Schlacht bei Cambrai und Bedeutung

Zwar ist es nicht das erste, sondern zweite Kriegsbild, in dem Radziwill die Schlacht bei Cambrai thematisiert, wichtig ist aber, daß er gerade dieses Ereignis auswählte.

Die dortigen Kämpfe waren schon während des Krieges zum Mythos geworden, der Ende der zwanziger Jahre in einer Flut von Weltkriegsliteratur immer wieder aufs neue beschworen wurde als eines jener zentralen Kriegsereignisse, wo sich angeblich die überragenden Tugenden des deutschen Soldaten offenbart hatten.

Hans Rudi Erdt: Neuster Film! Die englischen Tanks bei Cambrai; 1917, Plakat, (Berlin, deutsches Historisches Museum), Abb. 10 1918 heißt es in einem schmalen Bändchen mit dem Titel "Die Tankschlacht und die Angriffsschlacht bei Cambrai":

"Dies Büchlein soll euch eine Erinnerung sein an die Schlacht bei Cambrai, an diese schwere und merkwürdige Doppelschlacht, die vielleicht einmal als Wendepunkt des Krieges im Westen berühmt bleiben wird. All die tapferen Divisionen, in deren Glieder am Morgen des 20. November die Tanks einbrachen, haben das dreijährige Martyrium westlichen Stellungskrieges mehr oder minder lang erduldet und wissen vom Schrecken und Grauen, welches begraben liegt in den Namen: Arras, Champagne, Verdun, Somme, Flandern.

Die alten Kämpfer wissen auch, dass die Hölle eines hundertstündigen Trommelfeuers nicht mehr und durch nichts übertroffen werden kann. Nicht einmal durch die Tanks. (...B.S.) Die Tankschlacht bei Cambrai war der Verzicht auf die Jahre hindurch von Schlacht zu Schlacht gesteigerte Wut des Trommelfeuers.
Umsonst! - Deutscher Mut hat dem jäh überfallenen Schreck der vierhundert Ungetüme getrotzt. Über den Leichen der Tanks im Bourlon-Wald im Dorfe Fontaine konnten Bataillone der Reserven, die den Kampf zum Stehen gebracht hatten, eines dunklen Vorgefühls sich freuen: der letzte Akt des Stellungskrieges war hier zu Ende gegangen. Doppelschlacht bei Cambrai!(...B.S)

Ohnmächtig wie einst 1914 bei Mons fügt sich der tapfere Engländer deutschem Ungestüm und altererbter Manövrierkunst, zähneknirschend weicht der hochmütige Trommler von Flandern dem deutschen Bajonett. So steht die Schlacht bei Cambrai am Ende der alten und am Beginn einer neuen Epoche des Krieges."41

Im Januar 1918 wurde ein deutscher Film mit dem Titel "Die englischen Tanks bei Cambrai" uraufgeführt, für den ein Plakat von Hans Rudi Erdt in ganz Deutschland warb (Abb. 10).
Der Hauptmann a. D. Georg Strutz, Archivrat beim Reichsarchiv, veröffentlichte elf Jahre später das Büchlein "Die Tankschlacht bei Cambrai".42 Und in der Volksausgabe des Buches "Ehrendenkmal der Deutschen Armee und Marine"43 (um 1930) gab es nicht nur Texte zum Thema, sondern auch heroische Zeichnungen.

Hermann Hosaueus: Handgranatenwerfer; 1925, Kriegsdenkmal der Technischen Universität Berlin-Charlottenburg (nicht erhalten), Abb. 11

Was machte die Geschehnisse am deutsch-britischen Frontabschnitt bei Cambrai so bedeutsam?
Nach der Ypern-Schlacht 1917, die zwar für die Briten erfolgreich, aber auch sehr verlustreich gewesen war, plante der Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte im November des gleichen Jahres eine weitere, begrenzte Schlacht, in der erstmals Panzerkampfwagen, sogenannte Tanks, massenhaft den Feind angreifen sollten.44

Im Gegensatz zu den Materialschlachten der vorangegangenen Jahre wurde die Schlacht von Cambrai nicht mit einem einleitenden Bombardement der Artillerie begonnen. Zudem stieß die für damalige Vorstellungen unglaubliche Menge von ca. 400 Panzern auf einer Breite von dreizehn Kilometern vor. Am ersten Tag kamen die Briten fünf Meilen voran. Zehn Tage später jedoch war die Sensation des Durchbrechens deutscher Stellungen zuende.

Die Gegenoffensive der Deutschen, von kleinen Gruppen aus speziell ausgebildeten Infanteristen vorgetragen und dabei unterstützt von tieffliegender Luftwaffe, begann, und in heftigen Konterattacken wurden die Briten zurückgeworfen. Wahrscheinlich stellte Radziwill in "Das Schlachtfeld von Cambrai - Der Krieg im Westen" die deutschen Luftangriffe auf die Briten dar. Bereits 1918 hatte der Maler Rudolf Stark "Deutsche Flieger im Kampf gegen einen britischen Tank" gemalt .

Vom Anfang bis zum Ende dauerte die Schlacht von Cambrai weniger als zwei Wochen und weist in einiger Hinsicht auf den "Blitzkrieg" im Zweiten Weltkrieg voraus.Als erste Panzerschlacht ist sie in die Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges eingegangen.

In der deutschen Mythenbildung war Cambrai eines der heroischen Beispiele deutscher "Wehrkraft". Deutsche Sturmtruppen behaupteten sich gegen eine überlegene technische Armee und schlugen sie am Ende sogar erfolgreich zurück. Gegen die Tugenden "deutschen Kampfgeistes" und "Kampfkraft", gegen angeblich naturgegebene "deutsche" Willenskraft schien selbst modernste Technik nichts ausrichten zu können.

Der die Handgranate gegen die stählernen Ungetüme werfende Infanterist wurde zum St. Georg gegen den Drachen, zum Synonym für die nicht zurückweichende Infanterie, die "Königin der Streitkräfte" (Abb. 11). Mit anderen Worten: Cambrai war so etwas wie das Symbol des unerschütterlichen Kampfeswillens der deutschen Streitkräfte im Westen. Es mußte herhalten als Beweis der "Dolchstoß-Legende", derzufolge das deutsche Heer im Felde unbesiegt geblieben, aber an der Heimatfront von den "Drückebergern", Sozialdemokraten, Juden und anderen "volksschädlichen" Gruppen verraten worden wäre.