Gläsernes Glücksspiel

Doris Kachel | 14. April 2020

Initiiert vom Arbeitskreis für Provenienzforschung findet einmal jährlich im April der Tag der Provenienzforschung statt. An diesem Tag stellen Museen ihre aktuellen Forschungsansätze und Fragestellungen vor. Für den DHM-Blog beleuchten die Provenienzforscherinnen und Provenienzforscher des Hauses ihre meist detektivische Suche nach der Herkunft und den ursprünglichen Besitzerinnen oder Besitzern der Objekte. In diesem zweiten Beitrag schildert Doris Kachel ihre derzeitigen Untersuchungen zu Glas-Deckelbechern aus dem Ministerium für Finanzen der DDR, die sich in der Sammlung des Museums für Deutsche Geschichte befanden, die wiederum in die Sammlung des Deutschen Historischen Museums übergegangen ist.

Am 30. September 1955 nahm das Museum für Deutsche Geschichte (MfDG) ein beeindruckendes Set von sieben Glas-Deckelbechern mit Spielkartenmotiven in seine Sammlungen auf. Die Becher entstanden im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts und verfügen über farbige Emailbemalungen, die unter anderem Blätter mit Pique-Bube, Kreuz-Dame, Karo-Neun oder Herz-Sechs zeigen. Einige von ihnen sind in unserer Dauerausstellung zu sehen. Es ist davon auszugehen, dass sie ursprünglich zu einem Satz von 52 Gläsern gehörten. Unklar ist bisher, ob man sie etwa für ein Trinkspiel oder einfach zur Erfrischung während eines Kartenspiels verwendete.

Deckelbecher mit Emailmalerei: Spielkarte Pique-Dame, 18. Jh. © DHM

Deckelbecher mit Emailmalerei: Spielkarte Pique-Dame, 18. Jh. © DHM

Die Gläser wurden zusammen mit zahlreichen anderen Glasgefäßen vom Ministerium der Finanzen der DDR in Berlin erworben. Da einer der Schwerpunkte eines zweijährigen Forschungsprojektes1 am Deutschen Historischen Museum, das in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste durchgeführt wird, die Recherche von Übergaben des Ministeriums der Finanzen der DDR an das MfDG2 ist, stellten sich eine Reihe von Fragen: Woher hatte das Ministerium der Finanzen die zahlreichen gläsernen Trinkgefäße? Stammen sie vielleicht aus „Schlossbergungen“ oder aus zurückgelassenem Gut von sogenannten Republikflüchtigen? Sind die Gläser nur Einzelteile eines ganzen Sets?

Deckelbecher mit Emailmalerei: Spielkarte Kreuz-Sieben, 18. Jh. © DHM

Deckelbecher mit Emailmalerei: Spielkarte Kreuz-Sieben, 18. Jh. © DHM

In dem Forschungsprojekt zu den Übergaben staatlicher Institutionen und Organisationen an das MfDG, gehe ich insbesondere den Erwerbungen von der Tresorverwaltung nach. Die Tresorverwaltung wurde im März 1953 als selbstständige Abteilung im Finanzministerium geschaffen und fungierte als zentrale Verwertungsstelle für alle nach 1949 eingezogenen und gepfändeten Wertgegenstände und Kostbarkeiten wie beispielweise Edelsteine, Edelmetalle und Porzellane.

In dieses Schema passen auch die wertvollen Gläser in unserer Sammlung. Durch die Prüfung des MfDG-Inventarbuches und der museumseigenen Datenbank konnten sogar über 50 Einzelobjekte erfasst werden, die im Jahr 1955 vom DDR-Finanzministerium erworben wurden. Eine tiefergehende Herkunftsrecherche schien hier also dringend geboten.

Es begann eine Nachforschung im „Wert-Ausgangsbuch“ der Tresorverwaltung. Dort wurde unter der laufenden Nummer 711 der Verkauf von 30 Positionen an das MfDG am 26. September 1955 notiert.3 In der letzten Spalte des Verzeichnisses ist zudem die Rechnungsnummer 213 vermerkt, die im „Ausgangs-Rechnungsbuch“ des Jahres 1955 überprüft werden konnte.4 Doch die Hoffnung, hier eventuell auf detaillierte Objektbezeichnungen oder womöglich sogar auf Vorbesitzerinnen oder Vorbesitzer zu stoßen, wurde enttäuscht. Das MfDG erwarb für 2.600 DM „Glas“, so die knappe Angabe. Dies verdeutlicht die massenhafte Verwertung von Objekten durch die Tresorverwaltung. Gleichzeitig weist es auf eine große Schwierigkeit in der Provenienzforschung speziell bei Objektgruppen wie Graphik oder Kunstgewerbe hin, in denen es oftmals nicht um Unikate, sondern um serielle und damit nicht eindeutig bestimmbare Gegenstände geht. Manchmal genügt schon ein kleiner Hinweis auf markante Fehlstellen oder Makel, um den Objekten Einzigartigkeit zu verleihen und unseren Recherchen wieder neuen Aufwind zu geben. Oder es sind Beschriftungen, Stempel oder Aufkleber auf den Gegenständen zu finden, die möglicherweise Anhaltspunkte liefern. Die Recherche nach diesen kleinen, aber sehr bedeutsamen Merkmalen ist aufwendig, wird aber ausdauernd weitergeführt.

Die Betrachtung des gesamten Konvoluts, mit dem die sieben Spielkartengläser 1955 in die Sammlung kamen, führte zu der Überlegung, dass aufgrund der Motivik wohl von einer sächsischen Herkunft auszugehen ist. Die mit dieser geographischen Eingrenzung begonnenen Recherchen im Bundesarchiv Berlin, Bestand Ministerium der Finanzen, zeigten, dass Anfang der 1950er Jahre tatsächlich in großem Umfang Kunstgegenstände von der Landespolizei Sachsen an das Finanzministerium in Berlin gesandt wurden.5 Hier lohnen sich also weitere Recherchen: Momentan erfolgt die Auswertung von Akten des Hauptstaatsarchivs Dresden und von Auskünften anderer Museen, die über ähnliche Glasgefäße verfügen.

Wie bei einem Glücksspiel ist auch der Verlauf einer Provenienzrecherche manchmal vom Zufall bestimmt, im besten Falle vom glücklichen Zufall.

Verweise

1 Ein Zwischenbericht von Christopher Jütte ist zu finden unter: https://www.dhm.de/fileadmin/medien/relaunch/sammlung-und-forschung/Provenienzforschung/Zwischenbericht_Kurzfassung_Juette_20200224.pdf (26.03.2020).
2 Dem DHM wurden 1990 im Zuge der deutschen Wiedervereinigung die Sammlungen des MfDG übertragen.
3 Vgl. Wert-Ausgangsbuch der Abt. Tresorverwaltung, begonnen 14.11.1953, BADV, AfR-Archiv, Bestand Tresorverwaltung.
4 Vgl. Ausgangs-Rechnungen der Abt. Tresorverwaltung (gebunden), 1955-1960, BADV, AfR-Archiv, Bestand Tresorverwaltung.
5 Siehe BArch, DN 1/34014.