Wozu das denn? Ein Harmonium für Wolf Biermann

Verena Günther und Sarah Sporys | 12. Oktober 2023

Am 13. November 1976 trat der Liedermacher Wolf Biermann vor über 8.000 Menschen in der ausverkauften Sporthalle in Köln auf die Bühne. Nach 11 Jahren Auftrittsverbot in der DDR spielte er sein erstes „richtiges“ Konzert – mit weitreichenden Folgen. Auf der Bühne stand ein Harmonium. Dieses Instrument begrüßt die Besuchenden im Prolog der Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ und ist für Groß und Klein ein Blickfang. Auf die interessante Geschichte des Instruments und seine Bedeutung bei der Ausarbeitung von Angeboten für Kinder blicken Verena Günther und Dr. Sarah Sporys aus dem Fachbereich Bildung und Vermittlung des Deutschen Historischen Museums.

Wolf Biermann beim Konzert in Köln 1976, Foto: Barbara Klemm/Frankfurter Allgemeine Zeitung © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt/Main. Alle Rechte vorbehalten

Für das Konzert am 13. November 1976 hatte die Gewerkschaft IG Metall Wolf Biermann nach Köln eingeladen. Der in Hamburg geborene Künstler lebte seit 1953 in der DDR, wo ihm die Regierung ab 1965 Auftritte und Veröffentlichungen verbot, ihm dann aber 1976 die Erlaubnis zur Ausreise für Auftritte in der Bundesrepublik erteilte. Biermann konnte endlich wieder Konzerte geben und beschreibt dieses Ereignis mit folgenden Worten „Man hat mich so viele Jahre gebeten, nicht zu singen, dass man mich nun wieder bitten muss, mit dem Singen aufzuhören”1. Das Konzert in Köln dauerte mehr als vier Stunden. Biermann spielte viele seiner bekanntesten Lieder, wie „Ermutigung“, aber auch Neue, wie das so genannte „Kunze-Lied“, mit dem er seine Solidarität gegenüber dem Schriftsteller Reiner Kunze ausdrückte.

Dieser Glücksmoment für den Künstler hatte weitreichende Folgen: Am 16. November 1976, noch während seiner Tournee durch die Bundesrepublik, erfuhr Wolf Biermann von seiner Ausbürgerung. Er setzte seine Tournee fort, blieb in der Bundesrepublik und zog wieder in seine Geburtsstadt Hamburg. Die Ausbürgerung und vor allem seine ersten Jahre nahm Wolf Biermann als ein Exil war.2 Gegen den Entzug der DDR-Staatsbürgerschaft und die Weigerung der Staatsführung, ihn wieder einreisen zu lassen, protestierten in einem Brief über 200 DDR-Bürger*innen – unter ihnen viele Intellektuelle und Kunstschaffende.

Die Petition nach Wolf Biermanns Ausbürgerung 1976 © DHM

Doch nicht nur über das Konzert, sondern auch über das Harmonium lassen sich spannende Geschichten erzählen. Beschafft wurde es von Carsten Krüger, Filmemacher und Freund von Wolf Biermann. Der hatte es von einer Kirchengemeinde in West-Berlin für etwa 300 Mark erworben und zu allen Orten der Tournee transportiert – auf dem Dach seines Volvo Kombi. Allerdings war Wolf Biermann zuerst überhaupt nicht begeistert von diesem Harmonium. Krüger berichtet rückblickend, Biermann hätte sich erst an das neue Harmonium gewöhnen müssen und darüber geklagt, dass es sich anders spiele als sein Eigenes. Letzteres stand in seiner Wohnung in der Chausseestraße 131 in Ost-Berlin, wo er im privaten Wohnzimmer bis zur Ausbürgerung Konzerte gab und Aufnahmen machte.3

Das Harmonium des Kölner Konzerts ist ein Blickfang im Prolog der Ausstellung und verweist auf zentrale Themen, Personen und Momente in Biermanns Leben. Dieses Instrument, das in den 1960er Jahren gebaut wurde, wirft Fragen auf: Was ist das für ein Instrument und wie klingt es? Ist es ein Klavier oder eine Orgel? Wie spielt man es? Besonders bei Kindern stößt das Harmonium auf großes Interesse und war daher ein zentrales Element bei der Konzeption des Vermittlungsangebots für Kinder.

Kinderheft zur Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ © DHM/ Altnau

Für die Ausstellung wurde ein eigenes Signet konzipiert: Ein Wolf-Symbol findet sich an ausgewählten Objekttexten. Es leitet zu Mitmach-Stationen und ist auch in unserem Ausstellungsheft für Kinder zu sehen. Das Heft regt junge Besucher*innen dazu an, sich intensiv mit den Objekten auseinanderzusetzen und diese zu erforschen. Die interaktiven Stationen wiederum eröffnen Kreativräume zur Auseinandersetzung mit zentralen Themen der Ausstellung. Im Mittelpunkt steht dabei, spielerisch Wissen zu Wolf Biermanns Leben und der deutsch-deutschen Geschichte zu erwerben

Für beide Formate war das Harmonium auf unterschiedliche Weise von Bedeutung. Im Ausstellungsheft werden Kinder mit einer assoziativen Aufgabe zum Harmonium angeregt, Begriffe mit dem Instrument zu verbinden. Diese Herangehensweise bietet Anknüpfungspunkte an die Erfahrungen und das Wissen der jungen Zielgruppe und ist Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit der Musik von Wolf Biermann. Unsere Intention ist es zu vermitteln, dass das Harmonium zwar ähnlich wie ein Klavier aussieht, aber eher wie ein Akkordeon klingt und funktioniert. Anknüpfend an das Instrument möchten wir, dass Kinder an einer interaktiven Station erforschen, welche Lieder Biermann schrieb und sang. An einer Magnetwand ist unser Ansatz zur Beschäftigung mit Biermanns Sprache anzuregen, indem Kinder Ausschnitte aus seinen Liedern neu kombinieren und so eigene Songtexte kreieren. Das Harmonium war außerdem eines der Objekte, welches das Brettspiel „Süßes Leben – Saures Leben“ inspiriert hat. Es lädt dazu ein, den Lebensweg Wolf Biermanns nachzugehen und über Ereignisfelder, eines davon zum Kölner Konzert und seinen Folgen, die wichtigsten Stationen seines Lebens kennenzulernen. Durch die Spielstationen wird deutlich, dass seine Biografie eng mit der Geschichte der zwei deutschen Staaten verwoben ist.

Die jungen Besuchenden erarbeiten sich im Spiel auch Wissen darüber, wie Wolf Biermann in Konflikt mit der Regierung der DDR geriet, ihm Berufsverbot erteilt und er ausgebürgert wurde. Der Gefahr einer Ausbürgerung oder Inhaftierung in der DDR war sich Wolf Biermann durchaus bewusst. Daher wählte er aus, welche Lieder er am 13. November 1976 in Köln spielen würde und welche nicht. Seine Kritik an der DDR wollte er „solidarisch“ vortragen, um keinen Vorwand für Repressionen zu bieten.4 So beschreibt er selbst: „Ich wollte ja nicht nur zurück, sondern auch so zurück, dass ich nicht an der Grenze einkassiert und gleich in einem noch tieferen Loch lande als vor der Tournee“5. Diese Vorsicht war vergeblich. Die Möglichkeit einer Ausbürgerung wurde bereits seit längerem in den höchsten Regierungskreisen erwogen – die Entscheidung war Chefsache.6 Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, berichtete in einem handschriftlichen Vermerk über das Kölner Konzert und beklagte, dass Biermann gegen die DDR hetzte und das Ministerium für Staatssicherheit negativ darstellte. In der Politbürositzung am 16. November wurde dann von Erich Honecker als Berichterstatter der Beschluss festgehalten, dass Biermann die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt werden soll und dies am 16. November abends verkündet werden soll.7 So erfuhren Wolf Biermann und die Öffentlichkeit aus den Nachrichten, dass ihm die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen worden war und er nicht wie geplant in die DDR zurückkehren konnte. Er musste widerwillig in der Bundesrepublik bleiben. Das Harmonium, das ihn auf der Konzertreise begleitete, wollte er danach nicht mehr haben. Carsten Krüger transportierte es 1976 zurück nach West-Berlin, wo es in dessen Wohnung stand, bis es die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erwarb und 2023 dem DHM für die Ausstellung zur Verfügung stellte. So kam das Instrument zu seiner historischen Bedeutung und wurde zu einem anschaulich erzählbaren Stück Zeitgeschichte.


1 Zitiert nach: WDR. 13.11.2016. 13. November 1976 – Konzert von Wolf Biermann in Köln, Link: https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-wolf-biermann-konzert-koeln-100.html (zuletzt abgerufen 04.09.2023).

2 Vgl. Holger Böning. 2023. Wolf Biermann in der Bundesrepublik: Wirken, Rolle und Selbstverständnis. In: Dorlis Blume, Monika Boll, Raphael Groß, Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland. Berlin: Ch.Links Verlag, S. 138.

3 Interview der Autorin Verena Günther mit Carsten Krüger am 31.08.2023.

4 Wolf Biermann. 2016. Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie. Berlin: Propyläen Verlag, S. 329.

5 Ibid.

6 Vgl. Heribert Schwan. 2001. Ausbürgerung, in: Fritz Pleitgen (Hg.). Die Ausbürgerung. Anfang vom Ende der DDR, Berlin: Ullstein Verlag, S. 259-281.

7 Vgl. Frankfurter Rundschau. 1.2.2019. Falsches Lob des Kommunismus. Link: https://www.fr.de/politik/falsches-kommunismus-1-11652351.html (Zuletzt abgerufen am 9.10.2023).

Dr. Sarah Sporys

Dr. Sarah Sporys ist Referentin im Fachbereich Bildung und Vermittlung des Deutschen Historischen Museums.

Verena Günther

Verena Günther ist Referentin im Fachbereich Bildung und Vermittlung des Deutschen Historischen Museums.