Pest und Cholera und Corona

Seuchen in der Geschichte

Robert Kluth | 25. November 2020

Die Corona-Pandemie hat weltweit nicht nur eine medizinische, sondern auch eine gesellschaftliche Krise ausgelöst. Die Zahlen der Infizierten und Opfer steigen weltweit rasant an. Medien berichten von einer Zeitenwende und weltweiten Veränderungen nach Corona. Der Historiker Robert Kluth nimmt die Pandemie in den Blick und fragt im DHM-Blog nach gesellschaftlichen Errungenschaften, die Seuchen wie Pest und Cholera in der Vergangenheit hervorgebracht haben.

Blick in die Vergangenheit

Stellen wir uns eine Besucherin vor. Sie betritt die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums und findet sich im Mittelalter-Bereich. Die Wände sind hellgrau. Sie geht weiter und passiert ein Porträt Martin Luthers, Reformationszeit. Eine neue Epoche beginnt, flankiert von dunkelroten Wänden. Die Ausstellungsgestaltung macht deutlich: Hier endet etwas Altes und etwas Neues beginnt. Es stellt sich die Frage: Waren Seuchen früher schon Zeichen einer neuen Zeitrechnung? Sehen wir uns dafür zwei Seuchen an, die sich tief in die europäische Erinnerung und Sprache eingegraben haben: Wenn wir vor schwierigen Entscheidungen stehen, wählen wir zwischen „Pest und Cholera“. Reiht sich Corona in diese Auflistung zukünftig ein?

Die Pest, oder: Die Suche nach einem Sündenbock

1347 begann der berühmteste Ausbruch der Pest in Europa. Am Ende der Pandemie waren – geschätzt – ein Drittel der europäischen Bevölkerung, 25 Millionen Menschen, gestorben. Heute weiß man, dass die Beulen- und die Lungenpest durch Bakterien ausgelöst wird. Übertragen wird sie durch Rattenflöhe und durch menschliche Ansteckung.[1] Die Menschen damals verstanden nicht, was geschah, flüchteten sich in Verschwörungstheorien und schoben die Schuld auf die Juden, die die Brunnen vergiftet hätten. Dieser Irrglaube entlud  sich in 86 Pogromen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, zahlreiche jüdische Gemeinden wurden zerstört, Jüdinnen und Juden ermordet.[2]

Lüttich, Marke des Domkapitels St. Lambert, 1630, (Pestmarke ?) © DHM

Lüttich, Marke des Domkapitels St. Lambert, 1630, (Pestmarke ?) © DHM

Die Auffassung, dass Gott die Menschen für ihre Sünden strafe, war weit verbreitet. Ein Buch aus der Frühen Neuzeit zeigt u. a. „Fluchen und Lästern“, „Fressen und Saufen“ und „Lügen und Betrügen“ als Gründe für die Krankheit.[3] Die Idee, dass sündiges, unsolidarisches Verhalten die Ausbreitung der Krankheit befördert während gutes Verhalten sie bekämpft, trägt bis heute.

40 Tage Isolation: Zeichen einer neuen Zeit?

Die Obrigkeit reagierte mit Maßnahmen gegen die Pest. Die „Quarantäne“ wird eingeführt, Kranke werden von Gesunden isoliert. Auffällig ist die Anzahl der Tage: 40 Tage, darum „quarante“ – abgeleitet aus dem lateinischen – sollte die Trennung dauern. 40 Tage war auch die Zeit der Buße im Mittelalter.[4]

Breverl gegen die Pest, zwischen 1701 und 1800 © DHM

Breverl gegen die Pest, zwischen 1701 und 1800 © DHM

Nach der Pandemie fehlten Menschen und damit Arbeitskräfte. Einige Forscher*innen argumentieren im Anschluss daran, dass die Entwicklung technischer Innovationen — wie der Buchdruck oder das Wasserrad ­— begünstigt wurde, um die fehlenden Menschen zu ersetzen. Der Buchdruck gilt als ein Meilenstein für den Epochenwechsel zwischen Mittelalter und Renaissance. Die Pest ermöglichte den Buchdruck[5] , war aber kein Zeichen einer neuen Epoche. Erst die Informationsflut, die durch den Buchdruck hereinbrach, lässt Historiker*innen von einer neuen Epoche sprechen: der „Frühen Neuzeit“.

Der „blaue Tod“: die Cholera

Kaum war die Pest im 18. Jahrhundert aus Europa verschwunden, trat die Cholera ins Haus. Die Seuche verbreitete sich im 19. Jahrhundert über infiziertes Trinkwasser. Der Tod tritt bei dieser Krankheit schnell und bei vollem Bewusstsein ein. Lange war unklar, wie der Cholera entgegengetreten werden sollte. Ähnlich wie zu Corona-Zeiten versuchte man mit verschiedenen Mitteln der noch unbekannten Krankheit Herr zu werden. Briefe wurden geräuchert, Geldscheine gewaschen und die traditionelle Quarantäne wurde eingesetzt, da diese ja bei der Pest geholfen hatte. Doch Verschwörungsglaube griff auch hier um sich. Die Reichen hatten Angst vor den Armen, da letztere als Überbringer der „neuen Pest“ galten. Die Armen fürchteten sich vor einer „Vergiftung“ durch die Reichen. Diese würden sich mithilfe des „blauen Tods“, des Problems der Arbeitslosigkeit entledigen.[6] In der Dauerausstellung stehen sich diese beiden Gesellschaftsgruppen sinnbildlich gegenüber: Auf der einen Seite Blechgeschirr und Mietskaserne der Arbeiter, direkt gegenüber ein prächtig ausgestatteter Wohnraum der reichen bürgerlichen Oberschicht.

Karikatur auf die Angst vor der Cholera, Portrait einer Cholera-Präservativ-Frau, Moritz Gottlieb Saphir, Nürnberg, zwischen 1830 und 1837 © DHM

Karikatur auf die Angst vor der Cholera, Portrait einer Cholera-Präservativ-Frau, Moritz Gottlieb Saphir, Nürnberg, zwischen 1830 und 1837 © DHM

Besseres Wasser in der Stadt

Tatsächlich offenbarte die Krankheit große soziale Unterschiede. Im Hamburger Gängeviertel lebten Ende des 19. Jahrhunderts arme Menschen dicht an dicht, es fehlte an Sonne und guten sanitären Einrichtungen. Am 14. August vor 128 Jahren brach hier die Cholera zum letzten Mal in Deutschland aus. Die schlechten Wohnbedingungen und ein fehlendes modernes Wassersystem – das Trinkwasser wurde zu dieser Zeit noch ungefiltert aus der Elbe entnommen – führten zur sprunghaften Vermehrung des Bakteriums. Die Reichen flohen aus der Stadt. Der Bakteriologe Robert Koch wurde nach Hamburg geschickt. In der Dauerausstellung steht das Gerät, dass die Entdeckung des Bakteriums durch Koch überhaupt erst möglich machte: Am Mikroskop entdeckte er die Welt der kleinen Krankheitserreger. Auf seinen Rat hin wurden die Schulen geschlossen und keimfreies Essen an öffentlichen Plätzen ausgegeben. Dennoch starben in Hamburg über 8.200 Menschen.

Im benachbarten Altona hingegen kamen nur wenige ums Leben: hier gab es bereits eine Wasserfilteranlage. Die Cholera löste einen Lerneffekt aus: Es ist nicht nur schöner, sondern auch gesünder, in Städten mit Müllabfuhr, funktionierender Kanalisation und Stadtreinigung zu leben. Hygiene ist kein übertriebener Luxus, sondern wirtschaftlich notwendig. Sonst legt die Cholera das gesamte öffentliche Leben still. Hamburg begann eilig mit dem Bau eines Filtrierwerks.[7]

Cholera-Impfstoff in Originalverpackung, Impfstoffwerk Berlin-Schöneweide, um 1970 © DHM

Cholera-Impfstoff in Originalverpackung, Impfstoffwerk Berlin-Schöneweide, um 1970 © DHM

Sind Seuchen Zeichen für Epochenschwellen?

Unsere Besucherin ist weitergegangen in die 1930er Jahre. Sie steht vor dem Gläsernen Menschen. Dieses Objekt machte damals medizinisches Wissen transparent. Alles im Menschen scheint zu dieser Zeit erklärt zu sein und unter Kontrolle: Herz, Niere, Blutkreislauf, Bakterium, Virus. Vergessen ist, dass Robert Koch 1884 den Cholerabazillus entdeckt hatte, es aber erst 20 Jahre später eine einfache und billige Therapie gegen die Krankheit gab. Hatten wir 2020 auch vergessen, dass es so etwas wie Seuchen gibt?

Seuchen sind eher die Regel als die Ausnahme in der Geschichte. Neu an der aktuellen Pandemie sind die veränderten Umstände. Sie tritt in Zeiten medial-kapitalistischer Beschleunigung auf, in der die Wirtschaft abhängig von kurzfristigen, weltweiten Lieferketten ist und in der Medien Informationen in Echtzeit bieten, die dann sofort „viral“ gehen.

Corona ist, ganz wie frühere Seuchen, Katalysator für Phänomene, die bereits vorhanden sind. Während Pest und Cholera Buchdruck und städtische Wasserversorgung beförderten, scheint Corona Online-Konferenzen, saubere Luft und digitalen Fernunterricht möglich zu machen. Kurzum: Corona hat durchaus die Digitalisierung der Arbeits- und Lernwelten beschleunigt und den Wunsch nach einer nachhaltigen Wirtschaft und Lebensweise bestärkt. Aber an einer Epochengrenze stehen wir deshalb nicht.

Verweise

1 Vgl. https://pest-ausstellung.lwl.org/de/
2 Vgl. Alfred Haverkamp: Die Judenverfolgungen zur Zeit des Schwarzen Todes im Gesellschaftsgefüge deutscher Städte, in: o. Hg.: Zur Geschichte der Juden im Deutschland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit., Stuttgart 1981,  S. 27–93, S. 35-38.
3 Vgl.  Heinrich Grasmüller: Kupfertitel: Sünden die zur Pest führen, in: o. Hg.: Krancken-Buch Oder Gebether Und Trost-Sprüche Für Krancken und Sterbenden. Zum andermahl vermehret heraußgegeben, Hamburg 1681 sowie http://www.hab.de/ausstellungen/seuchen/expo-18.html.
4 Vgl. Thomas Kaufmann: Pest und Cholera. Wie Seuchen die europäische Geschichte prägen, in: Zeitzeichen 5 (2020),  S. 15–17.
5 Vgl. https://dievolkswirtschaft.ch/de/2020/05/cholera-pest-und-innovation
6 Vgl. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt: eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, Bonn 2010. S. 283-290.
7 Vgl. https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/1892-Die-Cholera-wuetet-in-Hamburg-,choleraepidemie100.html


© Privat

Robert Kluth

Robert Kluth ist Historiker und Ausstellungskurator und hat u. a. für deutsche und amerikanische Museen gearbeitet. Er hat Geschichte und Philosophie an einem Berliner Gymnasium unterrichtet. Erreichbar ist er via Twitter.