„Ein schöner Rücken…“ – Provenienzforschung im Deutschen Historischen Museum

Im Juli startet das Deutsche Historische Museum eine groß angelegte Aktion: Die Dokumentation von Gemälderückseiten in der Dauerausstellung. Während Anfang dieses Jahres bereits rund 220 Gemälde im Depot untersucht wurden, findet die kommende Untersuchung nun bei laufendem Ausstellungsbetrieb statt. Dr. Heike Krokowski, Provenienzforscherin am Deutschen Historischen Museum, beschreibt die aufwendigen Schritte, um einzelne Teile eines großen Puzzles zu finden, sie zu einem Ganzen zusammenzusetzen und schließlich die Herkunft eines Objektes klären zu können.

Seit November 2017 überprüft das Deutsche Historische Museum, ob sich in einem Teil seiner Gemäldesammlung Objekte befinden, die während des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen worden sind. Zu dieser systematischen Überprüfung gehört neben der Sichtung von Haus- und Objektakten, Datenbankabfragen und Literaturrecherchen auch die Begutachtung und Dokumentation der Gemälderückseiten. Denn die Rückseiten von Ölbildern können entscheidende Hinweise darauf geben, wann sich das jeweilige Bild wo befunden und auch, wem es einmal gehört hat.

Untersuchung und Dokumentation der Rückseite eines Gemäldes. © DHM

Etwa 480 Bilder werden im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg finanziell geförderten Projektes auf einen möglichen verfolgungsbedingten Entzug beforscht. Von ihnen werden im Juli rund 250 Gemälde während des laufenden Ausstellungsbetriebes begutachtet. Im Obergeschoss des Zeughauses ist für eine provisorische „Werkstatt“ ein Teil der Dauerausstellung abgesperrt, in der die Gemälde fotografiert und die dabei gefundenen Spuren dokumentiert werden.

Die provisorische „Werkstatt“ in der Dauerausstellung im Obergeschoss des Zeughauses. © DHM

Bei diesen Spuren kann es sich um Aufkleber oder Beschriftungen ehemaliger Ausstellungen, Verkäufe oder Vorbesitzer handeln. Je nachdem wie aussagekräftig sie sind, geben sie nachfolgende Recherchewege vor: Bei einem Ausstellungsaufkleber wird überprüft, wann und wo die Ausstellung stattfand und ob im Ausstellungskatalog ein früherer Besitzer angegeben wird. Namenszüge oder Stempel müssen überprüft und ehemalige Eigentümer oder Kunsthändler angeschrieben werden. Nicht immer werden die Begutachtung der Rückseiten und die anschließenden Recherchen handfeste Nachweise erbringen, aber jede einzelne Information ist ein Puzzleteil, das in das große Ganze eingepasst werden kann.

Die Rückseite eines Gemäldes mit Beschriftungen und Aufklebern. © DHM

Unter den Augen der Öffentlichkeit

Ein Hängeteam transportiert die Gemälde zu der provisorischen „Werkstatt“, wo sie auf einer Staffelei abgestellt werden. Das Kunstwerk wird sodann gut ausgeleuchtet, mit der Lupe genauestens untersucht, begutachtet und fotografiert. Alle Spuren werden schriftlich festgehalten, auch abgewischte Beschriftungen, abgerissene Aufkleber oder mechanische Veränderungen an der Leinwand oder den Rahmen. Das kleinste Detail kann später einmal das entscheidende Puzzleteil sein, das zur Auflösung einer der zahlreichen Fragen rund um die Provenienz eines Kunstwerkes beiträgt.

Abhängen eines großformatigen Gemäldes für die Untersuchung der Rückseite. © DHM

Bereits Anfang des Jahres 2018 fand eine solche „Kampagne“ zur Dokumentation im Gemäldedepot des Deutschen Historischen Museums statt. Bei mehr als 220 Gemälden wurden die Spuren auf den Rückseiten der Objekte untersucht. Eines der Kunstwerke, das dabei analysiert und fotografiert wurde, ist das Gemälde „Dämonische Prozession“ eines holländischen, anonymen Künstlers aus dem 17. Jahrhundert. Auf seiner Rückseite fanden sich zahlreiche „Provenienzmerkmale“: mehrere Aufschriften mit mutmaßlicher Künstlerangabe, alte Inventarnummern und Datierungen; ein Sammlungsstempel aus Siegellack und einige Verkaufsangaben. Darüber hinaus trägt das auf Holz gemalte Bild auch den Stempel einer italienischen Denkmalbehörde, mit dem seine Ausfuhr aus Italien genehmigt wurde, und einen weiterer Stempel, der nur aus einigen Buchstaben besteht: „CAM ST. LOUIS“. Zusammen mit der Aufschrift „121 : 66“ konnte dieser Stempel dem City Art Museum of St. Louis in den Vereinigten Staaten zugeordnet werden.

Dämonische Prozession, flämisch, um 1650. Vorder- und Rückseite des Gemäldes mitsamt aller Beschriftungen und Aufkleber. © DHM

Das Saint Louis Art Museum, wie die Institution heute heißt, bestätigte auf unsere Nachfrage, dass es das Gemälde im Jahr 1966 angekauft und sich etwa 20 Jahre später im Zuge einer Sammlungsbereinigung wieder von ihm getrennt habe. Im März 1987 gab das Museum das Gemälde bei Christie’s in New York in den Verkauf. Damit konnte nachvollzogen werden, wieso sich das Kunstwerk, obwohl es den Inventarstempel eines nordamerikanischen Museums trägt, heute bei uns im Deutschen Historischen Museum befindet.

Alle weiteren Provenienzspuren auf dem Gemälde „Dämonische Prozession“ harren hingegen noch der Auflösung. Besonders spannend ist die Frage, ob eine der zahlreichen Aufschriften auch einen Rückschluss auf den Verbleib des Gemäldes zwischen 1933 und 1945 zulässt. Denn die Klärung der Provenienz dieser fast 480 Gemälde ist letztlich das Ziel unserer ganz und gar nicht alltäglichen Aktion in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums.