Barbara Hille
Zeughaus Berlin, 26. März - 15. Juni 1993
Ehe und Familie in den Lebensperspektiven der Jugendlichen in der DDR
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Deutschland um 1900

DDR
BRD


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Barbara Hille


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Analoge Tendenzen

Die Familie hatte in den Lebensperspektiven und Wertvorstellungen der Jugendlichen in beiden deutschen Staaten einen hohen Stellenwert. Das gilt weiterhin auch nach der deutschen Vereinigung. Solche Analogien in der Wertschätzung von Familie, Ehe und Partnerschaft ließen sich im Vergleich der Jugendlichen beider deutscher Staaten sogar über Jahrzehnte hinweg feststellen, trotz der konträren politischen Rahmenbedingungen. Die Inhalte haben sich allerdings teilweise gewandelt.
Die grundlegenden strukturellen und funktionalen Veränderungen von Familie haben sich in allen modernen, hochindustrialisierten Gesellschaften relativ analog im Laufe eines Jahrhunderts - und nicht erst in den letzten Jahrzehnten - vollzogen. Die Entwicklung ging generell zur kleinen Zwei-Generationen-Familie. Die durchschnittliche Kinderzahl lag in den beiden deutschen Staaten z.B. in den siebziger und achtziger Jahren noch unter dem europäischen Durchschnitt (mit 1,7 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter in der DDR - und 1,4 Kindern in der Bundesrepublik Deutschland). Die niedrigen und abnehmenden Geburtenzahlen und die damit schrumpfende Bevölkerung wurden in beiden deutschen Staaten zunehmend als ein Problem gesehen.

Gesetzlicher Rahmen

Ehe und Familie unterstanden in beiden deutschen Staaten dem besonderen Schutz des Staates. Verfassungsgrundsätze, spezielle Gesetze, familien- und sozialpolitische Maßnahmen waren darauf zugeschnitten. Ehe und Familie wurde ein generell hoher Rang eingeräumt. Die Ehe galt als Basis der Familiengründung, während außereheliche Formen des Zusammenlebens von Paaren - entsprechend den Normvorstellungen in beiden deutschen Staaten - keine spezielle gesetzliche Absicherung erhielten.
In der DDR lag in dem starken Akzent auf den gesellschaftlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten der Familie bei der Erziehung der Kinder ein charakteristisches Merkmal. Die Familie sollte die Vermittlung der sozialistischen Werte und Normen leisten, wie sie in der Gesetzgebung (z.B. im Familiengesetzbuch 1965, Jugendgesetz 1974) unter dem Leitbild der "sozialistischen Persönlichkeit" fixiert waren. Die Erziehung zur bzw. Vorbereitung auf die Arbeit und die Entwicklung einer "sozialistischen Arbeitsmoral" spielten dabei die zentrale Rolle. Arbeitstugenden wie z.B. Disziplin, Fleiß, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit sollten bereits frühzeitig im häuslichen Zusammenleben in der Familie eingeübt werden. Die dauerhafte Berufstätigkeit der Eltern sollte ebenfalls vorbildhaften Einfluß haben. Zugleich erfolgte frühzeitig eine Verlagerung zentraler erzieherischer Funktionen in die staatlichen Institutionen, beginnend mit der Kinderkrippe.

 

Die "Reproduktionsfunktion" der Familie wurde in Zusammenhang mit den niedrigen Geburtenraten besonders hervorgehoben. Mit gezielten familienpolitischen Maßnahmen wurde vor allem seit 1976 eine Gegensteuerung zugunsten der Familie mit mehr als zwei Kindern versucht. Die Familie mit berufstätiger Mutter wurde dabei eindeutig und einseitig begünstigt und gefördert. Gleichzeitig wurde der Status der nichtverheirateten Mütter durch zusätzliche Hilfen und Vergünstigungen abgesichert, die die Leistungen für die verheirateten Mütter übertrafen (z.B. bevorzugte Bereitstellung von Krippenplätzen. Möglichkeit einer längeren Beurlaubung nach der Geburt von Kindern, Ermöglichung des Abschlusses von Studium und Ausbildung u.a. durch spezielle finanzielle Unterstützung).

Wunschvorstellungen der Jugendlichen zur Familiengründung

Voraussetzung für den Fortbestand von Ehe und Familie ist die positive Einstellung der jungen Generation dazu und deren Bereitschaft zur Realisierung ihrer entsprechenden Wunschvorstellungen. Aus zahlreichen empirischen Einzeldaten in der DDR ließ sich hierzu mosaikartig ein insgesamt schlüssiges Bild ermitteln.

In den Wertvorstellungen und Lebensplänen der Jugendlichen in der DDR hatte die Familie eine insgesamt hohe Priorität. Wünsche nach privatem Lebensglück in der Familie und im Freundeskreis standen auf höherem bzw. ebenso hohem Rangplatz wie berufsbezogene Pläne und Zielsetzungen.

Die Mehrzahl der Jugendlichen wünschte sich eine eigene Familie mit durchschnittlich zwei Kindern. Allerdings verminderte sich die Zahl der gewünschten Kinder mit zunehmendem Lebensalter und zwar bereits ab dem 20. Lebensjahr. Beachtliche Differenzen bestanden ferner nach Wohnortgröße und schulischer Qualifikation.

 

Schüler der Erweiterten Oberschule (EOS), Studenten und Großstädter wünschten sich die geringste Kinderzahl, nämlich durchschnittlich nur ein Kind.

Die meisten Jugendlichen wollten heiraten; nach der Studie von Borrmann und Schille (1980) waren es insgesamt etwa 97 Prozent. Die wenigen Jugendlichen, die nicht diese Absicht hatten, stammten häufiger aus großen Städten mit über 100.000 Einwohnern und waren überwiegend männlichen Geschlechts. Der Wunsch nach einer harmonischen Ehe mit gesunden Kindern und nach Treue in der Partnerschaft wurde von den Mädchen noch häufiger geäußert als von den Jungen.

Das gewünschte Alter für die Eheschließung lag durchschnittlich zwischen 18 und 20 Jahren bei männlichen und weiblichen Jugendlichen und somit tendenziell noch unter dem im Statistischen Jahrbuch der DDR ausgewiesenen durchschnittlichen Heiratsalter von 22,7 Jahren bei den weiblichen und 24,8 Jahren bei den männlichen jungen Erwachsenen. Das entsprach dem relativ frühen Abschluß der Jugendphase und der frühzeitigen Eingliederung in den Erwachsenenstatus bei der Mehrzahl der Jugendlichen in der DDR. Dementsprechend begann auch die generative Phase, in der die Kinder geboren wurden, sehr früh und war bei der Mehrzahl der Frauen auf eine relativ kurze Altersspanne zwischen 19 und 25 Jahren begrenzt. Differenzen nach der schulischen und beruflichen Qualifikation ließen sich hierbei nicht eindeutig nachweisen.

Generell hatte die Familie für die junge Generation in der DDR eine ordnende und stabilisierende Funktion. So spielten auch die Eltern für die Jugendlichen eine wichtige Rolle als Vertrauenspersonen in wichtigen Lebensfragen. Die Familie bot einen Schutzraum gegenüber den vielfältigen Ansprüchen und Einflußnahmen des politischen Systems. Zugleich gab die seitens des Staates erwünschte und geförderte frühe Familiengründung neben der beabsichtigten Steigerung der Geburtenraten auch eine Gewähr, das bei Jugendlichen latent vorhandene Protestpotential zu verringern und jugendliche Unruhe und Experimentierfreudigkeit frühzeitig zu kanalisieren.

 

 
           
 
 
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