Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland

Carola Jüllig | 15. Februar 2023

Die Ausstellung „Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland” stellt Auftragsfotografien ausgewählter Industriezweige in Ost- und Westdeutschland zwischen 1949 und 1990 sowie ihre Verwendung gegenüber. Die Leiterin der fotografischen Sammlung, Carola Jüllig, ordnet die Sammlungstätigkeit des Museums im Bereich Fotografie ein und erläutert das Konzept der Ausstellung, die sich in eine lange Tradition von Fotoausstellungen im DHM einreiht.

Seit seiner Gründung 1987 sammelt das Deutsche Historische Museum Fotografien. Die Bestände der Fotografischen Sammlung umfassen heute neben Abzügen künstlerisch arbeitender Fotografinnen und Fotografen zu gesellschaftlich und politisch relevanten Themen auch Archive von Gebrauchsfotografen aus der DDR.

Seit den 1990er Jahren konnte unser Haus die Vorlässe von Martin Schmidt (1925 – 2018) und Kurt Schwarzer (1927 – 2012) erwerben, die in der DDR als freiberufliche Bildjournalisten für unterschiedliche Auftraggeber arbeiteten. 2017 kam der Nachlass von Uwe Steinberg (1942 – 1983), der ebenfalls als Bildreporter vor allem für die „Neue Berliner Illustrierte“ arbeitete, hinzu. 2019 folgte das Archiv von Peter Straube (geb. 1936), der unter anderem bei der Zeitschrift „DDR-Export“ angestellt war. 2020 schließlich kam der Nachlass des Pressefotografen Joachim Fieguth (1942 – 2019) ins Museum, der seit den 1970er Jahren für die „Berliner Zeitung“ und jahrzehntelang für das „Neue Deutschland“ tätig war. Unser Blick auf die Fotografie in der DDR war lange von den dokumentarisch-kritischen schwarz-weiß-Aufnahmen der Autorenfotografen und -fotografinnen, wie sie etwa die Agentur Ostkreuz repräsentiert, bestimmt. Sie sind jedoch nur ein Teil des visuellen Gedächtnisses, denn gerade die Fotografien, die massenhaft in Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und so weiter publiziert wurden, haben sich im Bildgedächtnis eingeschrieben. Diese Fotos vor dem Vergessen oder sogar der Vernichtung zu bewahren, war mir wichtig, denn sie werden von vielen Museen nicht gesammelt.

Deshalb wurde der Sammlungs- und Themenschwerpunkt „Gebrauchsfotografie“ immer wieder auch Ausgangspunkt von Fotoausstellungen: 2014 präsentierte das Museum mit „Farbe für die Republik. Auftragsfotografie vom Leben in der DDR“ eine Auswahl farbiger Aufnahmen aus den Archiven von Martin Schmidt und Kurt Schwarzer und zeigte, welch wichtige Rolle die Farbfotografie seit den 1960er Jahren bei der Vermittlung der sozialistischen Ideologie spielte. Die Ausstellung „Die Erfindung der Pressefotografie. Aus der Sammlung Ullstein 1894 – 1945“ im Jahr 2017 beschäftigte sich mit der Pressefotografie am Bespiel der auflagenstärksten deutschen Zeitschrift, der im Ullstein Verlag erschienenen „Berliner Illustrierten Zeitung“. Und 2019 schließlich stand das bildjournalistische Frühwerk des Fotografen Stefan Moses (1928 – 2018) im Mittelpunkt der Ausstellung „Das exotische Land“. Allen Ausstellungen gemeinsam ist also das Interesse an Fotografie als Material, an ihrer Verwendung und Kontextualisierung.

Die Gebrauchs- und Auftragsfotografie ist, wie die künstlerische Autorenfotografie, ein eigenständiges Genre, wobei deren Produzentinnen und Produzenten oft auf beiden Gebieten tätig waren: Auch Foto-Kunst geht nach Brot.

Die aktuelle Ausstellung „Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland“ konzentriert sich auf Auftragsfotografien aus westdeutschen Unternehmen und ostdeutschen volkseigenen Betrieben und zeigt Motive aus der Produktion der Stahl-, Chemie-, Textil- und Automobilindustrie und deren Verwendung in verschiedensten Printmedien der Industrie. Fotografie im Auftrag mit Auftrag: sie diente der Repräsentation und transportierte das Narrativ von einer besseren Zukunft dank technischem Fortschritt – in West und Ost. Die knapp 700 Objekte – Vintages, moderne Prints von Negativen oder Dias, Werkszeitschriften, Geschäftsberichte, Produktkataloge, Festschriften oder aufwendige Bildbände – erzählen mit eindrucksvollen Motiven von einer Zeit, in der ein noch ungebrochener Fortschrittsglaube herrschte, rauchende Schlote ein Zeichen wirtschaftlicher Potenz, Kunstfasern und Kunststoffe die Materialien der Zukunft waren und die Massenmotorisierung der Bundesbürger*innen als Gradmesser für das „Wirtschaftswunder“ galt.

Die vielleicht erstaunlichste Erkenntnis bei der Betrachtung dieser Fotografien: Es ist oft nicht möglich, sie west- oder ostdeutschen Unternehmen oder Betrieben zuzuordnen. Der Stahl fließt aus dem Hochofen bei Krupp genauso bildgewaltig wie im Eisenhüttenkombinat Ost, die Labore der chemischen Industrie mit den geheimnisvoll farbig leuchtenden Erlenmeyerkolben sehen in Leverkusen nicht anders aus als in Leuna. Damit ist auch schon das Dilemma der Industriefotografie benannt: Sie kann nie wirklich innovativ sein, denn ihre Bildsprache muss verständlich sein und orientiert sich daher oft an tradierten Motiven, die sich meist schon in der Frühzeit der Industriefotografie herausgebildet haben. Erst die Kontextualisierung macht deutlich, ob sie für eine westdeutsche Aktiengesellschaft oder einen planwirtschaftlich geführten Volkseigenen Betrieb warben.

Angefertigt wurden die in der Ausstellung gezeigten Aufnahmen zum einen von angestellten Werksfotografen und –fotografinnen (es waren tatsächlich überwiegend Männer), die meist für die interne Kommunikation tätig waren, zum anderen von freien Fotografen, die etwa für besondere Publikationen beauftragt wurden. So finden sich neben den Fotos der oft (noch) namenlosen Werksfotografen bekannte Namen wie Ludwig Windstosser oder Robert Häusser in der Bundesrepublik sowie Wolfgang G. Schröter und Eugen Nosko in der DDR. 

Die Ausstellung kann nur einen ersten Einblick in das weite Feld der auftragsgebundenen Industriefotografie geben. In den Archiven liegt noch viel lohnenswertes Material, um weitere Themen zu beleuchten.


Foto: DHM/Thomas Bruns

Carola Jüllig

Carola Jüllig ist Sammlungsleiterin der fotografischen Sammlung und Postkarten am Deutschen Historischen Museum.