Die Münchner Künstlergenossenschaft in der Nachkriegszeit

Anke Gröner | 20. Oktober 2021

Die Ausstellung „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ zeigt, dass die Nachkriegskarrieren „gottbegnadeter“ Künstler das Bild des kunstpolitischen Neuanfangs in der Bundesrepublik nach 1945 konterkarieren. Weitere Künstler*innen, die im „Dritten Reich“ erfolgreich waren und nicht auf der Liste standen, brachen ebenso nur geringfügig mit den künstlerischen Kontinuitäten der NS-Zeit. Kunsthistorikerin Anke Gröner zeigt dies anhand von Mitgliedern der Münchner Künstlergenossenschaft.

Die Münchner Künstlergenossenschaft (MKG) wurde 1868 gegründet und gehört zu den ältesten und größten Vereinigungen von Künstler*innen in München. Sie ging 1938, wie die meisten der Münchner Kunstvereine, zwangsweise in der sogenannten Kameradschaft der Künstler auf. Zum Vorstand der MKG zählte bis zu diesem Zeitpunkt der Maler Carl Theodor Protzen (1887–1956). Der Maler Constantin Gerhardinger (1888–1970) war wie Protzen bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten Mitglied der eher konservativen MKG.

Beide Künstler waren zur Zeit des „Dritten Reichs“ durchaus erfolgreich, wenn auch nicht im großen Stil der sogenannten „Gottbegnadeten“, zu denen sie sich nicht zählen durften. Beide stellten auf der Leistungsschau der systemkonformen Kunst im NS aus, den Großen Deutschen Kunstausstellungen (GDK) in München, Protzen sogar auf jeder der GDK, wo er insgesamt knapp 29.000 Reichsmark (RM) einnehmen konnte. Gerhardinger verdiente zwischen 1937 und 1942 dort sogar üppige 99.000 RM, ihm wurde allerdings ab 1943 die Teilnahme verwehrt. Er hatte aus Angst vor Bombentreffern keine Werke eingereicht, was der Direktor des Hauses der Deutschen Kunst der Reichskanzlei meldete. Daraufhin erhielt Gerhardinger Ausstellungsverbot.[1]

Die doppelte Neugründung der MKG

Diese Vorgänge nutzte Gerhardinger nach 1945, um sich als angebliches NS-Opfer gerade von Protzen abzusetzen. Dieser hatte im Juni 1946 zusammen mit dem Maler Eduard Aigner (1903–1978) die Münchner Künstlergenossenschaft neu gegründet. Im Juni 1948 widersprach eine Gruppe um Gerhardinger dieser Neugründung und etablierte im Oktober desselben Jahres ebenfalls eine MKG.[2]

Das bayerische Kultusministerium machte nach Vermittlungsversuchen darauf aufmerksam, dass der Streit um die „wahre MKG“ nur durch einen Zivilprozess beendet werden könne, durch den Gerhardinger 1951 schließlich die Namensrechte der Vereinigung zugesprochen bekam. So stellten Gerhardingers nun wieder etablierte „Königlich-Privilegierte Münchner Künstlergenossenschaft von 1868“ und die „Neue Münchner Künstlergenossenschaft“ von Aigner/Protzen weiterhin nacheinander statt miteinander im umbenannten Haus der Kunst in München aus.

In beiden Gruppen versammelten sich auch Maler*innen, die in der NS-Zeit unbehelligt gearbeitet hatten. Die Tagespresse war sich von Anfang an einig, dass die Aigner-Protzen-Gruppe zwar bieder, aber immerhin halbwegs zeitgemäß produzierte. Auch Protzen, der in der NS-Zeit hauptsächlich Landschaften – und 29 Werke zur Reichsautobahn – gemalt hatte, wagte sich an die nun angesagte Abstraktion und einen abgeschwächten Kubismus. Ganz anders die Gerhardinger-Gruppe, die weiterhin einen naturalistischen Stil pflegte und zu der Fritz Nemitz in der Süddeutschen Zeitung (SZ) 1950 schrieb: „Als Beitrag zur Malerei der Gegenwart steht diese Unternehmung außerhalb von heute. […] Und doch ist sie nicht ohne Nutzen. Sie öffnet dem Zeitgenossen von heute deutlich die Augen über die Maßstäbe von gestern.“

Die Deutsche Tagespost widersprach der Besprechung vehement und verstieg sich zu schiefen Vergleichen: „Mangels einer entarteten Kunst gibt es jetzt wenigstens wieder eine unerwünschte Kunst.“ Die in den Augen der SZ gelungenere Kunst wurde „extreme Moderne“ genannt. Die Zeitung befand auch, „dass es der faschistischen Kontrolle über Kunst gleichkäme, wenn man solchen Künstlern [die im NS erfolgreich gewesen waren] das Zeigen ihrer Werke verbieten würde.“

Ein Flugblatt zur Ausstellung der Gerhardinger-Gruppe aus dem März 1950 verwies die zeitgenössische Kunst sogar in den Bereich der Psychosen. Der an der Aktion „Entartete Kunst“ beteiligte Guido Joseph Kern (1878–1953) schrieb, dass es nur „einer vom internationalen Kunsthandel geleiteten, von Esoterikern und Snobs geförderten machtvollen, oft rücksichtslosen Propaganda“ zu verdanken sei, dass moderne Kunst überhaupt gezeigt wurde: „Nahezu das ganze Publikum und mindestens 95% der Maler in aller Welt lehnen diese Kunst ab.“ Die Werke Kandinskys wurden als „abnorm“ bezeichnet, Picasso wurde eine „geistige Veranlagung“ zu Schizophrenie unterstellt. Mit dieser Auffassung war Kern nicht allein: Gerhardinger nahm 1950 und 1952 an zwei Ausstellungen in São Paulo teil, die sich gegen angeblich „krankhafte, abstrakte Kunst in Deutschland“ wandten.

Auch die „Gottbegnadeten“ stellten wieder aus

Zur Gerhardinger-Gruppe gehörten unter anderem die „Gottbegnadeten“ Sepp Hilz, Claus Bergen sowie Josef Thorak, „der sich, umständehalber, auf bürgerliche Formate zurückgezogen [hat]. Bekannt wie die Namen sind Stil, Auffassung und Motive der Kunstwerke. Seit 1937 hat sich hier nichts geändert. [Die Gottbegnadeten] Paul Padua, Arno Breker und Werner Peiner sind allerdings nicht vertreten“, ätzte die Münchner Abendzeitung zur Ausstellung 1951. Die Süddeutsche Zeitung meinte, dass ein „ministerielles Nein“ zur Gerhardinger-Gruppe als „klare kulturpolitische Zielsetzung“ richtig gewesen wäre, denn sie könne „den wiedergewonnenen Ruf Münchens [als Kunststadt] nicht nur nicht befestigen, sondern es steht zu befürchten, dass sie ihn gefährdet.“

Im Laufe des Jahrzehnts nahm die Kritik allerdings immer mehr ab; man hatte sich mit den altbackenen Werken arrangiert und ganz im Sinne der fiktiven „Stunde Null“ die Vergangenheit eher beschwiegen als aufgearbeitet. 1966 freute sich der konservative Münchner Merkur darüber, dass die „alte Schule beibehalten und auch von den Jüngeren respektiert“ würde. 1968, zum 100. Jubiläum der Künstlergenossenschaft, schrieb die Süddeutsche Zeitung humorig, aber auch latent unkritisch: „Die Ausstellung ist kaleidoskopisch bunt, sie bringt alles, was ein Bürgerherz sich für seine gute Stube wünschen kann: Fels und Meer, Blumensträuße, Mutterglück, bäuerische und andere Charakterköpfe, heimische und südliche Landschaften, unproblematisch und farbenfroh – eine Art kleinere legitime Fortsetzung der Ausstellungen im ‚Haus der Deutschen Kunst‘. Bilder à la Paduas ‚Leda‘ allerdings fehlen, und ein Sepp-Hilz-Epigone ist nicht zu finden.“

Damit hatte sich bestätigt, was die SZ bereits 1953 zu den Ausstellungen der Nachkriegszeit geschrieben hatte. Zu ihnen gingen dieselben Menschen, die schon im Haus der Deutschen Kunst ihren Kunstgeschmack bestätigt gefunden hatten. „Dieser Riesenerfolg, er war kein bloßes Ergebnis von Propagandarummel. Er war herzlich überzeugte Zustimmung zu Hitlers Kunstdiktatur. Denn diese Kunstdiktatur hatte den Nagel des Publikum[s]geschmacks auf den Kopf getroffen. Jede heutige Volksabstimmung würde ihr wieder recht geben.“

Verweise

[1] Der Schriftwechsel zu diesem Vorgang ist im Bundesarchiv erhalten, vgl. BArch R/43 II/1242b.

[2] Die Kontroverse um die beiden MKG ist im Bayerischen Hauptstaatsarchiv gut dokumentiert, vgl. BayHStA, MK 51591.

Titelbild: Katalog zur Kunstausstellung von Mitgliedern der Münchener Künstlergenossenschaft königl. privileg. 1868 im Haus der Kunst, München, 1951, Reproduktion, München © Haus der Kunst

Anke Gröner

Anke Gröner ist freie Kunsthistorikerin und lebt in München. Ihre Dissertation „‚Ziehet die Bahn durch deutsches Land.‘ Gemälde zur Reichsautobahn von Carl Theodor Protzen (1887–1956)” erscheint im Februar 2022 im Böhlau-Verlag.