„Kohle ist knapp, Geld im Flutsch futsch! Kampf dem Zins! Es lebe das Kunstgeld! …“

Lili Reyels | 28. Dezember 2023

… so hieß es im Strategiepapier1 der Gruppe Ioë Bsaffot für die Aktion „Knochengeld-Experiment – Künstler machen Geld“, welches der Lyriker und Dichter Bert Papenfuß verfasst hatte.2 Lili Reyels, Sammlungsleiterin für Finanz- und Wirtschaftsgeschichte am DHM, widmet sich in diesem Beitrag dem Kunstgeld, das vor 30 Jahren als Kunstaktion in Berlin gestartet wurde.

Und so kam es, dass vor 30 Jahren, im Dezember 1993, die Frage: „Kann man hier auch mit Knochen bezahlen?“ rund um den Berliner Kollwitzplatz und bis nach Mitte mit „Ja“ beantwortet werden konnte. Drei Jahre nach der Wiedervereinigung war dies nicht als anarchische Währungsreform oder Verdruss über die neue gesamtdeutsche Währung gemeint. Vielmehr handelte es sich um eine humorvoll und geschickt inszenierte Kunstaktion der Galerie „o zwei“ in der Oderberger Straße unter der Leitung und Organisation des Künstlers und Galeristen Wolfgang Krause. Die Künstler*innen erhöhten ihre Bekanntheit und konnten auf die durchaus vorkommende Geldnot in ihrem Metier auf spielerische Weise aufmerksam machen.

Insgesamt 55 individuell gestaltete Kunstscheine entstanden aus der Zusammenkunft internationaler und deutscher Künstler*innen aus Ost und West. Durchnummeriert und als Bündel mit einer Banderole versehen waren sie von Anfang an perfekt für Sammler geeignet und wurden als vollständiger Satz für 1.000 DM verkauft – im Dezember 1993 auch an das Deutsche Historische Museum. So gelangten sie in die Sammlung Finanz- und Wirtschaftsgeschichte. In ihrer Rolle als „Dezentralbank“ gab die Galerie die Knochengeldscheine aus. Als „Notenpresse“ diente den Künstler*innen ein herkömmlicher Kopierapparat zur Vervielfältigung, danach wurden die Scheine von Hand signiert. Die Auflage eines jeden Künstler*innen-Knochengeldscheins betrug 100 Stück – was einen Emissionswert von 106.000 DM ausmachte3.

Die Gültigkeit der Knochenscheine

Der Clou war zudem, dass die als Freigeld angelegten Knochen kontinuierlich an Wert verloren. So sollte, angelehnt an die Schwundgeldtheorie von Silvio Gsell, die Hortung des Kunstgeldes durch Sammler*innen und Kunstspekulant*innen verhindert werden. Daher auch der Name, der auf den Philosophen Diogenes Bezug nahm: Dieser hatte vorgeschlagen, aus Knochen Geld zu machen, denn der bei der Lagerung entstandene Geruch würde das Horten verhindern. Ein zeitgenössischer Beobachter formulierte es so: „[E]chte Kunst ist falsches Geld, falsches Geld wird im Gebrauch zu echtem Geld, wobei das Kunstgeld nach seinem inflationären Verfall gegenüber der DM nach Abschluss der Aktion im DM-Wert natürlich auch wieder steigen kann“4.

Der Schweizer Künstler G.P. Adam hatte also für die Läden, welche Knochengeldscheine als Zahlungsmittel annahmen, einen Original-Aufkleber hergestellt, einschließlich Knochen-Logo mit dem Hinweis: „Wir nehmen Knochen“. Man hätte sich also morgens im „allet mögliche“ in der Schliemannstraße mit den Knochenscheinen eine Zeitung kaufen, nebenan im „Schliemann“ sein Frühstück bezahlen, eine Schallplatte bei „OM/Sounds“ in der Sretzkistrasse erstehen und abends in der „Pinte“ in der Lychener Straße ein Bier trinken können.5 Das Wechselgeld war echtes Geld. Die beteiligten Geschäfte konnten die erworbenen Scheine in der Galerie gegen echtes Geld zurücktauschen oder die Scheine als Kunstwerke und Kapitalanlage behalten. Zwei Musterbücher im „Initiativkomittee“, also in der Galerie, waren hinterlegt, um die Echtheit zu überprüfen.

Themen der Knochenscheine

Die Themen auf den Kunstgeldscheinen changieren von witzig, historisch, satirisch bis hin zu ironisch oder abstrakt – und natürlich hatten sie oft mit Knochen zu tun. Bei manchen ist der typische Stil des Künstlers oder der Künstlerin zu erkennen.

Der von Bert Papenfuß gestaltete Schein beispielsweise trägt auf rotem Grund die Aufschrift „Natürlich ist mir der Kommunismus näher als die Jacke“. Sein Kunstgeld zieren auch erfundene Buchstaben und Satzzeichen sowie das Motto: „Wo Durft ist, ‚darf man‘ etwas verhökern, Löcher pökeln“. Sein Sprachwitz zeigte sich sowohl in den Strategiepapieren, also auch auf dem Kunstgeldschein. Mit Papenfuß als einem wichtigen Vertreter der künstlerischen DDR Underground-Szene steht die Kunstaktion auch in der Tradition der DDR-Samistat-Grafiken und -Texte.6

Eine kleine Gesellschaft lachender Monster mit großen Zähnen scheint auf dem Schein von Jenny Rosemeyer kleine Knöchelchen verschlingen zu wollen. Vielleicht stellen sie den Raubtierkapitalismus dar, denn die Szene hat auch etwas Morbides.

Christine Schlegel wählte eine Frauenbüste statt des oftmals üblichen Politikerkopfes auf ihrem Schein. Fünf abstrahierte Augen beobachten sie vom Rand und scheinen etwas auszuspucken. Das Motiv des Knochens taucht auf der Rückseite in verdrehter Form auf, eine Fotomontage, aus dem die Füße hervorstehen.7

Der Künstler MK Kähne wiederum hat in einem Schein ein Thema gefunden, dass er später wiederholt aufgriff: die Idee, soziale Milieus zu vertauschen und die Thesen seiner Arbeit durch Persiflage zu verdeutlichen. In provokanter Mine schauen gut situierte und gekleidete Menschen den Betrachtenden von einem Foto auf dem Geldschein aus an und fragen: „Wir lieben Geld. Du auch?“10

Ein paar Jahre nach der Knochengeldaktion hat die Künstlerin Breeda CC ihren Satz Knochengeldscheine verkauft. Von dem Erlös kaufte sie einen Teil ihres fahrbaren Untersatzes für das mobile Theater „Icke Mobil“. Auf ihrem Schein hatte sie bereits „In Bank we trust“ formuliert, eine Abwandlung des Wahlspruchs der Vereinigten Staaten von Amerika „In God we trust“, welches seit 1955 für alle Münzen und das Papiergeld per US-Gesetz verbindlich ist. Einerseits wird hier der Bezug zu Amerika als kapitalistische Gesellschaft, die ironisch-kritisch gesehen wird, gezeigt, andererseits der Verweis auf Gott negiert, indem das Geld beinahe als (Ersatz)religion unserer Tage, welcher getrost vertraut werden kann, interpretiert wird.8

Das Ende der Aktion

Die Laufzeit der Scheine endete am 29. Dezember 1993. Nach Ablauf der sieben Wochen hatte das „Geld“ nur noch Kunstwert. Daher nahmen auch die Landeszentralbanken keinen Anstoß an der „Prenzlberger Währungsreform“. Da mit den Blüten keine Geldähnlichkeit angestrebt sei, so die Bundesbank, handelte es sich auch nicht um Falschgeld. Das Knochengeld wiederum zu fälschen sei aber auch verboten, da dann das Urheberrecht der Künstler*innen verletzen würde. Anfang 1994 wurden schließlich auch die im November und Dezember gelaufenen Scheine9 für 80.000 DM versteigert.

Ein längerer Artikel zum Thema Knochengeld wird in der Zeitschrift „Geldgeschichtliche Nachrichten“ 332 im März 2024 erscheinen.

Literatur

Tannert, Christoph: Knochengeld, in: Krenzlin, Kathleen (Hg): Wochenmarkt und Knochengeld, S. 122-123, Berlin 2006

Küter, Alexa und Bernhard Weisser: Muse macht Moneten, Küter, Alexa, Bernhard Weisser: Kunst prägt Geld. MUSE MACHT MONETEN. Eine Ausstellung des Münzkabinetts mit Leihgaben der Sammlung Haupt „Dreißig Silberlinge – Kunst und Geld“, Das Kabinett 16, Berlin 2016, S. 153-156

Steguweit, Wolfgang: Scheingeld zu 20 Knochen, in: Numismatisches Nachrichtenblatt 43, 1994, S. 20f.

Ioë Bsaffot: Strategiepapiere I bis V, Berlin 1993

Petzold u.a. : Boheme und Diktatur in der DDR. Gruppen, Konflikte, Quartiere. 1970-1989. Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vom 4.September bis 16.Dezember 1997

Fengler, Hein: Knochen-Geld in Prenzlauer Berg, in: Geldscheinsammler 9/93, S. 25 f.


1 Ioë Bsaffot: Strategiepapier II, Berlin d. 25.9.1993

2 Der Name der Gruppe war aus dem Ganoven-Rotwelsch-Terminus für „gefälschte Scheine“ entstanden (Ioë = falsch, gefälscht; Bsaffot = Papiere, Ausweis, Pass)

3 Küter, Alexa; Weisser, Bernhard: Muse macht Moneten, S. 154

4 Der Freitag, 12. November 1993, Nr. 46, Detlef Kuhlbrodt: Künstler drucken eigenes Geld.

5 Siehe Berichterstattung im Telegraph, 12/1993: Lothar Feix: Verrückt – Prenzlberger drucken eigenes Geld, S.10

6 Vielen Dank an die Hinweise von Herrn Tom Riebe von POESIE SCHMECKT GUT e.V., Jena, vlg. auch: Kaiser, Paul und Claudia Petzold (Hrsg.): Bohème und Diktatur in der DDR. Gruppen, Konflikte Quartiere 1970-1989. Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vom 4. September bis 16. September 1997, Berlin 1997

7 Interview mit Christine Schlegel am 15.08.2023

8 Interview mit Breeda CC am 15.08.2023

9 Als „gelaufene Scheine“ bezeichnet man Scheine, die tatsächlich benutzt worden sind.

10 Interview mit MK Kähne am 14.7.2023

Dr. Lili Reyels

Dr. Lili Reyels ist Leiterin der Sammlung Finanz- und Wirtschaftsgeschichte am Deutschen Historischen Museum.