Annexion Elsaß-Lothringens

Eine unheilvolle Prophezeiung

Am 18. Januar 1871 wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal in Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen und der Frieden von Frankfurt beendete im Mai 1871 den Deutsch-Französischen Krieg.

Auf dem französischen Gemälde nehmen Kaiser Wilhelm I. und der Kanzler Bismarck die Kriegsentschädigungen entgegen. Bismarck hatte im Vertrag festlegen lassen, dass Frankreich 5 Millionen Goldfranken (1,45 Tonnen Feingold) innerhalb von drei Jahren zu zahlen hatte. Der französische Verlust des Elsass und von Teilen Lothringens wurde von dem Maler durch zwei weinende Frauengestalten symbolisiert. Im Himmel erscheint eine unheilvolle Warnung oder „Menetekel“: „Mane Thécel Pharès“ – diese Worte sind abgeleitet von einer biblischen Prophezeiung Gottes in akkadischer Sprache für den König Belsazar: Seine Tage wären gezählt (Mane), er hätte sich nicht würdig erwiesen (Thékel) und sein Reich würde aufgeteilt werden (Pharès).

 

Verteidigung und Kritik der Annexion Elsass-Lothringens

Nach den Siegen in Weißenburg und Wörth besetzten die deutschen Truppen das Elsass. Während der Belagerung von Metz wurde am 21. August 1870 ein Generalgouverneur für die deutsch besetzten Gebiete eingesetzt. Zu einem integralen Bestandteil des Deutschen Reiches wurde Elsass und ein Teil von Lothringen am 28. Juni 1871.

Der Ministerpräsident Otto von Bismarck verteidigt die Annexion von Elsass und Lothringen in einem Erlass an den preußischen Botschafter in London vom 21.8.1870:

Die öffentliche Meinung in England wird es begreifen, dass wir eine baldige Wiederholung der ungeheuren Opfer, welche dieser Krieg unserem Volke, von den Palästen bis zu den Hütten, kostet, nach Möglichkeit verhüten, und dass wir namentlich Süddeutschland gegen die Gefahr seiner offenen Lage besser sichern müssen als bisher, wo von Straßburg aus bei geschickter und energischer Führung nicht nur Baden, sondern Württemberg und Bayern jederzeit überfallen werden können.

Wir stehen heute im Felde gegen den 12. oder 15. Überfall und Eroberungskrieg, den Frankreich seit 200 Jahren gegen Deutschland ausführt. 1814 und 1815 suchte man Bürgschaften gegen Wiederholung dieser Friedensstörungen in der schonenden Behandlung Frankreichs. Die Gefahr liegt aber in der unheilbaren Herrschsucht und Anmaßung, welche dem französischen Volkscharakter eigen ist und sich von jedem Herrscher des Landes zum Angriff auf friedliche Nachbarn missbrauchen lässt. Gegen dieses Übel liegt unser Schutz nicht in dem unfruchtbaren Versuche, die Empfindlichkeit der Franzosen momentan abzuschwächen, sondern in der Gewinnung gut befestigter Grenzen für uns.

Der Gesellschaftstheoretiker und Begründer des Marxismus Karl Marx kritisiert am 8. September 1870 die geplante Annexion Elsass-Lothringens:

Wenn jemals ein Eroberer „materielle Garantien“ nahm, um die Kräfte einer Nation zu brechen, so war es Napoleon I. durch seinen Vertrag von Tilsit und die Art und Weise, wie er ihn gegen Preußen und das übrige Deutschland durchführte. Und dennoch, einige Jahre später brach seine gigantische Macht wie ein verfaultes Schilfrohr vor dem deutschen Volk. Was sind die „materiellen Garantien“, die Preußen in seinen wildesten Träumen Frankreich aufzwingen kann oder darf, im Vergleich zu denen, welche Napoleon I. ihm selbst abzwang? Der Ausgang wird diesmal nicht weniger unheilvoll sein. Die Geschichte wird ihre Vergeltung bemessen nicht nach der Ausdehnung der von Frankreich abgerissenen Quadratmeilen, sondern nach der Größe des Verbrechens, daß man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Politik der Eroberungen aufs neue ins Leben gerufen hat.