Eröffnungsrede zur Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“

Monika Boll | 6. Juli 2023

Ab dem 7. Juli 2023 zeigt das Deutsche Historische Museum die Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland”. Im Rahmen der feierlichen Eröffnung am 5. Juli 2023 hielt die Kuratorin Monika Boll eine Rede, die wir auf dem Blog veröffentlichen.

Im Zentrum der Ausstellung steht Wolf Biermann als Künstler, dessen Leben und Werk deutsche Zeitgeschichte mit zentralen Bezugspunkten spiegelt: zwischen Ost und West, deutsch und jüdisch, Sozialismus und Demokratie, Politik und Kunst. Nach einem Prolog folgt der chronologisch angelegte Ausstellungsrundgang in acht Themenräumen der Verwobenheit von Biermanns persönlichem Werdegang mit der deutsch-deutschen Geschichte: 1936 in Hamburg geboren, wuchs er im kommunistisch geprägten Arbeitermilieu auf. 1953 siedelte Biermann noch als Schüler aus politischer Überzeugung in die DDR und machte sein Abitur im Internat Gadebusch bei Schwerin.  

Die Ausstellung thematisiert erste Publikationen und Auftritte. Zu den frühen Aktivitäten gehört auch die Theaterarbeit, angefangen mit Biermanns zweijähriger Regieassistenz am Berliner Ensemble unter Helene Weigel. Welchen Stellenwert diese für ihn selber hatte, wird deutlich, wenn  man das Aufnahmegesuch zum Eintritt in die SED von 1960 liest, was Sie in der Ausstellung tun können. In dem zweiseitigen Gesuch taucht der Berufswunsch Liedermacher nämlich gar nicht auf, dafür aber mehrfach der Bezug aufs Theater, etwa wenn es heißt: „Das Studium der marxistischen Philosophie betreibe ich unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit auf die Theaterarbeit.“ Das gilt noch mehr für die Geschichte des b.a.t., des Berliner Arbeiter- und Studententheaters, das Biermann gemeinsam mit seiner ersten Frau Brigitte Soubeyran kurze Zeit nach dem Mauerbau gründete.  Das Gemeinschaftsprojekt von Arbeitern, Studierenden und Künstlerinnen wurde in der Presse der DDR als gelungene Umsetzung  sozialistischer Kulturpolitik gefeiert – nicht jedoch Biermanns Stück Berliner Brautgang, das die Trennung von Liebenden durch den Mauerbau thematisierte. Schließlich wurde das Stück am Tag der Generalprobe abgesetzt, Biermann entlassen  und das b.a.t. geschlossen.  Als Gründe wurden eine verzerrte Darstellung des Mauerbaus sowie „parteischädigendes Auftreten in der Öffentlichkeit“  angegeben. Das Muster, das sich hier abzeichnet: erst gefördert, dann verboten, gilt für Wolf Biermanns künstlerische Arbeit im Besonderen und zeigt die Problematik der Kulturpolitik im Allgemeinen. Es steht zunächst für die herausgehobene Stellung von Kultur in der DDR: Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Berufung auf die Kulturnation zum sozialistischen Selbstbild. Kultur galt als hohes Gut. In einem Staat ohne freie Medien übernahm sie die Funktion des öffentlichen Raums. Das verschaffte ihr Sichtbarkeit und Anerkennung und machte sie zugleich zum Gegenstand von staatlicher Kontrolle und Zwang.

Wir zeigen in der Ausstellung, wie dieses Muster von Anerkennung und Zwang  bereits in der Veranstaltung „Junge Lyrik“ der Akademie der Künste unter der Leitung von Stephan Hermlin griff. „Junge Lyrik“ stand für eine neue Lyrikbegeisterung, die sich im Zuge der Entstalinisierung von der Sowjetunion auf die DDR übertragen hatte. Junge Autorinnen und Autoren wie Volker Braun, Sarah Kirsch, Reiner Kunze hatten zu dieser Zeit ihre Debüts.

Das Dilemma mit der Lyrik aber ist: Sie ist immer auch eine Einladung „Ich“ zu sagen, was im Parteijargon gesprochen,  die Gefahr des „bürgerlichen Individualismus“ in sich trug. Und Biermann nahm an diesem Abend in der Akademie das lyrische Ich in seinem Gedicht „An die alten Genossen“, das diesen nicht weniger als den Rücktritt empfahl, geradezu anmaßend in Anspruch. Noch eindeutiger verhielt es sich bei seinem Gedicht „Rücksichtslose Schimpferei“, das mit einem dreimaligen „Ich Ich Ich“ beginnt und fortfährt: „…Ich will keinen sehn! Bleibt nicht stehn! Glotzt nicht! Das Kollektiv liegt schief.“

Das letzte Wort in Sachen Kulturpolitik blieb jedoch immer bei der Parteiführung. Künstlerinnen und Künstler, die davon abwichen, wurden eingeschüchtert und verfolgt. Der Lyrikabend in der Akademie endete für Stephan Hermlin mit dem Verlust seines Postens und einer abgenötigten Selbstkritik im „Neuen Deutschland“. Biermanns „Rücksichtslose Schimpferei“, die überdies 1965 im Westberliner Wagenbachverlag erschien, führte infolge des 11. Plenums des ZK der SED zu einem kompletten Auftritts- und Publikationsverbot sowie zur fast lückenlosen Observierung durch die Staatssicherheit, die Wolf Biermann neben dem Dissidenten Robert Havemann zu den am intensivsten überwachten Personen in der DDR machte.

Nach elf Jahren Auftrittsverbot fand am 13. November 1976 Wolf Biermanns berühmtes Konzert in Köln statt. Die darauf folgende Ausweisung war, wie heute bekannt ist, bereits vor dem Konzert beschlossen worden. In einem offenen Brief an die SED-Führung protestierten prominente Künstlerinnen und Künstler darunter Stephan Hermlin, Sarah Kirsch, Manfred Krug, Christa Wolf gegen die Ausweisung. Diese Art von offenem Protest, darunter auch von Parteimitgliedern, war ein Novum in der DDR mit weitreichenden Folgen. In der Ausstellung sehen Sie dazu etwa ein Interview mit der Künstlerin Gabriele Stötzer über ihre Haftzeit im Frauengefängnis Hoheneck.

Für Biermanns künstlerisches und politisches Selbstverständnis bedeutete der erzwungene Wechsel von Ost nach West  eine immense Herausforderung: Wie definierte sich ein Liedermacher neu, der sich bei aller Kritik an der SED-Führung zunächst weiterhin als Kommunist verstand? In der Bundesrepublik unterstützte Biermann die Friedensbewegung, die Anti-Atomkraft-Proteste und die Gründung der Partei Die Grünen. Zum radikalen Pazifismus blieb er jedoch schon damals auf Distanz, etwa in seinem umstrittenen Artikel „Kriegshetze Friedenshetze“ zum Zweiten Golfkrieg.   

Als 1989 die Bürgerrechtsbewegung in der DDR erstarkte und die Regierung ins Wanken geriet, blieb Biermann vorerst Zaungast. Die Einreise zur Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz wurde ihm verweigert. Bei der Besetzung der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin 1990 votierte Biermann für den Erhalt der Stasi-Akten. Er bekräftige das später nochmal in der Auseinandersetzung um die IM Tätigkeit des Schriftstellere Sascha Anderson. Auf PDS und DIE LINKE, die für Biermann Nachfolgeparteien der SED blieben, siehe seinen streitbaren und strittigen Auftritt im Bundestag 2014, blickt er bis heute mit kritischer Distanz.

Die Ausstellung beschäftigt sich auch mit dem Thema: Wolf Biermann und das Judentum. Wir zeigen dazu etwa eine Schautafel zur jüdischen Familienlinie Biermann/Loewenthal, die auf Recherchen von Pamela Biermann beruht und stellen Biermanns Nachdichtung von Izack Katzenelsons „Großem Gesang vom ausgerotteten Jüdischen Volk“ vor.

Damit kehren wir zurück zum Liedermacher und damit zur Musik. In der Ausstellung können Sie Biermanns Lieder, sofern sie direkter Anlass oder Reaktion auf politische Ereignisse waren, etwa „An die alten Genossen“, „Die Populärballade“ oder „Das Gorleben-Lied“, bei den jeweiligen Themenstationen hören, sowie das Kölner Konzert in voller Länge ansehen. Darüber hinaus befindet sich im Innenraum der Ausstellung eine große Medieninstallation mit dem Titel „Im Spiegel der Kritik“. Sie rückt das Kunstwerk als solches in den Fokus und möchte damit einen Kontrapunkt zur üblichen Wahrnehmung setzen, bei der zumeist das Politische des Liedermachers in Zentrum steht. Entstanden in einer Koproduktion mit dem rbb-Kultur können Sie dort zwischen 21 Biermannsongs aus der Zeit von 1962 bis 2016 wählen, die mit jeweils zeitgenössischen positiven wie negativen Stimmen der Kunstkritik zu kleine Hörcollagen verbunden wurden.


 

 

Dr. Monika Boll

Monika Boll ist Philosophin und Kuratorin. Sie kuratierte Ausstellungen an verschiedenen Museen u.a. zur Frankfurter Schule, zu Marcel Reich-Ranicki und Fritz Bauer. Für das Deutsche Historische Museum Berlin kuratierte Monika Boll bereits 2020 die Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert”.