Napoleons nasser Hut

Dr. Thomas Weißbrich | 13. Dezember 2023

Ein Blick in die Sammlungen des Deutschen Historischen Museums zeigt die große Vielfalt an Objekten, die im Bezug zu verschiedenen Epochen und Themen deutscher Geschichte stehen. Sie erzählen Geschichten von zurückliegenden oder aktuellen Lebenswelten, von berühmten und eher unbekannten Personen und Ereignissen. In unserer neuen Blogserie #Umweltsammeln stellen wir die Vielfalt unserer Sammlungsobjekte zum Themenfeld „Umwelt“ vor. Dabei eröffnen überraschende Fragestellungen der Sammlungsleiter*innen neue Perspektiven auf historische Objekte und oftmals erstaunliche Parallelen zu heutigen Fragestellungen.

Dr. Thomas Weißbrich, Leiter der Militaria-Sammlung, nimmt ein besonderes Objekt unserer Sammlung zum Anlass, um vom Einfluss des Wetters auf eine der bekanntesten Schlachten der europäischen Geschichte zu erzählen: den Hut Kaiser Napoleons I. aus der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815.

Wetter macht Geschichte

„Hätte es nicht in der Nacht vom 17. zum 18. Juni geregnet, so hätte sich die Zukunft Europas anders gestaltet. Einige wenige Tropfen Wasser haben die Waagschale des Geschicks zu Ungunsten Napoleons geneigt.“1 Mit dieser dramatischen Zuspitzung lässt Victor Hugo den Erzähler seines Romans „Die Elenden“ (1862) die Niederlage der von Napoleon geführten französischen Armee in der Schlacht bei Waterloo 1815 kommentieren. Tatsächlich hat das Wetter den Verlauf dieser für die europäische Geschichte bedeutenden Schlacht beeinflusst.2 Über die Frage, wieweit der Regen sich auf Sieg und Niederlage auswirkte, spekulieren Militärhistoriker bis heute.3

Bei den Bemühungen, militärische Aktionen zu planen, war (und ist) das Wetter ein unberechenbarer Faktor. Es gehört zu den „Friktionen“, über die der preußische Offizier und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz bemerkt, dass sie den Unterschied zwischen Plan und Wirklichkeit ausmachen. So fanden Schlachten und Belagerungen bei Sonne und im Regen statt, unter dunklen Wolken, bei starkem Wind, bei Sommerhitze und Minusgraden – 1588 beschädigte ein Sturm die zur Invasion Englands aufgebrochene spanische Armada schwer, 1812 zwang „General Winter“ die „Grande Armée“ zum Rückzug aus Russland und 1944 verschoben die Alliierten den Termin für ihre Landung in der Normandie aufgrund der Wetterlage mehrfach.4 Derartige Wettereinflüsse fanden bislang jedoch nur selten in geschichtswissenschaftlichen Darstellungen hinreichende Beachtung, da sich diese in der Regel auf das militärische Geschehen konzentrieren.

Der Regen vor der Schlacht

Abb. 1: Donner und Blitz: Ein Starkregen ergoss sich kurz vor der Schlacht in der Gegend um Waterloo.
(Ausschnitt aus dem Gemälde von John Heaviside Clark, Am Morgen nach der Schlacht von Waterloo, ca. 1816, DHM, 1990/425)

Es waren nicht nur „einige wenige Tropfen Wasser“, die vom Abend des 17. Juni bis zu den frühen Morgenstunden des 18. Juni 1815 in der Gegend des belgischen Ortes Waterloo vom Himmel fielen, sondern ein stundenlang andauernder Regen, der bereits am Nachmittag begonnen hatte und dem ein starker Sturm vorausgegangen war.5 Augenzeugen berichten von wahren Sturzfluten und selbst die regengewohnten Briten betonen die ungewöhnliche Regenstärke.

Aus den unbefestigten Landstraßen, über die die Soldaten, insgesamt rund 185.000 Mann, in Richtung Waterloo marschierten, waren im Nu aufgeweichte Wege voller Pfützen geworden. Die mit Marschgepäck beladenen Infanteristen stapften durch den Matsch, wobei der eine oder andere Schuh im Schlamm stecken blieb. Auch Pferde der Reiterei und die Zugpferde der schweren Kanonen und Munitionswagen versanken bis zu den Fesseln.

Wachstuch und Regendeckel

Abb. 2: Regenschutz: Den Tschako schütze ein Überzug aus Wachstuch.
(Tschako M 1808 für Mannschaften, mit Wachstuchüberzug, Nachbildung 2013, DHM, U 2014/8 und U 2014/9)

Gegen schlechtes Wetter gab es im frühen 19. Jahrhundert kaum schützende Kleidung – das galt für alle bei Waterloo versammelten Armeen, für die französische ebenso wie für die verbündete britisch-niederländisch-preußische: Als Kopfbedeckung trugen viele Soldaten die aus Filz gefertigten und mit Leder verstärkten Tschakos. Zum Schutz gegen Nässe konnten diese mit einem Wachstuch überzogen werden, eine Maßnahme, die vor allem ihre Haltbarkeit verlängern sollte. Die Uniformen waren aus Wolltuch, Jacken und Hosen aus Kostengründen eng geschnitten. Das Wollfett ließ die Regentropfen zwar eine Weile abperlen, aber bei Starkregen wie diesem funktionierte der natürliche Nässeschutz nicht mehr. Die Kleidungsstücke wurden allmählich feucht und damit schwer. Wenn beim Färben der Stoffe nachlässig gearbeitet worden war, konnte es vorkommen, dass sie ausfärbten. Einen gewissen Schutz gegen das vollständige Durchnässen boten Mäntel, die damals erst seit wenigen Jahren zur Ausstattung der Soldaten gehörten.

Die Qualität der Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke war von Einheit zu Einheit verschieden. Während die Elite wie die kaiserliche Alte Garde gut ausgestattet war, traf das für andere Einheiten nicht zu, so litten die preußischen Landwehrregimenter unter ihrer teilweise improvisierten Ausstattung.

Die Nässe konnte jedoch auch Schusswaffen unbrauchbar machen. Wenn die Papierpatronen der Steinschlossgewehre und Pistolen oder das Schwarzpulver und die Zündschnüre für die Kanonen feucht wurden, waren sie zunächst nicht mehr funktionsfähig. Munition wurde daher in ledernen Taschen aufbewahrt, größere Vorräte in Holzkisten. Zum Schutz der empfindlichen Gewehrschlösser diente das Umwickeln mit Tüchern. In der preußischen Armee gab es den sogenannten Regendeckel, eine Schutzhülle aus Leder, die man um das Gewehrschloss band.6

Feldlager und Gasthof

Abb. 3: Im Feldlager. Lagerfeuer boten Gelegenheit, warmes Essen zuzubereiten.
(Französische Infanteristen im Lager, um 1815, DHM, MGr 54/118.5)

Als sich die Truppen beider Heere in der Nähe von Waterloo sammelten, hatten die meisten Soldaten lange Tagesmärsche hinter sich.7 Manche Infanteristen hatten bis zu 15 Kilometer zurückgelegt, ihr Gepäck wog bis zu 30 Kilogramm, körperlich erschöpft trafen sie ein. In der regnerischen Nacht vom 17. auf den 18. Juni konnten nur wenige von ihnen geschützte Unterkünfte wie Scheunen oder Bauernhöfe wie den Gutshof La Haye Sainte als Lager beziehen. Die meisten übernachteten, wie üblich, unter freiem Himmel, wo sie im Biwak ihre Zelte aufschlugen. Wenn trockenes Holz vorhanden war, spendeten Lagerfeuer zumindest etwas Wärme und boten die Gelegenheit, Essen zu kochen oder zu braten und warme Getränke zuzubereiten. Da die gegnerischen Truppen jedoch dicht benachbart lagerten, war manchen von ihnen aus Sicherheitsgründen das Feuermachen verboten. Viele Soldaten schliefen in ihren klammen Uniformen, die Mäntel dienten als Decke. Zum Trocknen der Kleidung gab es kaum Gelegenheit.

Höhere Offiziere hingegen quartierten sich standesgemäß in Häusern ein. So bezogen Wellington und sein Gefolge einen Gasthof, Napoleon mit seinem Stab ein Bauernhaus in der Nähe von Waterloo. Dort entwarf er den Schlachtplan für den kommenden Tag. Zu den Kleidungsstücken, die der Regen vor der Schlacht allmählich durchnässt hatte, gehörte neben dem grauen Mantel auch sein Hut. Da der Feldherr in seinem Gepäck aus Gewohnheit immer mehrere Ersatzhüte mit sich nahm, tauschte er ihn gegen einen trockenen aus. Den klammen Zweispitz schickte er seinem Hutmacher Poupart zum Aufarbeiten nach Paris.8

Einen ungewöhnlichen Anblick bot der britische Lieutenant-General Sir Thomas Picton: Er erschien auf dem Schlachtfeld in modischer Zivilkleidung mit Zylinder – sein Gepäck war mitsamt Uniform beim Transport nach Belgien verschwunden. Angesichts der Wetterlage hatte Picton auch einen Regenschirm mitgebracht, den er an Stelle des Degens nutzte, um seinen Truppen ihren Platz im Feld anzuweisen. Abgesehen davon, dass ein Regenschirm ein höchst ungewöhnlicher Gegenstand in den Händen eines gestandenen Offiziers war, galt dieser im 18. Jahrhundert erfundene Regenschutz lange Zeit als typisches Damenaccessoire.

Die Folgen des Starkregens beeinflussten am nächsten Morgen auch die Vorbereitungen der Schlacht: Auf dem aufgeweichten Boden konnte die französische Artillerie nämlich nur mühsam in Stellung gebracht werden. Der Kampf begann daher erst um die Mittagszeit, viel später als von Napoleon vorgesehen. Diese Verzögerung gefährdete seinen Plan, die unter dem Befehl von Wellington stehenden britisch-niederländischen Truppen zu schlagen, bevor sich diese mit den von Generalfeldmarschall Blücher herangeführten Preußen zusammenschließen konnten. Tatsächlich trafen diese am späten Nachmittag auf dem Schlachtfeld ein, zu dem Zeitpunkt, als die Briten in Bedrängnis gerieten. Mit zusammengeführten Kräften gelang es, den französischen Kaiser in die Flucht zu schlagen.

Napoleons trockener Hut

Abb. 4: Trocken geblieben. Napoleons Ersatzhut aus der Schlacht bei Waterloo (Zweispitz von Napoleon I., 1815,DHM, U 353)

Nach der verlorenen Schlacht zog sich Napoleon nach Brüssel zurück. Unterwegs ließ er seine Reisekutsche stehen und nahm das Pferd, da der Wagen drohte, beim Rückzug auf den vom Regen aufgeweichten Landstraßen steckenzubleiben. Unbegründet war diese Befürchtung nicht, denn tatsächlich geriet die leere Kutsche im Dorf Genappe in den Stau der sich auflösenden französischen Armee. Dort erbeuteten sie preußische Füsiliere – und mit ihr einen weiteren im Wagen verbliebenen Hut. Diesen schickte Blücher als Trophäe zusammen mit anderen Beutestücken an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. nach Berlin. Napoleons Zweispitz war zunächst in der königlichen Kunstkammer im Schloss und später, in einer Vitrine konserviert, in Museen zu bewundern.9

Nach der Niederlage und der Abdankung wurde Napoleon ins Exil nach St. Helena verbannt. Das Klima der südatlantischen Insel ist durch sehr hohe Luftfeuchtigkeit von rund 85 % gekennzeichnet. Hier trug der Ex-Kaiser keinen schwarzen Filzhut mehr, sondern passenderweise einen Sonnenhut aus Stroh.


1 https://www.projekt-gutenberg.org/hugo/elenden2/chap001.html; Erstes Buch. Waterloo, III. Am 18. Juli 1815

2 Vgl. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/wiener-kongress/schlacht-bei-waterloo.html; Marian Füssel, Waterloo 1815, München 2015.

3 Vgl. Stephen Clarke, How the French won Waterloo (or think they did), London 2015, S. 54-60.

4 Vgl. Jan Klage, Wetter macht Geschichte. Der Einfluss des Wetters auf den Lauf der Geschichte, Frankfurt a.M. 2003.

5 Vgl. J. Neumann, Great Historical Events That Were Significantly Affected by the Weather. Part 11: Meteorological Aspects of the Battle of Waterloo, in: Bulletin of the American Meteorological Society, 73 (1993), S. 413-420.

6 Vgl. http://www.5-preussische-brigade.de/wb/pages/militaer-allgemein/ausruestung/allgemeine.php#dinge

7 Vgl. John Keegan, Das Antlitz des Krieges, Düsseldorf / Wien 1978, S. 154-159.

8 Der Hut blieb fast 100 Jahre als Reliquie im Familienbesitz, heute gehört er zur Sammlung der Musées Sens. Vgl. https://www.musees-sens.fr/les-collections/salle-napoleon/

9 Aus der königlichen Kunstkammer wurde der Hut an das 1883 im Zeughaus eröffnete preußische Armeemuseum überwiesen. Von dort kam er nach dem Ende der Monarchie 1918 über die ebenfalls im Zeughaus befindlichen Museen Staatliches Zeughaus, Heeresmuseum der Wehrmacht und dem zentralen Geschichtsmuseum der DDR, dem „Museum für Deutsche Geschichte“, 1990 in die Sammlung des Deutschen Historischen Museums.

Dr. Thomas Weißbrich

Dr. Thomas Weißbrich ist Leiter der Militaria-Sammlung im DHM, die Uniformen, Fahnen, Orden, Ehrenzeichen und Uniformkundliche Graphik umfasst.