der Unterschied zu ihrem italienischen Partner könnte nicht größer sein. Dieser sprach im Vergleich sehr fröhlich über seine Ankunft in Deutschland und seinen Beginn des Deutschlernens. Er musste sich nicht ausweisen, fühlte sich akzeptiert, und spürte deswegen eine bestimmte Verbundenheit zu Deutschland, aber vor allem zu Europa und seiner Unionsbürgerschaft, die Sicherheit und Rechte in anderen europäischen Länder garantiert.

Die Frage über die Auswirkungen des Besitzes oder Nichtbesitzes einer Staatsbürgerschaft auf subjektive Gefühle der Zugehörigkeit wurde auch deutlich während eines Gespräches mit einem Briten, der vor dem Brexit die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben konnte. Diese bedeutet ihm: „dass ich auch hier zuhause bin und nicht nur in meinem Ursprungs- oder Geburtsland“. Er ergänzte: „Deutschland ist meine angenommene Heimat und das hat aber eine andere Bedeutung, weil ich mich dafür entschieden habe, während ich in Großbritannien geboren bin, das konnte ich mir nicht aussuchen“.

Aufnahme einer Szene im Park, 2022 © DHM

Hier tritt auch die Frage auf, ob der Erwerb einer neuen Staatsbürgerschaft Menschen ermöglicht, eine mehrfache Identität zu entwickeln. Fühlen und bezeichnen Menschen sich selbst als nur Teil einer (staats-)rechtlichen Gemeinschaft oder fühlen sie sich auch zugehörig zur „imagined community“ eines Landes oder sogar einer Nation?[1] Die britische Historikerin Linda Colley hat geschrieben: „identities are not like hats. Human beings can and do put on several at a time”.[2] Einen mehrfachen staatsbürgerlichen Status, der vielleicht zu einer mehrfachen Identität führen könnte, wird allerdings Vielen verwehrt. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde die doppelte Staatsbürgerschaft prinzipiell so weit wie möglich verhindert. In jener Epoche der Massenarmeen und des verpflichtenden Wehrdienstes wollten Regierungen die mit der doppelten Staatsbürgerschaft einhergehende Loyalitätskonflikte vermeiden.[3] In Deutschland hatte diese Tendenz bis in die Gegenwart viele Befürworter*innen. Die Junge Union Deutschlands zum Beispiel, erklärte 1999 auf einem Plakat: „volle Loyalität kann man nur einem Land erweisen“ und deshalb, „wir lehnen die generelle doppelte Staatsangehörigkeit in Deutschland ab“.[4] Bis zum Jahr 2013 konnten Migrant*innen meistens nur die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen, wenn sie auf die der Heimat verzichteten. Inzwischen wurden die Regeln aufgeweicht; allerdings nur für Menschen aus der EU, oder die, die in Deutschland geboren wurden oder zur Schule gingen. Menschen aus sogenannten „Drittländern“, wie beispielsweise Brit*innen nach dem Brexit, sind mit der schwierigen Entscheidung konfrontiert, sich in das neue Land einbürgern zu lassen und auf die Staatsbürgerschaft einer anderen Heimat zu verzichten.

Plakat der Jungen Union gegen doppelte Staatsbürgerschaft, Berlin, 1999 © DHM

Ebenso emotional waren die Reaktionen im Park, als es um die Entscheidung für ein Leben ohne Pass ging. Die Mehrheit der befragten Menschen sprachen sich für eine künftige „Weltbürgerschaft“ aus, aber nur, wenn alles bleiben würde wie es ist.

Allerdings gab es auch Widersprüche in den Antworten, vor allem von deutschen Staatsbürger*innen. Zu den Fragen über die Bedeutung des Ausweises und der Zugehörigkeit haben viele Befragte aus Deutschland gesagt, dass der Ausweis bzw. der Pass eine rein bürokratische Sache sei, und sie keine besondere Verbundenheit zum deutschen Staat fühlen. Jedoch, als wesentliche Kriterien für eine Einbürgerung, forderten sie genau diese Verbundenheit von ausländischen Antragsteller*innen ein.


Verweise:

[1] Benedict Anderson, Imagined communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism (London: Verso, 2006).

[2] Linda Colley, Britons: Forging the Nation, 1707-1837 (London: Pimlico, 2003), S. 6.

[3] Dieter Gosewinkel, Schutz und Freiheit? Staatsbürgerschaften im 20. und 21. Jahrhundert (Berlin: Suhrkamp, 2016), S. 49, 88, 273.

[4] Plakat der CDU-Jugendorganisation Junge Union gegen doppelte Staatsbürgerschaft in: Dorlis Blume, Dieter Gosewinkel, Raphael Gross, Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789 (Berlin: Piper, 2022), S. 166.  

© DHM/Thomas Bruns

 

Dominique Hipp

Dominique Hipp, Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin/Referentin am Deutschen Historischen Museum im Fachbereich Bildung & Vermittlung. Sie ist Mitglied der DFG geförderten Netzwerkgruppe „Emanzipation nach der Emanzipation. Jüdische Geschichte, Literatur und Philosophie von 1900 bis heute“ und hat zu den Themen der „juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen“, „Gegenwartsliteratur“ sowie „Recht und Literatur“ publiziert..

Crawford Matthews

Dr. Crawford Matthews ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Bildung und Vermittlung am Deutschen Historischen Museum und an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er promovierte zum Thema Geschichte der europäischen Diplomatie in der frühen Neuzeit und seine Monographie wird 2023 im Routledge Verlag unter dem Titel „Anglo-Prussian Relations, 1701-1714: The Reciprocal Production of Status through Ceremony, Diplomacy and War“ erscheinen.

© DHM/Thomas Bruns