EINFÜHRUNG | KAPITEL 1 | KAPITEL 2 | KAPITEL 3 | KAPITEL 4 | KAPITEL 5 | KAPITEL 6

Kapitel 5

Die Nutznießer

Der Ansturm auf den „jüdischen Besitz“, den die Finanzverwaltungen ab 1941 veräußerten, war groß - egal ob es um wertvolle Immobilien oder die letzten Habseligkeiten der Deportierten ging. In den Akten der Finanzbehörden finden sich zahlreiche Schreiben von Kaufinteressenten, die nach dem „Abtransport“ der Juden deren Möbel, Nähmaschinen, Musikinstrumente oder Häuser erwerben wollten.
Während in kleinen Orten der Hausrat der Deportierten oft direkt vor ihren Wohnungen öffentlich versteigert wurde, wurden in größeren Städten damit Auktionshäuser beauftragt oder das Mobiliar wurde von Gebrauchtwarenhändlern aufgekauft. Wohlfahrtsorganisationen versorgten mit dem Hausrat der Deportierten bedürftige „Volksgenossen“.


Ein alltägliches Bild: Versteigerungsanzeigen in
der Zeitung (Frankfurter Zeitung 1941).

Wertvollere Möbel und Teppiche gingen häufig an die Dienststellen verschiedener Behörden, Kunstwerke wurden von Museen, Galerien oder Sammlern aufgekauft, antike Möbel wurden Antiquitätenhändlern angeboten. Die Bücher der Deportierten gingen an öffentliche Büchereien, Dienstbibliotheken oder Lehranstalten. Nähmaschinen, die im Krieg besonders schwer zu bekommen waren, wurden meist an die Ghettoverwaltung von Lodz verkauft, wo deportierte Juden Wehrmachtsuniformen nähen mussten.


Die hier genannten Bücher stammten aus dem „arisierten“
Besitz der Familie Soetbeer aus Gießen.
Akte: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Selbst die Grabsteine der jüdischen Friedhöfe wurden Interessenten zum Kauf angeboten.
Das Interesse an Häusern und Grundstücken war so groß, dass das Finanzministerium sich bereits 1942 genötigt sah, eine Verkaufssperre für Immobilien zu erlassen. Vorgeblich, um den Frontsoldaten auch noch Gelegenheit zum Erwerb der Immobilien zu geben, wurde der Verkauf bis auf weiteres ausgesetzt.


Ein „kriegswichtiger“ Wohnungstausch?
Akte: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden