Stefan Moses – tierisch nah dran

Miriam Zlobinski | 13. März 2019

Stefan Moses (1928–2018) gehörte zu den großen Fotografen der Bundesrepublik. Seine Fotoreportagen zeigt das Deutsche Historische Museum noch bis zum 12. Mai 2019 in der Ausstellung „Das exotische Land“. Für den DHM-Blog beschreibt Miriam Zlobinski die Arbeit des Fotografen beim stern im Kontext seiner Zeit und gewährt uns einen Einblick in die Arbeit zu seinen Porträtserien mit Hund.

„Früher auf dem Küchentisch, heute im Museum“, so könnte das Vorleben vieler Fotografien beschrieben werden, die uns heute in Ausstellungen begeistern. Der Fotojournalismus in Deutschland war ab den späten 1950er Jahren ein attraktives Arbeitsgebiet. Der unstillbare Bedarf an Neuigkeiten und Geschichten von nebenan, genauso wie aus der großen weiten Welt, bescherte zahlreichen Fotografen die Grundlage für ein großes Werk, so auch Stefan Moses.

Als die stern-Redaktion mit vier Mann 1948 ihre Arbeit unter der Leitung von Henri Nannen aufnimmt, ist Stefan Moses seit einem Jahr Fotograf am Nationaltheater in Weimar. Zunächst ist bis auf die Lizenz in der stern-Redaktion nicht viel vorhanden. Die Fotografien stammten überwiegend von den in Deutschland zugelassenen Nachrichtenagenturen. Der Blick der neu gegründeten Redaktionen wie stern, Quick, Kristall oder Neue Revue und der Fotografen geht aber zunehmend ins Ausland, insbesondere das amerikanische Life Magazin gilt als Inspirationsquelle und Gradmesser. Der Wettbewerb um Druckqualität und Hochwertigkeit der Gestaltung entscheidet über den Erfolg in der Zeit des Wiederaufbaus der Medienlandschaft. Der Fotograf im Dienste der Zeitschriften und Illustrierten wird ein gut bezahlter Beruf mit Renommee.

Stefan Moses wird mit seinem Umzug nach München 1950 zum freien Fotografen für Illustrierte wie die Neue Zeitung, Revue, Das Schönste und magnum. Das Berufsfeld ist offen und Netzwerke überschneiden sich beständig. So lebt in Moses‘ Nachbarschaft Herbert List, der für die Kristall künstlerische Fotoessays umsetzt und dem späteren stern-Fotografen Max Scheler als Lehrmeister fungiert. Der Ungarn-Aufstand 1956 wird zu einem Treffpunkt der internationalen Fotografen: Rolf Gillhausen ist für den stern vor Ort und auch Stefan Moses fotografiert hier für die Neue Revue und Quick.

Konkurrenz zum Fernsehen

Der stern wächst in den 1950er Jahren zu einem veritablen Blatt heran. Im Geist der Zeit setzt er in Konkurrenz zum TV zunehmend auf Fotografie, welche als optischer Kommentar fungiert, eigene Narrative verfolgt und mit den entstehenden Möglichkeiten hochwertig gedruckt wird. „Das Geld“, so Henri Nannen, „müsse zum Fenster raus geworfen werden, damit es zur Tür wieder hinein kommt“. Mit steigender Anzahl an Werbekunden und Auflage will Nannen die besten Fotografen Deutschlands im stern versammeln. Ab 1961 ist auch Stefan Moses dabei und reist zur Reportage nach New York, Südamerika, Israel, Asien. Was für Fotografen zum Beruf gehörte, war für den Bundesbürger ein Privileg – gerade 28% konnten sich 1960 einen Urlaub leisten, weniger als die Hälfte aller Reisenden fuhren ins Ausland. Im Gegensatz zu den farbigen Werbeanzeigen und Covern blieb die weite Welt im stern noch bis zum Ende der 1960er Jahre mehrheitlich schwarz/weiß. Stefan Moses hatte nichts dagegen, „Farbe ersäuft einen““, wie er in Interviews sagte.

Seine Kollegen fotografierten die weite Welt, Moses konzentrierte sich zunehmend auf Deutschland. So unterschiedlich die einzelnen stern-Fotografen sind, der „human interest“ verbindet ihre Arbeiten, die über das Heft hinaus zum Teil der Weltausstellungen der Fotografie werden. Die Verbindung von visuell privaten Situationen mit Personen des öffentlichen Lebens wird ein starkes Charakteristikum für die Illustrierte. Themen und Fotostrecken werden „weiter gedreht“ und erstrecken sich über mehrere Ausgaben. Auf den Doppelseiten von Life tummeln sich bereits die springenden Prominenten vor der Kamera von Philip Halsmann, wie die Prominenten in den Porträtreihen von Richard Avedon oder Irving Penn. Die Bilder prägen nicht nur die Persönlichkeiten vor der Kamera, sondern auch das Konzept eines Autoren, des Fotografen dahinter. Als stern-Fotograf konzipiert Stefan Moses gemeinsam mit Redakteuren nicht nur Reportagen, die für Illustrierte essentiell sind. Moses erzählt vermehrt anders: In Reihen wie „Es muss endlich gehantelt werden“ (22/1964) wird das Politiker-Porträt durch eine mitgebrachte Holzhantel spontan, humorvoll und ungewöhnlich und schafft es so, die unterschiedlichen Temperamente der Staatsmänner zu offenbaren. In den Serien „Nachbarn“,Die Deutschen“ oder „Die großen Alten“ sind es schließlich die Verkäuferinnen, Handwerker und Künstler, die uns unmittelbar und sympathisch begegnen. Stefan Moses umschrieb sein Interesse an den Menschen später mit einem Zitat von Novalis: „Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft.“

Der Mensch neben dem Hund

Ein gutes Foto macht sich generell frei davon, alles erzählen zu wollen. Es erzählt nur einen bestimmten Teil einer Geschichte, es holt uns ab und ist so immer emotional. Diese persönliche Bindung zeigt auch Moses‘ kleine Reihe „Prominente…die mit Hunden leben“ (Heft 31/ 1968). Die sonst glamourösen Prominenten sitzen mit Hilfe eines Hockers auf der Straße oder einem Weg. Neugier, Interesse und belustigte Aufmerksamkeit kommen Leserinnen und Lesern auf den Doppelseiten entgegen, umgesetzt vom selbsternannten „Kater Moses“, als der er manchmal unterschrieb. Auf den Bildern tritt klar hervor, dass bei so viel Interesse aneinander sich beide Seiten, Mensch und Tier, überraschend ähnlich werden.

Im Vergleich zu den in der Life erschienenen „City Dogs“ (1944) bemerken wir bei Moses, wie viel eine bewusste Porträtsituation mit uns als Betrachterin oder Betrachter machen kann. Wir werden angesehen von Herrchen, Frauchen und von ihrem Hund. Die Auswahl, Festlegung und Anordnung der Reihenfolge der Bilder von Bildredaktion und Grafik verstärkt die Wirkung der Porträts. Es ist also ein bewusstes Spiel mit uns, wenn sich Köpfe neigen, Seiten auseinanderfallen und auch wie so manch ein Hund gerne den Kopf senkt, wenn wir ihn, vielleicht sogar tadelnd, anschauen.

Distanzabbau wird für die Leser in Bild und Text lesbar. Loriot unterstellte seinem Freund Stefan Moses, er „beherrscht die psychologischen und hypnotischen Mittel, Menschen und anderen Wirbeltieren die verlorene Natürlichkeit zurückzugeben“. Bekommt die Reihe “Die Alten im Wald“ (1988) schon eine abstrakte Größe und Bedeutung, so wirken die Begegnungen mit den Herrchen und Frauchen spontan und nahbar. Was mühelos aussieht, verlangt nach Planung, Terminvereinbarungen, einer Personenauswahl und der Kunst, Geduld und Aufmerksamkeit für die Kamera zu erzeugen.

„Fotografieren ist schwer, fotografiert werden noch schwerer“,

betonte Moses später in Interviews. Anfang der 1970er Jahre kehrt er dem stern und der Arbeit für Magazine und Illustrierte den Rücken. Es folgt die Zeit der Bücher, Ausstellungen und der Langezeitprojekte des Künstlers, als den wir ihn heute an der Wand wahrnehmen. Ein Blick in die Illustrierten von gestern verrät indes den Künstler der Nahbarkeit, der er wohl von Beginn an war.


© Privat

Miriam Zlobinski

Miriam Zlobinski arbeitet als freie Kuratorin und promoviert am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „Das politische Bild in der alten Bundesrepublik. Eine kritische Annäherung an das kollektive Bildgedächtnis am Beispiel des Fotojournalismus der Illustrierten stern.“ Als Absolventin der Bildredaktionsklasse an der Ostkreuzschule für Fotografie gründete sie 2017 den interdisziplinären Arbeitskreis Foto:Diskurs. Sie ist berufenes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) und erhielt 2018 für ihre Arbeit den Small Research Grant der Bundeskanzler-Willy-Brandt Stiftung.