Queer History

Im Mai findet in Berlin der Queer History Month statt. Er lädt dazu ein, sich mit der Lebensweise von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen in Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen. Was es damit auf sich hat und wie queer die deutsche Geschichte ist, erläutern Florian Wieler und Katja Hauser vom Netzwerk „Museen Queeren Berlin“.

Das kleine Wörtchen „queer“! Seit einigen Jahren taucht es in den Medien und der Politik immer wieder auf. Übersetzt heißt es so viel wie „sonderbar“ oder „verrückt“. Im englischen Sprachraum galt es lange Zeit als abwertende Bezeichnung für Menschen, die dem vorherrschenden Bild von „Mann, Frau und heterosexuellem Begehren“ nicht entsprechen. Spätestens seit Ende des 20. Jahrhundert erlebte der Begriff einen Aneignungs- und Umdeutungsprozess. Sowohl als positive Selbstbezeichnung wie auch im Kontext eines wissenschaftlichen und politischen Aktivismus steht „queer“ selbstbewusst für Jede*n und Alles, was von der vermeintlichen Norm abweicht und stellt diese so infrage. Dabei spielt der Blick in die Geschichte eine wichtige Rolle. Das Sichtbarmachen queerer Lebensweisen in der Vergangenheit, zeigt, dass die Gesellschaft schon immer vielfältiger war als sie aus der „hegemonialen“ das heißt herrschenden, heteronormativen Perspektive erscheint. Der Queer History Month soll nun, genauso wie auch der Black History Month im Februar, einen Anlass bieten, Geschichten zu erzählen, die sonst nur wenig Beachtung finden. Auch in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums finden wir Exponate und Geschichten, in denen sich die queere Seite der deutschen Vergangenheit zeigt.

Wie schwul war Friedrich der Große?

Antoine Pesne, Friedrich II., König von Preußen (1740-1786), als Feldherr, um 1745 © DHM

Antoine Pesne, Friedrich II., König von Preußen (1740-1786), als Feldherr, um 1745 © DHM

Die Frage nach der Sexualität Friedrichs II. taucht in seinen Biografien immer wieder auf. Da sexuelle Handlungen meist im Privaten stattfinden, kann über Friedrichs Neigungen oft nur spekuliert werden. Manche Biograph*innen verteidigen seine Heterosexualität regelrecht und heben seine wenigen Beziehungen zu Frauen hervor. Seit 1733 war Friedrich mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern verheiratet. Das eheliche Verhältnis war distanziert und blieb kinderlos. Einige Indizien deuten darauf hin, dass sich Friedrich ebenso wie sein eher offen homosexuell lebender Bruder Heinrich zum männlichen Geschlecht hingezogen fühlte. Ein Briefwechsel zwischen Friedrich und seinem Bruder zeugt beispielsweise von der Konkurrenz um den von beiden begehrten Pagen Johann Friedrich von Marwitz. Zudem beschimpfte ihn sein autoritärer Vater Friedrich Wilhelm I. als Sodomiten und ließ Hans Hermann von Katte, den eine innige Beziehung mit Friedrich II. verband, nach einem gescheiterten Fluchtversuch seines Sohnes, hinrichten.

Betrachtungen solcher Art lassen häufig vergessen, dass sexuelle Identität nicht zu jeder Zeit das war, was wir uns heutzutage darunter vorstellen. Die gesellschaftliche Unterscheidung der Menschen in hetero- und homosexuell hat ihren Ursprung in den medizinischen Diskursen im Europa des 19. Jahrhunderts. Zu Zeiten Friedrichs II. galten gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwar als lasterhaft und konnten, gefasst unter dem religiös geprägten Begriff der Sodomie, mit dem Tode bestraft werden. Dabei waren ärmere Teile der Gesellschaft deutlich stärker der Verfolgung ausgesetzt. Sie wurden jedoch als allgemein-menschliches Verhalten betrachtet und keiner bestimmten Kategorie von Menschen zugeordnet.

Die Annahme, dass gleichgeschlechtliches Begehren ein angeborenes, unveränderliches Wesensmerkmal und somit „unausweichlich“ sei, galt den Vorkämpfer*innen der Homosexuellen-Emanzipationsbewegung wie Karl Heinrich Ulrichs oder Karl Maria Kertbeny als Argument für die Forderung nach Straffreiheit. Der österreichisch-ungarische Schriftsteller Kertbeny brachte 1869 zum ersten Mal den von ihm erfundenen Begriff „Homosexualität“ in die öffentliche Diskussion ein, der sich dann gegenüber anderen Bezeichnungen, wie beispielsweise den von Ulrichs geprägten Begriff des „Uranismus“, durchsetzen sollte.

Hugo Reinhold Karl Johann Höppener, Lichtgebet, 1894 © DHM

Hugo Reinhold Karl Johann Höppener, Lichtgebet, 1894 © DHM

Der Kampf gegen den §143 der preußischen Gesetzgebung und später gegen den §175 des Reichstrafgesetzbuches war wegbereitend für die Entstehung der ersten Homosexuellen-Bürgerrechtsbewegung. Im Jahr 1897 gründete sich mit dem sogenannten „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“ in Berlin die weltweit erste Organisation mit dem Zweck sexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren. Es folgte die Gründung zahlreicher weiterer Verbände, Gruppen und Zeitschriften, die sich sowohl dem politischen Aktivismus als auch der Unterhaltung widmeten. In dieser Zeit treten mit den Frauenrechtlerinnen Johanna Elberskirchen und Anna Rüling auch die ersten Vorkämpferinnen einer Lesbenbewegung politisch in Aktion.

 „Vollkommen männlich“ – „mehr weiblich“ – „gemischt“

Lotte Laserstein, Der Motorradfahrer, 1929 © DHM

Lotte Laserstein, Der Motorradfahrer, 1929 © DHM

Eine zentrale Figur in dieser Entwicklung war der Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. In seiner Arbeit zu den von ihm so benannten „sexuellen Zwischenstufen“ von Frauen und Männern machte er anhand körperlicher Merkmalen, Charakter und Begehren eine unendliche Anzahl von „Sexualtypen“ aus. Dabei verstand er die unterschiedlichen Ausprägungen nicht als krankhafte Abweichungen von einer Norm und kann deshalb aus heutiger Sicht als ein Pionier des Konzepts sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gesehen werden. Hirschfeld prägte zudem den Begriff des „seelischen Transsexualismus“ für Menschen, die sich auch körperlich dem anderen Geschlecht angleichen wollen und das Umfeld des von ihm 1919 gegründeten Instituts für Sexualwissenschaft setzte sich für juristischen Schutz und Anerkennung von Trans*personen ein.

Im Laufe der 1920er Jahre entwickelte sich aus den verschiedenen Homosexuellen-Organisationen eine Massenbewegung. Teil dieser Entwicklung war eine lebendige schwule und lesbische Subkultur, die in Berlin ihr Zentrum hatte. Lesben und Schwulen standen hier zahlreiche Bars, Clubs und Cafés wie das legendäre „Eldorado“ zur Verfügung. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Bewegung zerstört. Schwules und lesbisches Leben wurde unterdrückt; homosexuelle Männer verfolgt, verurteilt und ermordet. Erst durch die Abschwächung des §175 im Jahr 1969 entwickelte sich die zweite Homosexuellenbewegung im Kontext der neuen sozialen Bewegungen zu einer vielfältigen Schwulen- und Lesbenbewegung. Wissen um die Pioniere der ersten Bewegung gab es zu dieser Zeit kaum. Eine Aufarbeitung begann erst in den darauf folgenden Jahrzehnten.

Plakat zu einem Film von Rosa von Praunheim über homosexuelle Lebensformen, 1971 © DHM

Plakat zu einem Film von Rosa von Praunheim über homosexuelle Lebensformen, 1971 © DHM

Das Netzwerk Museen Queeren Berlin hat sich im Jahr 2016 im Kontext der Ausstellung „Homosexualität_en“ des Schwulen Museums* Berlin und des Deutschen Historischen Museums gegründet. Als Forum des Austauschs und der Information möchte es eine Museumspraxis befördern, die sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gerecht wird und so gesellschaftlichen Diskriminierungsmechanismen entgegenwirkt.

Anlässlich des Queer History Month beleuchtet Florian Wieler am 16. Mai in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums verschiedene Lesarten ausgewählter Objekte.