Wozu das denn? Gedenkplakette für Gavrilo Princip

Michael Ilg | 28. Juni 2023

Was hat das Deutsche Historische Museum mit der Gedenkplakette an Gavrilo Princip und dem Attentat von Sarajevo zu tun? Dieses von den Nationalsozialisten geraubte Denkmal befand sich als Kriegstrophäe während des Zweiten Weltkrieges im Zeughaus in Berlin Unter den Linden bis es 1946 an Jugoslawien zurückgegeben wurde. Wie es dazu kam, schildert der Historiker, Michael Ilg, in seinem Beitrag.

Am 28. Juni 1914 erschoss der 19-jährige Gavrilo Princip den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Herzogin von Hohenberg bei ihrem Besuch in Sarajevo. Dieser Anschlag löste die Julikrise aus und führte zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Bereits kurze Zeit danach wurde am Platz des Attentats eine erste Gedenktafel angebracht. Auf dieser stand:

„28.VI 1914

Es erlitten an dieser Kreuzung den Märtyrertod durch Mörderhand der Thronerbe Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Herzogin Sophie Hohenberg“

Postkarte, Attentatsort vom 28. Juni 1914, Simon Kattan, Sarajevo, vor 1914, 1917 © Michael Ilg, Privatbesitz

Noch während des Ersten Weltkriegs, im Jahr 1916, beauftragte die Stadtverwaltung Sarajevos den ungarischen Künstler Jenő Bory (1879-1959) mit der Gestaltung eines weit sichtbaren Denkmals, das am 28. Juni 1917 eröffnet wurde.

Der Künstler fertigte eine Doppelsäule aus Granit mit einem altarähnlichen Sockel mit Bronzerelief und Abbildungen des Thronfolgerpaares. Es war durch ein vereinigtes Wappen von Österreich-Ungarn gekrönt. Das sogenannte „Sühnedenkmal“ hatte jedoch nur bis 1918 bestand. Danach wurde es abgebaut. Die Bronzeapplikationen befinden sich heute in der Kunstgalerie von Bosnien-Herzegowina sowie im Museum der Stadt Sarajevo. Die steinernen Überreste des Denkmals wurden einem Steinmetz übergeben.

Fotografie des Pressebureaus des k. u k. Kriegsministeriums von 1917 „Das Sühnedenkmal in Sarajevo zur Erinnerung an die Ermordung des Erzherzog Thronfolgers von Österreich-Ungarn © DHM

Durch den verlorenen Weltkrieg hörte Österreich-Ungarn auf zu existieren. Bosnien-Herzegowina wurde Teil des neugegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, ab 1929 Königreich Jugoslawien. Die Umgestaltung des Platzes begann mit der Umbenennung der Lateinerbrücke in Sarajevo. Diese wurde umgetauft in Princip-Brücke und erhielt erst 1992 wieder ihren ursprünglichen Namen zurück.

Gavrilo Princip, der im neuentstandenen ersten Staat der Südslawen als Freiheitskämpfer verehrt wurde, erhielt eine Gedenktafel zu seinen Ehren, die am 2. Februar 1930 anlässlich des 15. Todestages der Attentäter Danilo Ilić, Miško Jovanović und Veljko Čubrilović eingeweiht wurde. Sie waren Mitorganisatoren und Komplizen des Attentats.

 In serbokroatischer Sprache stand geschrieben:

„An diesem historischen Ort hat Gavrilo Princip die Freiheit am 15/28 Vivodan gebracht.“

Die Ermordung Franz Ferdinands und seiner Ehefrau geschah nicht durch Zufall am 28. Juni. Der sogenannte „Vidovdan“ (St. Veits-Tag) erinnert an die Schlacht auf dem Amselfeld 1389. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Gedenktag durch die Serbisch-orthodoxe Kirche institutionalisiert und feierlich begangen. Der Tag repräsentiert den serbischen Freiheitskampf gegen die osmanische Unterdrückung.  Gavrilo Princip und seine Mitstreiter wählten dieses Datum bewusst als Tag für die Befreiung von Österreich-Ungarn.

Am 6. April 1941 erfolgte der Angriff der Achsenmächte auf Jugoslawien ohne Kriegserklärung und, nach der bedingungslosen Kapitulation des Königreichs wurde es unter den beteiligten Kriegsparteien aufgeteilt. Mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Sarajevo wurde die Erinnerungstafel unter dem Kommando des Leutnant Mittelmann am 17. April 1941 durch sogenannte „Volksdeutsche“ entfernt.

Sarajevotafel als Kriegstrophäe ausgestellt zwischen erbeuteten Fahnen im Zeughaus, Unter den Linden, Berlin, Deutsches Reich 1941 © United Archives / Pincornelly

Das Ereignis wurde medial in Szene gesetzt und propagandistisch verwertet. Die Prozedur wurde nicht nur durch einen Fotografen der Firma Heinrich Hoffmann, dem Leibfotografen Adolf Hitlers, begleitet, sondern auch in der deutschen Wochenschau ausführlich thematisiert.

„Volksdeutsche“ aus Bosnien-Herzegowina übergaben die Plakette an die Wehrmacht als Geschenk an Hitler. Diese wurde ihm drei Tage später zu seinem Geburtstag im Führerhauptquartier Ost übergeben. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie auf Befehl Hitlers als Kriegstrophäe im Berliner Zeughaus ausgestellt.    

Seit der Nachkriegszeit gilt die Erinnerungsplakette in der Öffentlichkeit als bis heute verschollen. Die österreichische Zeitung „Der Standard“ postulierte 2013:

„Hitler ließ die Gedenktafel als Kriegstrophäe im Berliner Zeughaus (heute Deutsches Historisches Museum Berlin) ausstellen, das durch die Bombardierung der Alliierten schwer beschädigt wurde. Von da verschwindet jede Spur.“1

Dies ist nicht der Fall. Die Marmortafel wurde bereits am 6. November 1946 einem Vertreter der Jugoslawischen Militärkommission übergeben. Die Abwicklungsstelle Zeughaus bzw. die ehemalige Direktion des ehemaligen Zeughauses erhielt in der unmittelbaren Nachkriegszeit den Auftrag, geraubte Kriegsbeute, welche sich noch in ihren Sammlungen befindet, an die zuständigen Stellen zu übergeben. Den Empfang der Gedenkplakette bestätigte Java Avšić, der Chef der Jugoslawischen Militärkommission am 11. November 1946.

Rückgabebestätigung der Gedenkpalette an die Jugoslawische Militärkommission, 6.11.1946 © DHM, HArch Rep. Z/993/1/25

Nach ihrer Rückgabe an den jugoslawischen Staat hätte die Marmortafel wieder an ihren ursprünglichen Anbringungsort in Sarajevo verbracht werden können. Jedoch passte das in der Inschrift vermittelte Geschichtsbild des ersten Jugoslawiens nicht mehr in das Bild des sozialistischen Jugoslawiens. Schon 1945 sowie 1952 wurde erneut eine neue Gedenkplakette mit überarbeiteter Inschrift an den Platz des damaligen Attentats angebracht. Auch sie sollte nicht die Letzte sein und wurde mit dem Beginn der Belagerung Sarajevos 1992 entfernt und 2002 durch eine weitere Tafel mit neutraler Inschrift ersetzt. Der Verbleib der Gedenkplakette von 1930 nach ihrer Rückgabe 1946 bleibt bis zum jetzigen Zeitpunkt ungeklärt.


1 https://www.derstandard.at/story/1385169347506/des-fuehrers-epochale-rache (letzter Zugriff: 14.06.2023)


Michael Ilg

Michael Ilg war wissenschaftlicher Volontär im Bereich Ausstellungen am Deutschen Historischen Museum. Er studierte Geschichte mit den Schwerpunkten Südosteuropäische Geschichte und Jüdische Geschichte an den Universitäten Augsburg, Prag und Poznań.